# taz.de -- Existenz und Linie | |
> Installation Die Gegenwart des Menschen ist flüchtig, das hat Chiharu | |
> Shiota schon oft beschäftigt. Auf dem Festival MaerzMusik zieht das | |
> Ensemble Zafraan durch ihre Raumkunst | |
Bild: Symbole für Blut: rote Plastikschläuche in einer Installation von Chiha… | |
Von Franziska Buhre | |
Der leere Raum eines Museums oder einer Galerie klingt hohl, abweisend und | |
unbehaust. Mit einer Installation der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota | |
verändert sich seine Stille: Als ob ein tausendfaches Gewisper vergangener | |
Stimmen hier sein tonloses Echo in den raumgreifenden, zugleich filigranen | |
Strukturen findet, mit denen Shiota die Ebenen zwischen Decke und Boden | |
anreichert. Im Rahmen des Festivals MaerzMusik werden nun erstmals | |
MusikerInnen und BesucherInnen in einer Installation Shiotas einander | |
begegnen und bis zu vier Stunden Zeit miteinander verbringen. | |
Chiharu Shiota, die 1972 in Osaka geboren wurde, lebt seit 1998 in Berlin | |
und ist in der Kunstszene sehr präsent. Für die Uraufführung von | |
„alif::split in the wall“ kooperiert die Künstlerin mit dem zehnköpfigen | |
Berliner Zafraan Ensemble für zeitgenössische Musik, das komponierte | |
Instrumentalmusik von Samir Odeh-Tamimi spielen und mit den elektronischen | |
Klängen von Stefan Goldmann interagieren wird. Die Idee für das Projekt | |
hatte der Musiker Jeremias Schwarzer, der 2012 in einer Installation | |
Shiotas in Japan spielte. Zwei Holzboote und von der Decke rinnendes Wasser | |
untermalten damals die titelgebende Frage „Where Are We Going?“. Nun ist | |
Schwarzer künstlerischer Leiter der Aufführung im Radialsystem V und Shiota | |
wendet sich in dem neuen Setting wieder einer lebensspendenden Flüssigkeit | |
zu. | |
Ihr Signaturmaterial ist Wolle, ihre Intention die Linie im Raum: „Eine | |
einzige Linie kann schon die Existenz eines Menschen bezeugen“, erzählt | |
Shiota im Gespräch in ihrem Arbeits- und Wohnatelier in Berlin Prenzlauer | |
Berg. Sie habe Linien dreidimensional zeichnen wollen, erklärt die | |
Künstlerin ihre Abkehr von Papier und Stift. In Berlin entschied sie sich | |
für rote und schwarze Wollfäden, die kreuz und quer, aber planvoll gespannt | |
sind, von der Decke, Wänden und Böden ranken, Objekte umschließen und sie | |
dem unmittelbaren Zugriff entziehen. | |
Rot symbolisiert für Shiota die Beziehungen der Menschen untereinander. In | |
ihrer Installation „The Key in the Hand“ ist jeder Faden mit anderen | |
verbunden. Geschaffen wurde sie 2015 im japanischen Pavillon auf der | |
Kunstbiennale von Venedig – zehn Menschen webten einen Monat lang die | |
Fadengebilde, an denen 50.000 Schlüssel aus aller Welt über zwei Holzbooten | |
hingen. In der Form des Schlüssels sieht Shiota die menschliche Gestalt: | |
Der runde Schlüsselgriff ist der Kopf, Halm und Bart bilden den Körper. | |
„Die Boote fangen das Gedächtnis der Schlüssel und damit die Erinnerungen | |
der Menschen auf wie zwei Hände“, sagt Shiota über ihre Arbeit. Dem Ballast | |
der ungezählten, unerzählten Geschichten von Heim, Wohnung, Obdach verlieh | |
sie so für kurze Zeit eine schwebende Leichtigkeit. | |
Der Körper ist auch ein zentrales Motiv ihrer Installation „Dialogue With | |
Absence“, die seit 2010 in Berlin und Japan zu sehen war und an die sie im | |
Radialsystem anknüpfen will. Zur Darstellung der bloßen, leeren Hülle des | |
Körpers entschied sich Shiota für ein weißes Kleid, das einmal in einer | |
überschaubaren Größe an einer Wand hängt und in einer anderen Fassung | |
überdimensional von der Decke bis weit über den Boden ausgebreitet ist. Aus | |
diesem Kleid, dieser Körperhülle, treten Schläuche aus, wie sie bei einer | |
Herzkatheteruntersuchung in den Körper eingeführt werden. Druckpumpen | |
lassen rote Flüssigkeit im regelmäßigen Rhythmus eines Herzens durch die | |
Kunststoffkanäle pulsieren, die große weiße Fläche des Kleides ist | |
Untergrund für ein Hunderte Meter langes Gewirr aus Schläuchen. | |
„Am Blut ist alles ablesbar, die Familie etwa, oder Erkrankungen“, meint | |
Shiota. „An sich hat es keine Bedeutung, aber ihm werden so viele | |
Bedeutungen zugesprochen. Ich möchte jenseits einer bestimmten Kultur oder | |
nationalen Zugehörigkeit einfach einen leeren Körper und das Blut | |
zeigen.“Mit den Schläuchen setzt Shiota wiederum das Zeichnen im Raum fort | |
und das Kleid könnte der weißen Leinwand entsprechen, dem weißen Blatt | |
Papier. In „alif::split in the wall“ ist es dann ein weißer Tanzteppich, | |
auf welchem MusikerInnen und BesucherInnen Platz nehmen und umherwandern | |
können. | |
Das Spiel mit der Abwesenheit des gewohnten menschlichen Anblicks, wie es | |
der Titel „Dialogue with Abscence“ schon nahelegte, könnte in der | |
Uraufführung zu einer Präsenz werden, an deren Herstellung das Publikum | |
ebenso wie die PerformerInnen beteiligt sind. Die rot durchpulsten | |
Schläuche hat Shiota schon einmal, 2013 in der Installation „Life | |
Concerto“, an leere Notenständer angeschlossen. „Die Stille nach einem | |
Konzert mag ich sehr. Wenn die MusikerInnen den Raum verlassen haben und | |
man auf die leere Bühne blickt. Da ist immer noch diese emotionale Spannung | |
spürbar.“ | |
Uraufführung von „alif::split in the wall. a musical exhibition space“ im | |
Radialsystem V, Freitag 18. und Samstag 19. März,19 bis 0 Uhr, Einlass | |
zwischen 19 und 20 Uhr | |
16 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Franziska Buhre | |
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