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# taz.de -- Aufstieg und Niedergang
> GANGSTARAP Die Geschichte von N.W.As Album „Straight Outta Compton“, das
> bei seinem Erscheinen 1988 ein grandioser Durchbruch war
„You are now about to witness the strength of street knowledge“ – so
beginnt der Titeltrack von N.W.As Debütalbum „Straight Outta Compton“,
erschienen 1988. Sie werden viel zitiert in diesen Tagen, meist als Beginn
einer Variante des amerikanischen Traums, die in einem kleinen Studio im
Süden von Los Angeles beginnt und mit dem Verkauf von Dr. Dres
Kopfhörerfirma an Apple endet. Die Geschichte von N.W.A (Niggers with
Attitude) ist eine Ausnahmegeschichte.
Neben Detroit vollzog sich auch in Compton und ganz South Central L.A. mit
dem Wegzug der Autoindustrie der Niedergang der postindustriellen
amerikanischen Innenstadt. Im Laufe der Achtziger hatte General Motors oder
auch Good Year den Stadtteil verlassen und damit 120.000 Menschen
arbeitslos gemacht. Parallel dazu hatte die Reagan-Regierung die Kosten für
soziale Leistungen auf die Bundesstaaten abgewälzt, mit dem Resultat, dass
Bezirke wie Compton die größeren sozialen Konflikte mit einem immer
kleineren Budget bekämpfen mussten. Kein Wunder, dass zur gleichen Zeit
Gangs wie die Bloods oder Crips erstarkten, die sich über den Drogenhandel
finanzierten, aber für viele, etwa die Tennisstars Serena und Venus
Williams, auch eine Art Ersatzfamilie waren.
Mit „Straight Outta Compton“ lieferten N.W.A den Soundtrack zu diesem
Niedergang. Dr. Dre hatte einen Breakbeat, eine Polizeisirene und ein paar
Synthies gesampelt. Darüber lagen Gewaltfantasien mit Texten über abgesägte
Schrotflinten und Maschinengewehren und der Braggadaccio der „crazy
motherfuckers“ MC Ren, der ehemalige Drogendealer Eazy-E und Ice Cube, der
kurz zuvor mit abgeschlossenem Bauzeichnerstudium nach Compton
zurückgekehrt war. N.W.A waren nicht die Ersten, die den Alltag in South
Central für ihre HipHop-Tracks übersteigerten. Schon 1985 hatte der Rapper
Toddy Tee mit seinem Track „Batteram“ geschildert, wie ein Rammpanzer bei
einer Drogenrazzia dort ein Haus niederreißt. Und Ice-Ts „6 in the Mornin“,
die Schilderung eines Hausbesuchs durch das LAPD aus dem Jahr 1987, gilt
heute als einer der ersten Gangsta-Rap-Tracks.
Die Stärke von „Straight Outta Compton“ war dann auch hauptsächlich einer
Schwäche der Konkurrenz von der Ostküste geschuldet. Ein Großteil der
Ostküsten-Rapper wie Public Enemy, De La Soul und Rakim kamen aus Vororten
von New York, in denen sich ihre Familien nach den Erfolgen der
Bürgerrechtsbewegung niederlassen konnten. Dort entwarfen sie HipHop als
ein alternatives, afroamerikanisches Bildungsbürgertum mit einem
Curriculum aus politischer Aufklärung, spirituell-universalistischer
Botschaft und einem Erschließen der afroamerikanischen Musikgeschichte über
den Sampler – ein Wissen, das jeder erwerben konnte. N.W.A inszenierten
sich dagegen als authentische Straßenrapper mit schwarzer Jeans, Basecap
und Bomberjacke und weißen Sneakern – eine Inszenierung, die zu perfekt
war, als dass sie authentisch hätte sein können.
Genau deshalb waren N.W.A auch in der afroamerikanischen Community
umstritten. Musikjournalisten, etwa der Anfang der Neunziger einflussreiche
College-Radio-DJ Davey D, lehnten N.W.A wegen ihrer Homophobie, ihres
Frauenbildes und ihren Gewaltfantasien ab und gerieten damit in ein
Dilemma. Ihre Kritik ähnelte der der konservativen Medien und der
Polizeigewerkschaft, die Gangsta-Rap von N.W.A dazu benutzten, eine härtere
Gesetzgebung gegen schwarze Jugendliche zu fordern. N.W.A tricksten beide
aus – die konservativen Weißen und die progressiven Schwarzen –, indem sie
sich zu alleinigen Deutern ihrer Kunst erklärten. Wie soll man über den
Realitätsgehalt von „Street Knowledge“ diskutieren können, wenn man nicht
dabei war? Durch N.W.A wurde Realness zur Leitwährung von HipHop, die erst
durch den Futurismus von Timbalands offensiver Künstlichkeit gegen Ende
der Neunziger wieder abgewertet wurde.
Christian Werthschulte
27 Aug 2015
## AUTOREN
Christian Werthschulte
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