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# taz.de -- Ihr Freund der Baum
> BAUMBESETZUNG 85 Tage lebte Coyote Schlotterbeck auf einem Baum in Texas,
> der der Öl-Pipeline weichen sollte
AUS WINNSBORO DOROTHEA HAHN
Zuerst sind die Schuhsohlen zu erkennen – sie haben tiefes Profil. Dann der
Hintern. Er hängt in einem Klettergurt. Zuletzt erscheint das Gesicht. Es
hat weiche Züge. Es lächelt unter einer braunen Mütze mit aufgestickter
Blume.
Für das Interview ist Coyote aus der Baumkrone gestiegen, hat sich langsam
abgeseilt – der Karabiner, an dem sie hängt, scheppert dabei. Jetzt
schaukelt sie fünf Meter über dem Waldboden in der Luft. Hat ihre
Unterschenkel um den Eichenstamm geschlungen. Umfasst mit links das Seil,
das an einem Ast befestigt ist. Streicht mit rechts über die Nadeln einer
jungen Kiefer.
Coyote lebt seit Monaten auf dem Baum. In einem Wald bei Winnsboro in
Texas. Zusammen mit einer Handvoll anderer Treesitter – Baumbesetzer –
bewohnt sie neun Holzplattformen, die zwischen Stämmen und Ästen von Eichen
befestigt sind. Zwischen 25 und 30 Metern hoch über dem Boden. Über den
Plattformen liegen Plastikplanen in den Ästen. Unter den Plattformen hängen
Eimer mit Essensvorräten und Wasser. Zwischen den Bäumen sind Stahlseile
gespannt, an denen man sich mit Karabinern einklinken und von einem Baum
zum nächsten rutschen kann, sowie eine schmale Seilbrücke, die quer über
die ursprünglich geplante Trasse der Keystone XL Pipeline verläuft.
„Verteidigt unser Zuhause, nicht die Pipeline“ steht auf einem Transparent,
das von der Brücke flattert. Die Einzigen, die es sehen können, sind die
Arbeiter, die den Wald zerstören.
Am Anfang, als die Sonnenkollektoren wegen der dichten Laubdecke nicht
genügend Licht einfangen konnten, um ihr Handy zu laden, hat Coyote
tagelang mit niemandem gesprochen. Auf Nachbarbäumen saßen andere
Treesitter. Aber um zu ihnen zu kommen, hätte sie über die Stahlseile
rutschen müssen. Derweil Arbeiter in der Tiefe standen und hochbrüllten:
„Hört auf mit dem Quatsch. Ihr erreicht eh nichts. Kommt runter.“
## Für die Öl-Pipeline werden Wälder abgeholzt
Die Arbeiter im Wald sind wie ein Echo dessen, was die Zeitungen im
ölfreundlichsten aller Bundesstaaten der USA schreiben. Da gelten die
Treesitter als „Ortsfremde“ und „Ausländer“. Da fordern Politiker sie …
endlich zu verschwinden. „Banden betreten unerlaubt unser Land und
verrichten ihre Notdurft auf unseren Grundstücken“, schrieb der texanische
Landkommissar Jerry Patterson im Oktober: „Sie hassen die Öl- und
Gas-Industrie. Und sie verstehen weder die texanischen Werte noch unsere
Kultur.“
Beinahe jeden Tag auf dem Baum sieht Coyote sich selbst „durch die Luft
fliegen“, wenn die Sägemaschinen wieder greifbar nahe kommen. Manchmal
klammert sie sich aus Angst an den Ast einer Eiche, die selbst von den
Erschütterungen vibriert. Sie lernt, mit der Gefahr zu leben. Sie gewöhnt
sich auch an die privaten Wachleute, die unter den Bäumen mit Pfefferspray,
elektrischen Taser-Pistolen und Handschellen auf und ab gehen. Und darauf
warten, einen Treesitter oder einen der Unterstützer festzunehmen, um sie
dem Wood-County-Sheriff zu übergeben. Vier Mal haben die Wachleute auch
Reporter in Handschellen aus dem Wald geführt. Gegen festgenommene
Treesitter hat anschließend der Konzern, der die Pipeline baut, Anzeige
erstattet. Mehrere hundert Seiten ist die Anklageakte dick: „TransCanada
gegen Öko-Terroristen“ steht auf der ersten Seite.
„Wenn hier jemand ein Terrorist ist, dann TransCanada“, sagt die schaukelnd
im Baum hängende Coyote. „Die Petroleum-Industrie raubt das Land, rodet die
Bäume, zerstört die Atmosphäre und verschmutzt das Wasser. Nicht wir.“ Es
ist ein sonniger Tag im Dezember. Coyote hat per Telefon durchgegeben, dass
die Luft rein ist. Ramsey Sprague, einer der Unterstützer, die Essen,
Wasser und manchmal auch Journalisten in den Wald bringen, macht sich auf
den Weg. Kein Arbeiter, kein Wachmann ist in Sicht. Nur Vögel sind zu
hören, das Rascheln herunterfallender Eicheln, das Rauschen des Windes in
den Zweigen.
Früher arbeitete Coyote auf dem Bau und auf Farmen im nordöstlichen
Bundesstaat Maine. „Als ich jung war“, sagt die 29-jährige Person über je…
scheinbar lang zurückliegende Zeit. Vor eineinhalb Jahren gibt sie Job,
Einkommen, festen Wohnsitz und eine Beziehung auf. Zuvor hat sie begonnen,
über die Umwelt zu lesen. Und sie hat von einer Pipeline erfahren, die in
den nächsten Jahren in Maine gebaut werden könnte: „Ich war überwältigt v…
allem, was ich über die Zerstörung des Ökosystems und über die
Rohstoffindustrie hörte.“
Coyote verlässt Maine. Macht sich auf die Wanderschaft. Sie geht zu Fuß,
reist per Anhalter, fährt mit dem Zug. Sie schläft unter freiem Himmel. In
ihrem Rucksack Sonette von Rainer Maria Rilke. Manche Gedichte begleiten
sie: „Geh in der Verwandlung aus und ein. Was ist deine leidendste
Erfahrung? Ist dir Trinken bitter, werde Wein.“ Sie lässt ihre Gedanken
kreisen. Um den Planeten. Und um sich selbst. Denn auch ihre eigene
Identität ist in Bewegung geraten. Sie ist als Junge zur Welt gekommen. Hat
einen Männerkörper, eine Männerstimme. Aber sie fühlt sich anders. Auf
ihrer Wanderschaft beginnt sie, sich dem „sie“ zu nähern, der weiblichen
Form, die sie heute für sich benutzt. Ihren alten Vornamen hat sie
zurückgelassen. Den neuen wählt sie, weil sie schon als Kind Hunde mochte.
Bei der Wanderschaft rückt sie deren wilden Verwandten, den Kojoten, näher.
Und findet ihren eigenen Namen „Coyote“. „Wir sind bedroht und bedrohlich
zugleich“, sagt sie. Bloß ihr Nachname verbindet sie weiterhin mit der
Vergangenheit: Schlotterbeck, den haben ihre Urgroßeltern aus Sachsen und
aus dem Schwarzwald mitgebracht.
Zwischen Maine und Texas liegen mehr als 1.700 Meilen. Auf dem Weg hat sie
viel Zeit zum Nachdenken. Als Coyote im Sommer 2012 in Winnsboro ankommt,
hat sie das Gefühl, „beide Füße auf dem Boden“ zu haben. Sie will etwas
gegen die Umweltzerstörung tun. Will sich dem Widerstand gegen die Keystone
XL Pipeline anschließen. Auch um zu lernen, was sie später in Maine tun
kann, um dort die Pipeline zu verhindern. Sie ahnt nicht, dass sie bei
Winnsboro auf einen Baum steigen wird und dann monatelang nicht mehr
herunterkommt. Nie zuvor ist sie geklettert.
## Die Ölindustrie bringt die Anwohner zum Schweigen
Das 3.400-Einwohner Städtchen Winnsboro liegt tief im roten Texas – „rot“
wie die Farbe der Republikaner. Es ist umgeben von Wald und mehreren
künstlichen Seen voller Fische. Nichts deutete darauf hin, dass es ein
Zentrum des Widerstands gegen die Keystone XL Pipeline wird. Texas ist mit
dem Öl verwachsen und reich damit geworden. Auf den Landstraßen von Wood
County sind mehr Jeeps als Kleinwagen unterwegs. Am Wegrand stehen
Werbeschilder, die die Leistungen von Bohrunternehmen preisen. „Oil“ und
„Pipeline“ sind beliebte Straßennamen. Hinter weiß lackierten Zäunen gra…
dunkelbraune, fast schwarze Rinder. Und direkt unter vielen ihrer Weiden
verlaufen Ölpipelines. Farmer in Texas verdienen sich damit ein Zubrot.
Spindletop, wo im Jahr 1901 die größte Ölquelle der damaligen Welt entdeckt
wurde, ist nur ein paar hundert Meilen entfernt. Auch viele der
wohlhabenden Rentner und Wochenendler aus dem zwei Autostunden entfernten
Dallas, die seit einigen Jahren Häuser rund um Winnsboro kaufen, haben ihr
Vermögen in der Ölindustrie gemacht.
Doch in Winnsboro leben auch Leute wie der Tischler David Daniel. Er wohnt
mit Frau und kleiner Tochter auf einem Waldgrundstück südwestlich des
Ortes. Und er erkennt als einer der ersten die Risiken des Teersandöls, von
dem zuvor kaum jemand in Texas gehört hat. Als 2009 die Agenten von
TransCanada zu den Grundstücksbesitzern auf der Trasse der Keystone XL
kommen, um die Rechte für den Bau einer neuen Pipeline zu erwerben, stellt
er ihnen Fragen: Welche Chemikalien werden dem Teersand zugefügt, um ihn zu
verflüssigen? Was würde im Fall eines Pipelinebruchs passieren? Was tut die
TransCanada, um meine Familie im Fall einer Ölpest zu schützen? Die Agenten
sprechen von „normalem Rohöl“. Konzernchef Russ Girling sagt, die Keystone
XL sei die „sicherste Pipeline, die je gebaut wurde“. Antworten auf seine
Fragen bekommt der Tischler nicht. Er organisiert Bürgerversammlungen und
informiert über die ungeheuren Wassermengen, die zur Teersandölförderung
verbraucht und kontaminiert werden. Über den Ausstoß von CO2-Gasen, der
höher als bei jeder anderen Ölförderung ist. Und über die Unfälle von
TransCanada Pipelines. Dann platzt 2010 eine Pipeline in Michigan.
Teersandöl vergiftet den Kalamazoo-Fluss so nachhaltig, dass es die
teuerste Ölpest in einem Wasserlauf der USA wird. Deren Folgen sind bis
heute spürbar. Nur weil das Unglück zur gleichen Zeit wie die Explosion
einer Ölplattform im Golf von Mexiko passiert, erfährt die Öffentlichkeit
kaum davon.
Als Tischler Daniel ankündigt, dass er sich persönlich auf einen seiner
Bäume setzen wird, um zu verhindern, dass die TransCanada ihre Pipeline
quer über sein Land baut, hören Umweltschützer in weit entfernten Gegenden
der USA erstmals von Winnsboro. Zwei Jahre später ist der rote Bart von
Daniel grau. Er hat die 14.000 Dollar von TransCanada angenommen. Hat einen
Vertrag unterschrieben. Spricht nicht mehr mit Journalisten. Und hält sich
auch vom Widerstand fern. Sollte er den Pipeline-Bau behindern, drohe ihm
eine Strafe von einer halben Million Dollar, ordnete ein Richter in Wood
County an. Als Coyote und die anderen Treesitter im vergangenen Sommer auf
die Bäume auf seinem Land klettern, ist Tischler Daniel, einst
lautstärkster Gegner der Keystone XL-Pipeline in Winnsboro, verstummt.
Fast alle Landbesitzer in der Region haben unterschrieben – und das Geld
von TransCanada kassiert. Viele berichten, dass sie unter Druck gesetzt und
mit Enteignung und Prozessen bedroht worden seien. Doch nicht alle sind
anschließend verstummt. Susan Scott, die seit 37 Jahren ein Waldgrundstück
am Ortsrand von Winnsboro besitzt, hat mehr als 20.000 Dollar von
TransCanada genommen. Aber sie macht keinen Hehl daraus, dass sie es bitter
bereut. „Sie haben mit ihren Dollarbündeln die Presse und die Politiker
gekauft“, sagt Susan Scott, „wir sind einfache Leute vom Land. Wie sollen
wir da mithalten?“
Die 64-Jährige besitzt keinen Computer, aber sie ist durchsetzungsstark.
Als die Agenten von TransCanada zu ihr kommen, hat sie gerade einen
zweijährigen Kampf gegen eine Elektrizitätsgesellschaft gewonnen. Die
wollten Überlandleitungen über ihr Grundstück legen. Die Agenten von
TransCanada indes sind anders. Sie erklären von vornherein, die Pipeline
komme. Wenn Susan Scott Nein sage, würde ihr Land beschlagnahmt: im
übergeordneten öffentlichen Interesse.
„Sie haben mich belogen und betrogen und eingeschüchtert“, ist das bittere
Fazit der 64-Jährigen. Quer über ihr Grundstück zieht sich jetzt die
Schneise mit der Pipeline. Susan Scott ist ein Nervenbündel geworden. Hat
dreißig Pfund Gewicht und ihren Nachtschlaf verloren. Und bangt um die
Gesundheit ihrer Kinder und Enkel. Auf einer Zeichnung hat sie die
„Kill-Zone“ auf beiden Seiten der Pipeline gesehen, aus der in Notfällen
evakuiert werden soll. Ihr komplettes Grundstück liegt darin. Sie ist
Texanerin und mit Pipelines aufgewachsen. Sie weiß: „Jedes Rohr hat Lecks.
Das wird auch bei diesem so sein.“
## Die Baumbesetzer trotzen der Ölindustrie
Für die „Kids auf den Bäumen“ hat Susan Scott nichts als Bewunderung. „…
haben Mut“, sagt sie, „die setzen ihr Leben ein“. Von ihrer Regierung
hingegen – sowohl der in Texas als auch der in Washington – fühlt sie sich
im Stich gelassen: „Sie geben unser Land an ein ausländisches Unternehmen,
das eine Schneise quer durch Amerika schlägt. Keine Arbeitsplätze schafft.
Und das raffinierte Öl dorthin exportieren, wo es das meiste Geld bringt.
Wenn aber das Rohr bricht, ist unser Land zerstört. Es macht mich
stinksauer. In Amerika siegen Geld, Macht und Gier.“
Die einzige Landbesitzerin im County, die trotz des Drucks von TransCanada,
den auch sie als „unehrlich, respektlos und betrügerisch“ erlebt hat, nicht
unterschrieben hat, ist Eleanor Fairchild. Die 78-Jährige wohnt allein auf
einem 350 Acres großen Anwesen, fast 1,5 Quadratkilometer sind das, das sie
mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Ray gekauft hat. Die beiden haben
damals in Dallas gelebt. Ihr Mann war im Ölbusiness. War als Geologe
zuständig für Ölförderungen im Jemen. Seine Witwe fährt in einem offenen
Golfwagen in rasanter Geschwindigkeit über ihr Land. Vorbei an dem Wald,
den Feldern, dem See und den fünf Quellen, von denen das Wasser von ihrem
topografischen Hügel aus auf das umliegende Land fließt.
Gegen „normales Petroleum“ hat Eleanor Fairchild nichts. Bloß Teersandöl
lehnt sie ab: Weil es der dreckigste Treibstoff auf Erden ist. Weil es die
Klimaerhitzung noch beschleunigt. Und weil es jeden Boden kaputtmacht.
Deswegen hat sie sich vor eine Baumaschine gestellt, als die im Oktober
begann, das Land auf ihrem Gelände zu planieren. Zusammen mit der aus
Kalifornien angereisten Filmschauspielerin Daryl Hannah hat sie die
Pipeline-Arbeiten für ein paar Minuten verzögert. Eleanor Fairchild wurde
in Handschellen von ihrem eigenen Land abgeführt und blieb eine Nacht im
Gefängnis. In der dicken Anklageakte „TransCanada gegen Öko-Terroristen“
ist ihr ein langes Kapitel gewidmet.
In der großen Küche ihres Bungalows auf dem Hügel im Zentrum ihres
Landbesitzes sagt Eleanor Fairchild: „Die haben Angst vor einer kleinen
alten Dame.“ Sie glaubt, dass ihr verstorbener Gatte ihren Kampf gegen die
Keystone XL unterstützt hätte. Und sie weiß, dass nur wohlhabende Leute
sich ein Nein zu einer Pipeline leisten können. „Mit einem ‚No‘ ist es
nicht getan, anschließend ist ein Anwalt nötig, Experten, Schätzungen“,
sagt sie, „da kommen leicht 30.000 bis 50.000 Dollar zusammen. So viel
haben die meisten Leute nicht.“ Als eines ihrer erwachsenen Kinder die
Mutter mahnt, dass man in den USA wegen „Terrorismus“ unbegrenzt hinter
Gitter kommen kann, antwortet Eleanor Fairchild: „Wozu ist Geld gut, wenn
wir den Planeten zerstören?“
In den Cafés in Winnsboro äußern sich die Leute anerkennend über Eleanor
Fairchild, die „Öko-Terroristin“. Sie ist Landbesitzerin. Sie verteidigt
ihr Land. Sie hat Mut. Das zählt in Texas. Was die Kids in den Bäumen
angeht, reagieren sie verhaltener. „Sie sind nicht von hier.“
Coyote hat sich Texas anders vorgestellt, als sie noch in Maine war. Mit
Wüste und Kakteen statt mit altem, dichtem Mischwald. Als sie im Sommer in
Winnsboro ankommt, sind die ersten Plattformen im Wald bereits fertig.
Einzelne Gegner der Keystone XL Pipeline machen seit Wochen
Klettertraining, um sich auf das Wohnen in der Höhe vorzubereiten. Mitte
September klettert Coyote, die ihre Rolle vor allem als Unterstützung am
Boden sieht, auf einen Baum. Sie hat nicht die Absicht, länger oben zu
bleiben. Aber als sie oben ist, schickt die TransCanada Privatpolizisten in
den Wald. Piloten von einem Patrouillenflugzeug haben die blauen
Plastikplanen aus der Luft gesichtet. Der Konzern versucht, die Treesitter
so schnell wie möglich zu vertreiben. Da herunterzuklettern war
gefährlicher, als auf dem Baum zu bleiben. Coyote fügt sich. Lebt seither
permanent in einem Klettergurt. Isst tagelang nichts anderes als
Erdnussbutter und Marmelade. Trinkt Wasser. Verliert – wie alle Treesitter
– Gewicht. Bekommt einen muskulösen Oberkörper. Und will nicht verraten,
wie sie es oben im Baum mit dem Klogang hält. Nach ein paar Wochen im Baum,
steigt sie klammheimlich ab, fährt nach Houston, macht eine Pause von
Stress, Angst und nächtlichem Terror. Anschließend kommt sie in den Wald
zurück. Zu den Bäumen, denen die Besetzer Namen gegeben haben. Es gibt
„Falcor“ – wie der Glücksdrache in der „Unendlichen Geschichte“. Es …
„Fangorn“, wie ein Wald im „Herrn der Ringe“. Und es gibt „Rattler“…
nach der Klapperschlange benannt ist, die beim Plattformbau auftauchte.
Coyote, die nicht vorhatte, auf einen Baum zu steigen, ist die Treesitterin
in Winnsboro geworden, die am längsten auf einem Baum lebt. Sie spricht in
einem andächtigen Ton. Leise, um weder die Vögel zu stören noch die
Privatpolizisten auf sich aufmerksam zu machen. Sie nennt ihre Bäume
„Lover, denen man lange ins Auge blickt“. Als sie nach Texas kam, glühte
noch die Sommerhitze. Das Grün in den Baumspitzen war so dicht, dass die
Plattformen kaum von unten erkennbar waren. Inzwischen haben die Bäume ihre
Blätter verloren. Und Coyote trägt immer mehr Kleiderschichten
übereinander. Im Dezember kann ein eisiger Wind durch die Bäume pfeifen.
## Der Protest hat Erfolg: Die Bäume bleiben stehen
An Weihnachten ist klar, dass die Bauarbeiten der TransCanada bei Winnsboro
abgeschlossen sind. Der Konzern hat die grünen Rohre für die Keystone XL in
einem Bogen um das kleine Wäldchen in den Sandboden verlegt. Es ist eine
Schleife auf einer sonst schnurgeraden Strecke. Die Bauarbeiter ziehen
weiter. 85 Tage nach dem offiziellen Beginn ihrer Aktion entscheiden die
Treesitter abzusteigen.
Coyote fliegt nach Maine. Ihre Mutter hat ihr ein Ticket geschickt. Sie
will sich erholen. Will die Brezel essen, die in ihrer Familie nach einem
alten deutschen Rezept gebacken wird. Will Freunde sehen. Sobald sie genug
Kraft getankt hat, will sie im neuen Jahr zurück nach Texas. Dort geht der
Keystone-XL-Bau weiter. Und so auch der Widerstand. Schon am ersten
Januarwochenende sind weiter südlich neue Aktionen geplant. Für Coyote ist
Texas die Generalprobe. Falls eines Tages tatsächlich in Maine eine neue
Pipeline gebaut wird, wird sie zurückgehen. Um sich dort gegen die
Ölindustrie zu stellen.
5 Jan 2013
## AUTOREN
DOROTHEA HAHN
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