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# taz.de -- „Er war ein faszinierender Anwalt“
> GEDENKEN Vor 80 Jahren verhafteten die Nazis den linken „Arbeiter-Anwalt“
> Hans Litten, er starb 1938 in Dachau. Der Geschäftsführer des Deutschen
> Anwaltvereins (DAV), Cord Brügmann, erklärt, warum Litten Ehre gebührt
INTERVIEW JÖRN WEGNER
taz: Herr Brügmann, der DAV lädt an diesem Mittwoch zu einer
Gedenkveranstaltung für Hans Litten. Das ist eher ungewöhnlich: Ein
Kommunist wird ja heute in Deutschland nicht mehr oft geehrt.
Cord Brügmann: Es gibt einen ganz naheliegenden Grund: Das Büro des DAV
befindet sich seit dem Jahr 2000 in der Littenstraße. Nach dem Umzug haben
wir uns mit Hans Litten beschäftigt und festgestellt, dass er ein
faszinierender Anwalt war. Von daher ist es für uns eine
Selbstverständlichkeit, an jemanden zu erinnern, der sich für den
Rechtsstaat eingesetzt hat, unabhängig davon, woher er kam. Und wenn man
sich anschaut, wie Litten Prozesse geführt hat, war er immer zuerst als
Rechtsanwalt im Interesse seiner Mandanten tätig.
Es gab also keine ideologisch motivierten Gegenstimmen.
Im Gegenteil: Die Beschäftigung mit Personen wie Hans Litten hat
beispielsweise bei örtlichen Anwaltsvereinen Interesse an der Beschäftigung
mit der Lokalgeschichte geweckt.
Hans Litten als parteiischer Jurist – widerspricht das nicht dem Grundethos
des Anwalts, ein neutraler Bewahrer des Rechtsstaats zu sein?
Das ist eine spannende Frage. Anwälte müssen parteiisch sein, und zwar für
ihre Mandanten. Das ist ihre Aufgabe in der Rechtspflege. Anders als ein
Richter, der ein gerechtes Urteil zu sprechen hat. Es gibt Rechtsanwälte,
die tatsächlich als Strafverteidiger jeden vertreten würden. Hans Litten
dagegen hat sich auf Opfer des aufkommenden Nationalsozialismus
konzentriert. Aber das widerspricht nicht dem anwaltlichen Ethos. Litten
hat mit der Parteilichkeit für seine Mandanten gezeigt, dass er ein
hervorragender Anwalt war. Er hat auch nie seine ideologischen
Überzeugungen über die Interessen seiner Mandanten gestellt.
Im Edenpalast-Prozess von 1931, bei dem es um den Überfall von Nazis auf
ein von Arbeitern besuchtes Lokal ging, brachte Litten Adolf Hitler im
Zeugenstand zur Weißglut und entlarvte die NSDAP als kriminelle
Organisation. Inwieweit muss auch heute ein Anwalt politisch denken und
vielleicht auch handeln?
Wie gesagt, ich glaube, ein Anwalt darf politisch sein, aber wenn es hart
auf hart kommt, muss er sein politisches Handeln den Interessen des
Mandanten unterordnen. Ich glaube allerdings, dass die Zeit der politischen
Ideologie in der Anwaltschaft vorbei ist. Es gab in den 70er Jahren eine
Zeit, in der sich auch der DAV nicht mit Ruhm bekleckert hat – indem er
sich etwa von kritischen Strafverteidigern distanzierte, die in den
Terroristenprozessen ihr Mandat vielleicht zu sehr politisch gesehen haben.
Diesen Verteidigern hat er keine Heimat mehr geboten, was ein Fehler war.
Es gab damals Gegengründungen wie den Republikanischen Anwältinnen- und
Anwaltsverein (RAV). Der schrieb in seiner Gründungserklärung 1979, dass
sich der DAV durch „fehlende oder halbherzige“ Politik zur Sicherung der
Bürgerrechte auszeichnete. Ist diese Spaltung heute überwunden?
Ich denke schon. Heute arbeiten wir auf vielen Feldern mit dem RAV
zusammen. Im Bereich der Asyl-, Ausländer- und Menschenrechtspolitik zum
Beispiel ist die Kooperation sehr eng.
Schattenseiten gab es in der Geschichte des DAV aber schon früher. Zum
Beispiel wurde der Verein ohne besonderen Widerstand „gleichgeschaltet“.
Neigten Anwälte vielleicht besonders stark zum Nationalsozialismus? Es
waren ja meist Menschen aus dem konservativen Bürgertum.
Die Geschichte von 1933 war für den DAV kein Ruhmesblatt, weil er im
vorauseilenden Gehorsam agierte und etwa seinen jüdischen
Vorstandsmitgliedern den Rücktritt nahelegte. Ich glaube aber nicht, dass
die Anwälte so konservativ wie etwa die Richterschaft waren. In der
Anwaltschaft hat sich auch das kritische Bürgertum gefunden. Aber dass die
Juristenausbildung seit dem Kaiserreich konservative, staatstragende Bürger
produziert hat, die später der Republik fernstanden, steht völlig außer
Zweifel.
Ist der starke Bezug auf Litten vielleicht auch eine Art Wiedergutmachung?
Gute Frage. Mit Sicherheit hat der DAV viel zu spät angefangen mit dem, was
man „Aufarbeitung“ nennt. Eigentlich haben wir erst im Jahr 2000 begonnen,
uns an die Opfer aus unseren Reihen zu erinnern. Ich bin nicht sicher, ob
man das als Wiedergutmachung bezeichnen soll. Ich glaube aber, dass wir
gerade in unserer nachideologischen Zeit auch Vorbilder brauchen. Und Hans
Litten taugt dafür. Gerade weil er nicht so eine strahlende, typische
Widerstandsfigur war, sondern eine Person, an der man sich reiben kann.
Sie wurden im Fach Geschichte promoviert. Wie kamen Sie dann eigentlich auf
Jura?
Das war umgekehrt. Ich habe als Student in der KZ-Gedenkstätte Dachau
gearbeitet und lernte dort auch Hans Litten und seine Geschichte kennen.
Als Jura-Student wollte ich mich nach dem Examen mit einem
rechtsgeschichtlichen Thema beschäftigen. Und um das historische
Handwerkszeug zu lernen, habe ich nicht in Jura, sondern in Geschichte
promoviert.
Haben Sie aufgrund Ihres persönlichen Interesses die Ehrung für Hans Litten
vorangetrieben oder kam das aus der Mitte des DAV?
Ich will mir das nicht anheften. Gute Ideen haben viele Väter und Mütter.
Jedenfalls waren im Verband keine Widerstände zu überwinden. Als wir vor
einigen Jahren feststellten, dass wir 2013 den 75. Todestag Littens begehen
können und dass sich die Machtübertragung an die Nationalsozialisten zum
80. Mal jährt, war uns klar, dass es eine Gedenkveranstaltung geben würde.
Und was folgt für den DAV aus der Beschäftigung mit der Person Litten?
Nur ein Beispiel: Vor rund zehn Jahren haben wir die Stiftung Contra
Rechtsextremismus eingerichtet. Die unterstützt Anwälte, die Opfer von
rechtsextremer Gewalt vertreten. Diejenigen, die die Stiftung gründeten,
taten das nicht nur angesichts der damaligen rechtsextremistischen Morde,
sondern weil sie aufgrund ihrer Beschäftigung mit der Vergangenheit, auch
angesichts der schwierigen Verbandsgeschichte, eine gute Tradition aufbauen
oder weiterführenwollten. Die Tatsache, dass unsere Stiftung zehn Jahre
nach ihrer Gründung mehr Gelder denn je ausschütten muss, zeigt, dass sie
dringend notwendig ist.
■ Gedenkveranstaltung des Deutschen Anwaltvereins heute um 19 Uhr in der
Mendelssohn-Remise, Jägerstraße 51
27 Feb 2013
## AUTOREN
JÖRN WEGNER
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