Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fabrikruinen zu Wunderkammern
> WANDERKUNST Die Künstlerinnengruppe Endmoräne ist in Frankfurt/Oder
> angekommen und nimmt in den Räumen der Koehlmann-Höfe den Wind und
> Verfall zum Partner
Bild: Masoko Iso arbeitet in der Fabrik mit Spiegelfolien
von Helmut Höge
Der Künstlerinnen-Verein Endmoräne bespielt seit über zwei Jahrzehnten leer
stehende Gebäude wie Gutshöfe, Schlösser und Fabriken. In diesem Jahr waren
sie erst zu Gast bei polnischen Künstlerinnen in Lodz und suchten
anschließend einen verfallenen Industriekomplex in Frankfurt (Oder) heim.
Dort thematisierten die acht polnischen und achtzehn Künstlerinnen aus
Berlin und Brandenburg das Unterwegs-Sein unter dem Titel „Thea, wir fahren
nach Lodz“.
In ihren Frankfurter Ausstellungsräumen, den „Koehlmann-Höfen“, wurde ab
1850 aus Kartoffeln Stärkezucker hergestellt. 1945 demontierten die Sowjets
die meisten Maschinen, seitdem wurden die Fabrikhallen nur noch als
Lagerräume genutzt – und verfielen langsam. Fast alle Fenster zerbrachen
mit der Zeit. Die Künstlerinnen mussten erst einmal einige
Sicherheitsauflagen der Frankfurter Ämter erfüllen und den seit Jahrzehnten
angehäuften Taubendreck in den Hallen beseitigen. In einer türmte er sich
stellenweise bis zu anderthalb Metern. Hier verstellten Izabela Robakowska
und Joanna Szumacher die Tür mit einem Videoabspielgerät, auf dem nun
Interviews mit Leuten zu sehen sind, die über ihre Erfahrungen mit Tauben
berichten.
In der Halle darunter hängte Annette Munk 15 aus Teppichboden genähte
Vogelköpfe auf. Sie schauen auf einige der zurückgebliebenen Taubennester
in der gegenüberliegenden Wand. Für die Tauben ist das „Unterwegs-Sein“ e…
Lebensprinzip, da sie sich immer wieder neue Felsenhöhlen zum Schlafen und
Brüten suchen müssen.
## Ein Spiel mit dem Wind
Wegen der vielen zerbrochenen Fenster weht es ständig durch die riesigen
Hallen, und einige Künstlerinnen nutzten den Wind.
Zum Beispiel Annette Munk, indem sie einen bunten, leicht flatternden
Fliegenvorhang vor eine zugemauerte Tür hängte mit einem beleuchteten
Schild „Ausweiskontrolle“ daneben. Diese Arbeit korrespondiert politisch
und lufttechnisch mit einer von Patricia Pisani, Berliner Künstlerin
argentinischer Herkunft: ein großes Mobile aus sieben rotweißen
Schlagbäumen. Das liegt nahe in der Grenzstadt Frankfurt/Oder.
Die Installation von Antje Scholz „Ins Ungewisse“ besteht aus rund tausend
an die Decke gehängten Bindfäden, zwischen denen zwanzig gestickte
Taschentücher wie zum Abschied leise winken. Selbst ein federleichtes
weißes Bett mit einem Papierkronleuchter darüber schwankt da an dünnen
Fäden hängend im Wind. Monika Czarska wollte damit für ihren verstorbenen
Vater einen „warmen, weißen und sauberen Raum schaffen“.
Besonders windig ist es im Treppenhaus. Hier hängte Renate Hampke, die
schon lange ein Faible für das Ephemere hat, ein Dutzend DDR-Einkaufstüten
aus Papier an langen Bindfäden auf.
Eher gegen den Wind arbeitete Imke Freiberg, indem sie rohe Spanplatten vor
drei kaputte Fensteröffnungen stellte. Diese sind so perforiert, dass sie
ein Blumenmuster ergeben, wobei die Pflanzen aus leeren Blumenkästen zu
wachsen scheinen, die vor den Spanplatten stehen. Claudia Busching hat
dagegen vier heile Hallenfenster gefunden, die sie mit großformatigen Dias
von Straßen in Lodz beklebte.
## Grüße aus der weiten Welt
Zwei Arbeiten will ich noch erwähnen, die übrig gebliebene Dinge aus der
Fabrik nutzten beziehungsweise umfunktionierten. Die Installation
„Sehnsucht“ von Erika Stürmer-Alex besteht aus einem großen Bild, das eine
Frau zeigt, die auf das Meer blickt. Die Wände drumherum sind mit
chinesischen Zeitungen tapeziert, auf denen sie Urlaubspostkarten aus der
weiten Welt geklebt hat. Aus einem Schlüsselkasten wuchern Plastikblumen
und in einem ramponierten Schrank hängen Arbeitsklamotten, drumherum stehen
kaputte Reste einer Büroeinrichtung, auf einer alten Couch liegen Uhren,
die ticken, aber keine Zeit mehr anzeigen, an einem Haken hängt eine
Eisenbahner-Jacke.
Erika Stürmer-Alex, die im Juli mit dem Brandenburgischen Kunstpreis geehrt
wurde und seit mehr als dreißig Jahren auf einem Hof im Oderbruch lebt,
findet so ihren eigenen Rückblick auf Geschichte und Veränderung.
Kerstin Baudis nahm sich eine große Waage vor, die einmal große
Warenmengen, die aus dem Saal darüber kamen, gewogen und dann in den Saal
darunter weitergeleitet hat. Diese Zwischenwaage heißt nun „Identität“.
Ihren Sockel hat sie mit verschiedenen Kästchen beklebt, in denen
Stichworte und kleine Bilder auf Identitätsgefährdendes hinweisen:
Aufbruch, Erwartung, Abgrenzung, Vergleich, Vorurteil, Anpassung,
Grenzüberschreitung, Wiederkehr. All dem aber haben sich die Künstlerinnen
während der gemeinsamen Reisen und der Arbeit an dem Projekt ausgesetzt.
12 Sep 2015
## AUTOREN
Helmut Höge
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.