# taz.de -- Ein Krieg, der nie enden wird | |
> FRANQUISMUS Almudena Grandes zeigt in „Der Feind meines Vaters“ den | |
> Zwiespalt der Menschen im faschistischen Spanien am Beispiel eines | |
> kleinen Dorfs | |
VON FATMA AYDEMIR | |
Nachts, wenn die Schreie in Ninos Kinderzimmer dringen, nimmt er seine | |
kleine Schwester Pepa in den Arm und singt ihr das längste Lied vor, das er | |
kennt. Sie zeigen einen Film, erzählt er ihr, so wie es ihm einst von | |
seiner großen Schwester erzählt wurde, damit er sich nicht fürchtet. Das | |
Grauen vor der eigenen Haustür zur Fiktion zu erklären, hilft ungemein, es | |
zu bewältigen. Doch der neunjährige Nino hört so oft den dumpfen Aufprall | |
von Körpern, dass er bereits erkennen kann, welcher Stoff anschließend über | |
den Boden schleift, ob es eine Hose ist oder ein Rock. | |
Das ist nicht die einzige scharfsinnige Beobachtung, die der kindliche | |
Protagonist in Almudena Grandes’ Roman „Der Feind meines Vaters“ macht. | |
Offiziell ist im Jahr 1947 der Spanische Bürgerkrieg seit acht Jahren | |
beendet, doch in seinem andalusischen Dorf, so betont Nino immer wieder, | |
herrscht ein Krieg, der nie enden wird. Die Säuberungsaktionen des | |
Franco-Regimes sind in vollem Gange und einer ihrer Vollstrecker ist Ninos | |
Vater, ein Beamter der Guardia Civil. Die Bewusstwerdung darüber, dass der | |
eigene Vater ein Mörder ist und dass womöglich wegen seiner Taten die | |
Terrassen des Dorfes mit schwarzen Kleidern behangen sind, bürdet dem | |
Jungen eine kaum tragbare Schuld auf, deren Abwurf der Leser Schritt für | |
Schritt begleitet. | |
Almudena Grandes ergründet in „Der Feind meines Vaters“ nicht nur | |
perspektivisch, wie der Einzelne sich dem großen Machtapparat einer | |
Diktatur beugt oder ihm Widerstand leisten kann – in Ninos kleiner Welt | |
formiert sich nach und nach ein politisches Bewusstsein –, die Autorin | |
greift damit auch wie in ihrem letzten Roman „Das gefrorene Herz“ ein | |
historisches Thema auf, das im politischen Diskurs Spaniens bis heute | |
weitgehend der Verschwiegenheit unterliegt. Mit General Francos Tod im Jahr | |
1975 kam zwar das Ende seiner Diktatur, doch die Transición – der Übergang | |
Spaniens in eine Demokratie – erfolgte mitunter über das Amnestiegesetz, | |
welches die Verfolgung aller politisch motivierten Verbrechen aus der | |
Franco-Ära untersagt. | |
„Meine Generation, die diese Zeit noch miterlebt hat, trägt die Last der | |
Geschichte noch auf ihren Schultern,“ erzählt Grandes im Interview in | |
Berlin. „In unseren Häusern hängen Bilder von Tanten und Onkeln, deren | |
Geschichten wir nur in Bruchteilen kennen.“ Die Schriftstellerin stand | |
neben dem Filmemacher Pedro Almodóvar und dem Lyriker Marcos Ana in den | |
ersten Reihen des Protestes, als vor drei Jahren das Verfahren der | |
Amtsenthebung gegen Richter Baltasar Garzón eingeleitet wurde. Garzón hatte | |
in über 100.000 Fällen gegen ungesühnte Menschenrechtsverletzungen während | |
des Spanischen Bürgerkriegs (1936–39) und der Zeit der Franco-Diktatur | |
ermittelt. Das wurde ihm zum Verhängnis. Heute ist Garzón mit einem | |
Berufsverbot belegt. | |
„Jahrelang sagte man uns, wir müssten aufpassen, die Demokratie sei noch | |
sehr fragil. Aber die neue Generation, die in unserer noch jungen | |
Demokratie aufgewachsen ist, kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Angst | |
und Unterdrückung sind keine Argumente, mit denen mein Sohn etwas anfangen | |
kann“, so die 52-jährige Autorin. | |
Den Zwiespalt des Volkes im faschistischen Spanien konzentriert Grandes in | |
„Der Feind meines Vaters“ im Mikrokosmos von Ninos kleinem Dorf Fuensanta | |
de Martos. Im Tal leben Menschen, die aus Angst „den Mund halten und mit | |
den Schultern zucken“, sowie die Beamten, die die Dorfbewohner | |
kontrollieren und verdächtigen Regimegegnern – seien es auch die Söhne der | |
eigenen Nachbarn – in den Rücken schießen, weil sie so das Fluchtgesetz | |
anwenden können. Oben in den Bergen leben die Roten, die sich aus freiem | |
Willen vom Dorf und dessen faschistischem System zurückgezogen haben und | |
nur durch Überfälle, Flugblätter und die dicken Bäuche ihrer im Tal | |
hinterlassenen und nachts heimlich besuchten Ehefrauen von sich hören | |
lassen. | |
Genau an der Schwelle von Berg und Tal siedelt Grandes die Figur Pepe an. | |
In der Freundschaft zu diesem scheinbar neutralen Junggesellen findet Nino, | |
der mit Gleichaltrigen sowieso nichts anzufangen weiß, seinen Zufluchtsort. | |
Pepes unabhängiges Leben ohne Familie und ohne Verantwortung sowie sein | |
humanistischer Blick auf das verworrene Geschehen im Dorf prägen Ninos | |
Freiheitsideal. Auch wenn Pepe bis zuletzt den unpolitischen Naiven spielt, | |
der nur an Frauen und Fischen interessiert ist, durchschaut Nino schon bald | |
– auch mithilfe der gründlichen Lektüre der Abenteuerliteratur Jules | |
Vernes’ –, dass nicht nur Pepes Wohnort eine Schnittstelle zwischen | |
Regierung und Revolution darstellt. | |
Dass Literatur in erster Linie immer Fiktion sei, betont Almudena Grandes | |
im Interview mehrmals. Auch wenn die Autorin schon im Vorwort ihres Romans | |
darauf hinweist, dass die Geschichte auf den Kindheitserinnerungen eines | |
Freundes beruht, dürfe die literarische Erzählung nicht mit der | |
Dokumentation verwechselt werden. Andererseits aber stellt sich schon seit | |
jeher die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der überlieferten Historie. Und | |
besonders auf die spärliche Dokumentation aus der Franco-Ära könne man sich | |
nur schwer verlassen, so Grandes. „Meine Erzählungen sollen die Leerstelle | |
zwischen Legende und Geschichtsschreibung füllen. Das allerwichtigste ist | |
mir persönlich dabei die affektive Ebene. Ich möchte dem gegenwärtigen | |
Leser die Empfindungen aus dieser Zeit vermitteln.“ Mit der feinfühligen | |
Geschichte des kleinen Nino ist das Almudena Grandes in der Tat gelungen. | |
■ Almudena Grandes: „Der Feind meines Vaters“. Aus dem Spanischen von | |
Roberto de Hollanda. Hanser, München 2012, 400 Seiten, 19,90 € | |
2 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
FATMA AYDEMIR | |
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