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# taz.de -- Ehre in Neon
> Das renommierte Virginia-Theater am New Yorker Broadway nennt sich jetzt
> August-Wilson-Theater
Nicht dass an überlebensgroßen Neonschildern ein Mangel herrschte am
Broadway, dem mythenumwobenen und krisengeschüttelten Theaterbezirk in New
York. Seitdem die meisten der über vierzig Theater zwischen sechster und
achter Avenue und 42. und 53. Straße mit kitschigen Musicalnummern und
schwindelerregenden Werbebudgets versuchen, die Touristenmassen Manhattans
ins Theater zu locken, gleicht das Viertel in der Nachbarschaft des Times
Square einem geradezu explodierenden Lichterdschungel. Aber das neue
Neonschild am ehemaligen Virginia-Theater sticht trotzdem hervor. Es zeigt
die geschwungene Unterschrift des Anfang Oktober im Alter von 60 Jahren
verstorbenen Dramatikers August Wilson.
Viele hielten den mit zwei Pulitzer-Preisen und vielen Tonys
ausgezeichneten Wilson für den wichtigsten zeitgenössischen Theatermacher
in den USA. Seine Broadway-Premieren im Virginia waren seit Anfang der
1980er ein innig verehrtes New Yorker Ritual. Sein ambitionierter,
zehnteiliger Theaterzyklus – „Fences“ („Zäune“) und „The Piano Les…
(„Die Klavierstunde“) sind die bekanntesten Arbeiten darunter – knüpfte
bewusst an das dramatische Erbe von Arthur Miller und Tennessee Williams
an. Doch indem er ein Jahrhundert afroamerikanischer Kultur in den
Mittelpunkt rückte, wirbelte Wilson den Staub in dem heute etwas
altmodischen Genre auf und entdeckte seinen tief empfundenen, politischen
Kern wieder.
Jedes der zehn Dramen spielt im überwiegend schwarzen Pittsburgher Hill
District und widmet sich einem Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Der Zyklus
erzählt keine fortführende Saga. Er gewinnt seine Einheit durch seinen Ort,
seine Themen und seinen lyrischen Stil. Auch heute noch wird in den USA
schwarzer Slang oft mit Ghettoleben und einem Mangel an Bildung assoziiert.
Wilson fand darin eine melodische Sprachpoesie, die an die musikalischen
Rhythmen von Jazz und Blues erinnerte. Es ging ihm dabei nicht um eine
Lehrbuch-Geschichte der afroamerikanischen Lebenserfahrung. Seine Dramen
entwerfen das große Bild indirekt – durch kleine Begebenheiten des
alltäglichen Lebens, seiner Rituale und seines Gemeinsinns, seiner
ureigenen Ideen von Schönheit und Gerechtigkeit.
Als rigoroser Verfechter eines strikt schwarzen Minderheiten-Theaters stieß
Wilson häufig auf heftige Kritik. Doch ohne seine legendäre Sturheit, mit
der er Hollywoodangebote ebenso wie farbenblindes Casting ablehnte, wäre
afroamerikanisches Theater und Kino kaum denkbar. Er verhalf nicht nur
Schauspielern wie Samuel L. Jackson oder Laurence Fishburne zu zuvor
praktisch unmöglichen Karrieren, er erschuf auch ein Genre von Geschichten,
deren bekannte Motive und typische Charaktere selbst noch die Grundlage für
die jüngsten schwarzen Hollywoodklamotten „White Chicks“ und „Barber Sho…
darstellen. Die besondere, nur schwer übersetzbare Sprache seiner Arbeiten
und ihre enge Themenwahl bedeuteten andererseits aber auch, dass sie fast
nie auf europäischen Bühnen zu sehen waren: Hier warten sie noch auf ihre
Entdeckung.
August Wilson ist der erste Afroamerikaner, dessen Name Pate für ein
Broadway-Theater steht. Er reiht sich damit in eine illustre Reihe
amerikanischer Theatergrößen von George Gershwin bis Eugene O’Neill ein.
Doch die Umbenennung des Virginia-Theaters ist mehr als nur ein nettes
Zeichen, deutet sie doch auch auf den Wunsch nach einem anspruchsvollen
Sprechtheater in Manhattan hin – und auf den Verlust, den Wilson für dieses
Theater darstellt. In den letzten Jahren zeichnete sich der Trend ab,
Theater nach Großunternehmen wie American Airlines oder Hilton zu taufen.
Das August-Wilson-Theater ist ein wichtiger Schritt in die Gegenrichtung.
DANIEL SCHREIBER
1 Dec 2005
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DANIEL SCHREIBER
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