| # taz.de -- Der Visionär | |
| > Zionismus Der renommierte Politikwissenschaftler Shlomo Avineri legt eine | |
| > Biografie Theodor Herzls vor. Er zeigt die Entstehung der Idee eines | |
| > jüdischen Staates im Zusammenhang mit dem Antisemitismus – und dass die | |
| > arabische Bevölkerung Herzl als Partner in der Staatsbürgerschaft galt | |
| Vor 120 Jahren veröffentlichte der österreichisch-ungarische Journalist | |
| Theodor Herzl den schmalen Band „Der Judenstaat“, in dem er die Gestalt | |
| eines zukünftigen jüdischen Gemeinwesens skizzierte. Innerhalb weniger | |
| Monate wurde es in zahlreiche Sprachen übersetzt und verbreitete sich wie | |
| ein Lauffeuer unter den Juden. Das Büchlein machte ihnen Hoffnung in einer | |
| hoffnungslosen Zeit: Pogrome und antisemitische Agitation waren in Europa | |
| auf dem Vormarsch. Das Jahrhundert der jüdischen Emanzipation war an sein | |
| Ende gelangt und die antijüdische Reaktion auf dem Vormarsch. | |
| Nachdem es lange keine Biografie auf Deutsch gab, legt jetzt mit Shlomo | |
| Avineri einer der renommiertesten Politikwissenschaftler Israels einen | |
| aktuellen Einblick in den Lebensweg Theodor Herzls vor. Er möchte den | |
| Begründer des modernen politischen Zionismus vor allen von „mythologischen | |
| Zuschreibungen“ befreien, wie er eingangs betont. Ganz neue Pfade | |
| beschreitet Avineri damit nicht, bereits vor einigen Jahrzehnten hatte der | |
| israelische Journalist Amos Elon eine Biografie geschrieben, in der dieser | |
| Herzl zu dekonstruieren und psychologisieren versuchte. | |
| Das ist jedoch nicht das Anliegen Avineris, der zwar ebenfalls der | |
| israelischen Linken und dem Friedenslager um Rabin angehörte, aber nie wie | |
| Elon das zionistische Projekt an sich infrage gestellt hat. Vielmehr | |
| zeichnet er anhand der Tagebücher Herzls das Bild eines Mannes, der nicht | |
| mehr an eine Zukunft für die europäischen Juden glaubt, der mit einem | |
| feinen Gespür für die politische Entwicklung Europas sieht, dass der | |
| antisemitischen Propaganda die Ermordung der Juden folgen wird. | |
| Daneben setzt sich der israelische Politikwissenschaftler vor allem auch | |
| mit Herzls „Judenstaat“ und seinem utopischen Roman „Altneuland“ | |
| auseinander. An ihnen zeigt er Herzls unglaubliche Vorstellungskraft sowie | |
| dessen ausgesprochen liberale Staats- und Gesellschaftsvorstellungen auf. | |
| Und er räumt an diesen Stellen mit dem Vorwurf auf, Herzl sei blind für die | |
| in Palästina lebenden Araber gewesen. Vielmehr galt ihm die dortige | |
| arabische Bevölkerung als Gleiche, als Partner in der Staatsbürgerschaft, | |
| wie Avineri schreibt. | |
| Aber die Biografie soll auch die Fehlinterpretation zurechtrücken, Herzls | |
| Interesse und Engagement für den Zionismus habe erst mit der Anklage gegen | |
| den Hauptmann Alfred Dreyfus in Frankreich Ende 1894 begonnen. Avineri | |
| arbeitet exzellent heraus, wie diese Entwicklung bereits 13 Jahre früher | |
| mit der Lektüre von Eugen Dührings antisemitischen Hetzschriften begonnen | |
| hatte. | |
| „Herzls über einen langen Zeitraum durchgeführte Analyse des Scheiterns der | |
| Emanzipation, dazu das Aufkommen des deutschen und österreichischen | |
| Antisemitismus führten ihn zu seiner radikalen Schlussfolgerung“, so | |
| Avineri über Herzls Weg vom Jurastudium über den Journalismus zum | |
| Zionismus. Diese Entwicklung lässt er den Leser kurzweilig und hervorragend | |
| in den zeitgeschichtlichen Kontext eingebettet nachvollziehen. | |
| Darüber hinaus macht der israelische Politikwissenschaftler deutlich, mit | |
| welcher Willenskraft sich Herzl für einen jüdischen Staat eingesetzt hat. | |
| Unermüdlich hatte er Audienzen beim deutschen Kaiser, dem russischen | |
| Außenminister von Plehwe, Papst Pius X. oder dem jüdischen Mäzen Baron | |
| Hirsch erbeten und diese auch erhalten. Am Ende blieben sie alle aber | |
| folgenlos und unverbindlich. Dennoch hielt Herzl an seinem Traum fest. | |
| „Enttäuschungen waren ihm Anreiz, seine Ideen klarer, bündiger zu fassen“, | |
| fasst Avineri Herzls Charakter zusammen. | |
| Dabei unterschlägt er keineswegs Herzls egozentrische, ja megalomanische | |
| Züge. Dieser sah sich in seinen Tagebüchern schon als Präsident des | |
| jüdischen Staates mit anderen Staatslenkern verhandeln. Doch ohne diese | |
| Überzeugung vom eigenen Tun wäre es Herzl wohl nicht gelungen, den | |
| Zionismus zu einer politischen Kraft zu machen, auch das macht Avineri | |
| klar. Dabei waren die Widerstände selbst in den eigenen Reihen groß. | |
| Schließlich starb Herzl 1904, frustriert und gesundheitlich schwer | |
| angeschlagen, mit gerade einmal 44 Jahren. Die Wiedergründung eines | |
| jüdischen Staates vier Jahrzehnte später sollte er nicht mehr erleben, aber | |
| ohne sein unermüdliches Engagement wäre es dazu nie gekommen. Kevin Zdiara | |
| Shlomo Avineri: „Theodor Herzl und die Gründung des jüdischen Staates“. A… | |
| dem Englischen von Eva-Maria Thimme. Suhrkamp, Berlin 2016, 361 S., 24,95 | |
| Euro | |
| 22 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Kevin Zdiara | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |