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# taz.de -- Kolumne 16 mm diederichsen: Das Fell der Bären verteilen
> Und zwar, bevor die Berlinale vorbei ist! An die männliche
> Hauptdarstellung, Ostasiatisches Wetter, Zweitbestes männliches Wiesel
> und Schönste Hotelzimmerbilder
Der beste männliche Nebendarsteller: In "La Rabia" von Albertina Carri,
einem dampfenden Sexualschlachtfest aus der argentinischen Pampa, sieht man
einen jungen Burschen, der einen Sack durch wahnsinnig schöne Bilder
schleppt. Im Sack rumoren leise grunzende Stimmen, wie ein unterforderter
Rindermagen. Der Bursche haut den Sack an einen Baum, bis nichts mehr
rumort. Dann schmeißt er ihn in einen Tümpel, wo er glucksend halb
untergeht. Dann grummelt es wieder. Später sieht man, dass er sich ein
Wiesel in einem Käfig hält, und erfährt, dass im Sack dessen Schwestern
waren. Ich habe selten ein böseres Tier gesehen. Sein Gesichtsausdruck
gehört zum Fauchen, aber man hört nur das mittlerweile eingeführte
Magenknurren. Das macht das Tier noch wütender.
Männliche Hauptdarstellung: Tony Conrad hüpft in dem Kurzfilm, den Marie
Losier über ihn gedreht hat, in einem weißen und einem rosa Anzug herum,
tanzt, erzählt von Jack Smith und La Monte Young, legt hawaiianische
Popmusik auf, spielt seine Mutter in authentischen Klamotten und legt Filme
nach überliefertem Rezept in Einweckgläsern ein. Insgesamt waren diese
gefühlten 15 Minuten doch unterhaltsamer als die auch nicht
unbeeindruckenden drei Stunden, die man mit Michel Auder, seinen vielen
nackten Promi-Geliebten, geangelten und brutal geschlachteten Fischen,
berühmten Ehefrauen (Viva, Cindy Sherman), seinem Heroin, seinen Weinen und
seinem Schwanz (den sein Besitzer sehr mag) in seiner Auto- und
Super-8-Filmo- und Videografie "The Feature" verbringen durfte.
Ostasiatisches Wetter: Im Gegensatz zum Berlinale-Wetter war das der
ostasiatischen Filme in allen Sektionen komplett gleichartig. In allen
südkoreanischen, thailändischen, singapurischen, taiwanesischen,
festlandchinesischen und japanischen Beiträgen herrschte exakt das gleiche
Wetter: schwüle Luft, dunkle Wolken, schwerer Sommerregen unmittelbar
bevorstehend. Sogar in "Night and Day", einem koreanischen Film, der zu 95
Prozent in Paris spielt, herrscht den lieben langen Pariser August,
September und Oktober dieses Wetter. Nach 55 Minuten von "Soul Of A Demon"
von Chang tso-chi (Taiwan) kommt kurz die Sonne raus.
Zweitbestes männliches Wiesel: Keith Richards.
Zweitbeste Filme mit stummen Hauptfiguren: Es gab keinen besten Film in
dieser Berlinale (so far). Aber es gab einige zweitbeste. Das waren Filme,
die sich eine komplette Welt ausdachten, jedes Gesetz für diese Welt
festlegten und danach handelten. Ein Ort am Meer auf Taiwan und eine
vorgelagerte Insel in "Soul of a Demon". Alles wird von den Ehrenhändeln
unter den Triaden und Yakuzas bestimmt, auch und gerade die schwüle Poesie
der Schmetterlinge, Schlangen und der irren Geografie. Die Epiphanien der
Bambuswälder, des Patronhülsengeklackers und der dolchdurchbohrten Därme.
Die Frauen verstummen. Auch "La Rabia" zeigt eine vollkommen autochthone
Filmemacherabgeschiedenheit unter den trieb- und mondlichtgesteuerten
Bauern Argentiniens. Hier verstummen schon kleine Mädchen. In dem allseits
vergötterten "There Will Be Blood" wird der "Sohn" der
Daniel-Day-Lewis-Figur taub. Sagt dann auch nicht mehr viel.
Schönste Hotelzimmerbilder: In "Revanche" von Götz Spielmann fliehen die
ukrainische Prostituierte und der ambivalente Wiener Hilfszuhälter in ein
Hotelzimmer. Dort hängen einmalige, abstrakt-expressionistische Zeichnungen
an der Wand. Im Hotelzimmer, das der schweigsame, melancholische
Gangstersohn und seine verstummte Freundin in "Soul Of A Demon" mieten,
hängt ein umwerfend hilfloses Gemälde, das dieselbe Küstenlinie darstellt,
die einem der Film kurz darauf stolz vom Hubschrauber präsentiert.
Vorsicht mit Foucault-Referaten! In "Tropa de Elite" finden sich Menschen
zu einem Foucault-Referat in einem Soziologie-Seminar zusammen, die sich
besser nie begegnet wären. Das passiert oft bei Foucault-Referaten. Beim
Halten des Referates, das wohl aus strategischen Gründen die Hübsche aus
der Gruppe übernimmt, wird dann auch barer Unsinn geredet.
Kritik der Urteilskraft: In der unerträglich langweiligen japanischen
Faschismus-Aufarbeitung "Kabei" verlangt der von den Bösen inhaftierte gute
Vater, seine, im Übrigen moralisch einwandfreie, Familie und sein
vorbildlicher Lieblingsstudent mögen ihm Bücher von Kant und Nietzsche ins
Gefängnis bringen. Die Titel werden auf Deutsch ausgesprochen. Das waren
heitere Momente! Und die Höhepunkte der 130 Minuten. Später stirbt der
Vater in der Haft. Was aus den Büchern wird, erfährt man nicht.
14 Feb 2008
## AUTOREN
Diedrich Diederichsen
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