# taz.de -- Eigene Geschichten von Eigeninitiativen | |
> SUBKULTUR OST „Die Behauptung des Raumes“ nennt Claus Löser seinen | |
> Dokumentarfilm über die unabhängige Kunstszene in der DDR. Die alten | |
> Super-8-Filme, Fotos und Videoschnipsel entwickeln verrückten Charme | |
VON BRIGITTE WERNEBURG | |
Im Vordergrund ist die Assistentin an der Empfangstheke von Eigen + Art auf | |
dem Gelände der Leipziger Baumwollspinnerei zu sehen. Hinten läuft Galerist | |
Gerd Harry „Judy“ Lybke, das Mobiltelefon am Ohr, durch die hohen | |
Galerieräume. Gemeinsam mit der Kamera warten wir darauf, dass der | |
Stargalerist, der Künstler wie Neo Rauch, Matthias Weischer, Jörg Herold | |
oder Carsten und Olaf Nicolai vertritt, sein Telefonat beendet. Als er dann | |
plötzlich mit uns spricht, hat er sich stark verjüngt. Auf die Frage, was | |
ihm Kunst bedeute, antwortet da 1988 ein schmaler Geselle mit wilder | |
Lockenmähne: wie er lebe und wie er mit sich selbst umgehe. | |
Mit diesem Schnitt gelingt Claus Löser gleich zu Beginn seines | |
Dokumentarfilms „Behauptung des Raums. Wege unabhängiger Ausstellungskultur | |
in der DDR“ eine großartige Montage. Denn sofort präzisieren sich die | |
Assoziationen zum Galerienamen Eigen + Art. Vor allem meint man zu | |
verstehen, warum Judy Lybke nach der Wende 1989 einfach ein erfolgreicher | |
Galerist werden musste. | |
Claus Löser erzählt die Geschichte der Eigeninitiativen, in denen sich | |
junge Maler, Bildhauer, Fotografen, Filmemacher und andere Kunstfreunde | |
Freiräume jenseits der staatlich kontrollierten Ausstellungskultur schufen, | |
vom Ende der DDR in die 70er-Jahre zurück. Judy Lybke steht für das Ende | |
dieser Abfolge kultureller und künstlerischer Renitenz, für die die Rede | |
von der Ausstellungskultur vielleicht ein bisschen hoch gegriffen ist. Denn | |
es waren doch eine sehr überschaubare Zahl von Künstlern und eine noch viel | |
überschaubarere Zahl von Kunstvermittlern und Organisatoren, die sich immer | |
wieder von Neuem ihre Refugien geistiger Autonomie erkämpften. | |
Hartwig Ebersbach, Lutz Dammbeck, Else Gabriel, Jörg Herold, Johannes | |
Jansen, Gregor-Torsten Kozik, Gerd Harry Lybke, Michael Morgner, Carsten | |
Nicolai, Olaf Nicolai, Akos Novaky, Thomas Ranft, Jürgen Schweinebraden und | |
Christoph Tannert heißen die widerständigen Protagonisten, die bei Claus | |
Löser und seiner Koautorin Jakobine Motz in den aktuellen Interviewpassagen | |
des Films zu Wort kommen. Der vor wenigen Tagen verstorbene Klaus Werner, | |
der von 1973 bis 1981 geschickt an den staatlichen Vorgaben vorbei die | |
Berliner Galerie „Arkade“ leitete und eine wichtige Rolle bei den | |
sogenannten Pleinairs um die Künstlergruppe „Clara Mosch“ spielte, kommt | |
leider etwas zu kurz; wohl wegen seiner Erkrankung. | |
Das zu erklären ist Claus Löser aber nicht möglich aufgrund der Anlage | |
seines Films, in dem die Projekte, mit denen die Erosion der staatlichen | |
Kontrolle stückweise vorangetrieben wurde, durchweg über die Eigenaussagen | |
der Beteiligten rekonstruiert werden. Die Montage aus originalem | |
zeitgenössischem Super-8-Material und aktuellen Interviews mit den | |
entscheidenden Protagonisten ist also nicht nur – wie in der Passage mit | |
Judy Lybke zu sehen – eine Stärke, sondern auch eine Schwäche seines Films. | |
Das liegt nicht nur an der Verfügbarkeit des Originalmaterials oder der | |
beteiligten Personen, es liegt auch an deren unterschiedlicher, mal eher | |
analytisch-distanzierter, mal eher verklärender und emotionaler Art, sich | |
zu erinnern. | |
Claus Löser ist sich dieses Problems bewusst und spielt es im Film als | |
erhellendes Spannungsmoment aus. Schwerer tut er sich damit, die wirkliche | |
Dramatik der Konflikte und Verletzungen zu rekapitulieren. Sie resultierten | |
aus Stasiintrigen wie etwa im Fall der von 1977 bis 1981 in Karl-Marx-Stadt | |
bestehenden Gruppierung „Clara Mosch“ oder entstanden aufgrund eines | |
Generationenkonflikts wie im Fall von Eigen + Art: Produzentengalerie der | |
Leute um den 1. Leipziger Herbstsalon versus Privatgalerie von Judy Lybke | |
und seinen Künstlerfreunden. | |
Die „Behauptung des Raums“ gestaltet sich dadurch etwas zu unkompliziert. | |
Allerdings fällt das gegenüber dem Einblick in die Subkultur der DDR, den | |
das bisher unveröffentlichte Material erlaubt, kaum ins Gewicht. Löser, der | |
1962 in Karl-Marx-Stadt geborene Filmhistoriker, taz-Autor, Gründer eines | |
eigenen Filmarchivs und Programmgestalter im Kino in der Brotfabrik, weiß | |
diesen Schatz zu nutzen. Er weiß um den verrückten Charme seines Materials, | |
wenn etwa eine riesige Leinwand ohne weitere Hilfsmittel von Hand zu Hand | |
ihren Weg aus dem ersten Stock eines Hinterhauses in den Hof und von dort | |
auf einen aberwitzig altmodisch aussehenden Lastwagen findet, um im 1. | |
Herbstsalon im Messehaus am Markt in Leipzig ausgestellt zu werden – und | |
lässt es ungeschnitten. | |
Aus diesem klugen Umgang mit alten Filmen, Fotos und Videos erwächst denn | |
auch eine ganz eigene Spannung des Films, unabhängig von der an sich schon | |
spannenden Geschichte der Gründung der ersten Privatgalerie der DDR: 1974 | |
machte in Ostberlin der Psychologe Jürgen Schweinebraden das Publikum mit | |
Westkunst wie Mail art, Konzeptkunst, Performance und Video bekannt. | |
■ „Behauptung des Raums. Wege unabhängiger Ausstellungskultur in der DDR�… | |
Buch: Claus Löser, Jakobine Motz. 100 Min. Deutschland 2009. Am Freitag im | |
Arsenal, 20 Uhr, mit Claus Löser und Jakobine Motz. Ab 21. Januar täglich | |
um 20 Uhr in der Brotfabrik | |
14 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
BRIGITTE WERNEBURG | |
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