# taz.de -- Vorsichtiger Optimismus | |
> EXIL UND RÜCKKEHR Im Haus der Kulturen der Welt las der somalische Autor | |
> Nuruddin Farah aus seinem neuen Roman „Netze“. Drei Tage sind ihm in der | |
> Reihe „Lebenslinie“ gewidmet, die nach dem Wirken von Literatur fragt | |
VON KATHARINA GRANZIN | |
Nuruddin Farah ist das, was man gemeinhin als „großen alten Mann“ | |
bezeichnet. Der 1945 geborene Somalier, der mehrere Jahrzehnte seines | |
Lebens im Exil verbracht hat, ist wohl der in Europa bekannteste Autor des | |
afrikanischen Kontinents südlich der Sahara und nördlich von Südafrika. | |
Praktisch sein gesamtes Romanwerk liegt auf Deutsch vor, seit ein paar | |
Jahren erscheint es bei Suhrkamp. | |
In Berlin war er schon oft, zweimal allein beim Internationalen | |
Literaturfestival, und hatte ein Semester lang die | |
Samuel-Fischer-Gastprofessur an der Freien Universität inne. Das Haus der | |
Kulturen der Welt ehrt daher einen alten Bekannten, wenn es eine Ausgabe | |
seiner Veranstaltungsreihe „Lebenslinien“ Farah widmet. Drei Tage lang | |
lässt sich den Spuren nachgehen, die eine emsige Schriftstellerexistenz wie | |
die Nuruddin Farahs in der Literatur und im Denken anderer hinterlässt – | |
denn mit Farah treten viele andere auf, darunter auch junge somalische | |
AutorInnen und KünstlerInnen, die direkt oder indirekt in ihren Werken auf | |
ihn Bezug nehmen. | |
## Unsicher im Fremden | |
Am Mittwoch begann seine „Lebenslinie“ gleichermaßen geprägt von | |
entspannter Konzentration und dem Willen zur dezidierten Uninszeniertheit. | |
Nuruddin Farah und sein Moderator, der Autor Hans Christoph Buch, steigen | |
auf die Bühne, setzen sich kurz, stehen wieder auf, diskutieren, wer | |
welchen Standort einzunehmen hat. Nach einigem Hin und Her nimmt Buch am | |
Stehmikrophon Platz; Farah setzt sich wieder. Schwacher Szenenapplaus. | |
Nach Buchs Einführung liest Farah aus „Netze“, seinem neuesten Roman, der | |
im Original eigentlich „Knots“ heißt, wie Hans Christoph Buch etwas | |
verwundert anmerkt. Leider ist niemand vom Verlag da, um zu erklären, wie | |
es zu dem deutschen Titel kam. Auf Lesungen lernt man vielerlei. Beim Lesen | |
von literarischen Werken aus anderen Kulturkreisen lässt sich nämlich | |
manches falsch machen, vor allem was die Aussprache fremder Namen betrifft. | |
Ein linguistisches Aha-Erlebnis hat daher, wer schon weiß, dass der Name | |
der Heldin in „Netze“ „Cambara“ ist, was aber aus dem Munde des Autors | |
eindeutig wie „Ambara“ klingt. | |
Das Somalische, erklärt er in der Pause auf Nachfrage freundlich, verfüge | |
über ein gutturales „A“, das als „Ca“ transkribiert werde. (Da hätte … | |
Buch eine kleine Fußnote nicht geschadet.) Er sitzt nach der Lesung | |
zugänglich da und schreibt allen, die wollen, eine Widmung in ihre Bücher. | |
Nachdem nämlich die Schauspielerin Nina Petri, die den deutschen Teil der | |
Lesung bestritten hatte, gekommen ist, um sich ihr Exemplar signieren zu | |
lassen, beginnen auch andere sich zu trauen. | |
„Netze“ ist eine Rückkehrergeschichte, die im heutigen Somalia spielt: Die | |
Schauspielerin Cambara, die eine persönliche Tragödie zu verarbeiten hat, | |
kehrt aus dem kanadischen Exil nach Mogadischu zurück, um das Haus ihrer | |
Eltern, in dem ein kleinerer Warlord sich eingenistet hat, wieder in ihren | |
Besitz zu bringen. | |
## Oase im Bürgerkrieg | |
Durch die Kontaktaufnahme mit anderen Frauen und das behutsame Knüpfen | |
sozialer Netze gelingt es ihr, nicht zuletzt mit Hilfe des Theaters, kleine | |
Oasen des Lebens in der vom Bürgerkrieg zerrütteten Stadt zu schaffen. | |
Es ist fast, als wolle der Autor mit diesem vorsichtig optimistischen | |
Romanentwurf programmatisch hinter sich lassen, was er in „Yesterday, | |
Tomorrow“ verarbeitet hat, einem Prosaband, der, als journalistische | |
Auftragsarbeit(en) begonnen, viele Stimmen von Somalis versammelt und | |
verdichtet, die durch Erfahrungen von Gewalt und Willkür ins Exil getrieben | |
wurden. | |
Zum Abschluss gibt es Auszüge aus „Yesterday, Tomorrow“ in szenischer | |
Lesung, die Bühne mit Stühlen als Wartesaal ausstaffiert, darin zwei | |
SchauspielerInnen (Araba Walton, Michael Ojake), die in wechselnden Rollen | |
mal dialogisch, mal nebeneinanderher agieren. | |
Der Autor überlässt den verdienten Applaus ganz den Performern und den | |
Regisseurinnen Grada Kilomba und Amy Evans und bleibt, entspannt wie schon | |
zuvor, sitzen. Am Freitag wird es noch einmal Gelegenheit geben, Nuruddin | |
Farah persönlich auf dem Podium zu erleben. Der schwedische Publizist Arne | |
Ruth, Ex-Chefredakteur von Dagens Nyheter, moderiert das Salongespräch, in | |
dem Nuruddin Farah und Abdulrazak Gurnah über das Schreiben im Exil | |
sprechen werden. Die anschließende Filmnacht „Somalia in Motion“ beendet | |
das kleine Festival. | |
4 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
KATHARINA GRANZIN | |
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