# taz.de -- „Meine Literatur ist auch eine Art Rache“ | |
> AUBERGINEN Die erstaunliche Karriere des Abbas Khider: Vor dreizehn | |
> Jahren griff ihn die bayerische Grenzpolizei auf. Heute ist der | |
> politische Flüchtling aus dem Irak ein angesehener Schriftsteller in | |
> Deutschland. Soeben ist sein dritter Roman erschienen | |
INTERVIEW ANDREAS FANIZADEH | |
sonntaz: Wie kam es zum Titel Ihres neuen Buches „Brief in die | |
Auberginenrepublik“, was ist damit gemeint? | |
Abbas Khider: Von 1991 bis 2003 gab es ein Handelsembargo gegen den Irak | |
des Saddam Hussein. Viele Iraker hatten in dieser Zeit nicht viel zu Essen. | |
Es gab vor allem Auberginen. Deswegen nannten gerade die Jüngeren den Irak | |
eine Auberginenrepublik. Immer wenn das Gerede vom Irak, der alten Kultur, | |
dem Meer anfing, sagten wir: Genau, Auberginenrepublik. Meine Mutter nannte | |
die Aubergine die Herrin der Küche, Königin der Bratpfanne. Sie hat | |
Auberginen gedünstet, gebraten, Suppe oder Chips aus der Schale gemacht. So | |
kommt es zu dem Titel „Brief in die Auberginenrepublik“. | |
Der Titel deutet es bereits an, ein Brief wird auf eine Reise in den Irak | |
geschickt. Sie selber wurden 1973 in Bagdad geboren, mussten aber 1996 das | |
Land verlassen. Warum? | |
Ich gehöre zu der Generation von 1991. Damals hatte Saddam Hussein gerade | |
den Krieg in Folge seines Überfalls auf Kuwait verloren. Wir waren jung und | |
wütend. Es kam zur Revolution gegen Saddam Hussein, doch wir scheiterten. | |
Woran? | |
Viele wollten, dass Saddam an der Macht bleibt, arabische Staaten genauso | |
wie westliche. Als junger Mann habe ich gegen Saddam Hussein gekämpft. | |
Verbotene Literatur verkauft, Flugblätter verteilt. Dann wurde ich | |
verhaftet. Hockte zwei Jahre im Knast. Nach meiner Entlassung 1996 bin ich | |
abgehauen. | |
Als politischer Flüchtling lebten Sie einige Jahre in verschiedenen Staaten | |
als Illegaler. Wie sind Sie 2000 nach Deutschland gekommen? | |
Ich wollte nach Schweden. Ich hatte gehört, dass es in Schweden bessere | |
Möglichkeiten gäbe, Unterstützung vom Staat zu bekommen, die Sprache zu | |
lernen, um wieder studieren zu können. Ich befand mich illegal im Zug über | |
München Richtung Hamburg. Irgendwann hielt der Zug in einer kleinen Stadt, | |
Ansbach in Bayern. Dort wurde ich von bayerischen Polizisten verhaftet. | |
Also denen haben wir zu verdanken, dass Sie jetzt hier sind? | |
Ja. Sie nahmen meine Fingerabdrücke und erklärten mir, ich könne nun | |
nirgendwo anders in der EU mehr Asyl beantragen als in Deutschland. Das | |
Land zu verlassen, sei eine Straftat. Seitdem bin ich hier. So war das. | |
Hatten Sie in Bagdad bereits studiert? | |
Zwei Semester lang, dann wurde ich verhaftet. | |
Welches Fach? | |
Finanzwissenschaft. Das wollte ich nicht. Aber der Staat, das | |
Bildungsministerium hatten es mir nach meinem Abitur so vorgeschrieben. | |
Man stellt sich Ihren Anfang in Deutschland nicht ganz einfach vor: | |
Arabischer Flüchtling, Ansbach, Asyl. Nun steht in Ihrer Biographie, | |
„studierte Literatur und Philosophie in München und Potsdam“. Wie kam es | |
denn dazu? | |
Ich wollte immer Literatur lesen und schreiben. Als Kind habe ich zum | |
Beispiel Comics gemacht. Übrigens, mein Vater war Anhänger von Saddam | |
Hussein, er hat ihn geliebt. Ich habe ihn und Saddam gehasst. | |
Aber als Siebenjähriger doch noch nicht? | |
Doch, wirklich als Siebenjähriger. Mein Vater hatte meinen Bruder | |
gezwungen, in den Krieg gegen den Iran zu ziehen. Mein Anfang in | |
Deutschland war 2000 natürlich schwer. Ich musste drei Arten von | |
Schulabschlüssen nachholen, bis ich studieren durfte. Arabische Schule, | |
Fernschule, Studienkolleg – alle möglichen Prüfungen. Das hat vier Jahre | |
gedauert. | |
Sie haben sich aber nicht aufhalten lassen. | |
Nein, man muss hartnäckig sein. | |
In Ihrem jetzigen Buch gibt es eine Geschichte, in der ein Vater seinen | |
Sohn in den Krieg schickt oder zwingt und der nicht überlebt. Kam Ihr | |
Bruder zurück aus dem Krieg? | |
Ja, zum Glück. „Brief in die Auberginenrepublik“ ist also kein reiner | |
Tatsachenroman. | |
Vielen Schriftstellern gilt gerade ihre Muttersprache als unersetzlich. | |
Oskar Maria Graf konnte sich zum Beispiel während der NS-Zeit im | |
amerikanischen Exil nie mit Englisch anfreunden. Sie schreiben Ihre Bücher | |
nun im Original auf Deutsch. Können Sie inzwischen besser Deutsch als | |
Arabisch? | |
Nein, das glaube ich nicht. Aber ich lebe seit fast zwanzig Jahren im Exil. | |
Früher waren meine Bücher im Irak verboten. Ich habe im Exil zwei | |
Gedichtbände auf Arabisch geschrieben. Ein anderes Buch trägt den Titel | |
„Literatur und Diktatur in der arabischen Welt“ und das kann man nirgendwo | |
kaufen. Es kam die Zeit, in der ich mich fragte, wo mein Publikum wirklich | |
ist. Ich begann im Exil nach einem Publikum zu suchen. Ich glaube, dieses | |
Problem kannten auch deutsche Exilautoren in Mexiko oder USA. Hinzu kommt, | |
dass ich über Diktaturen, Kriege und Sexualität schreibe, Dinge, die man in | |
der arabischen Welt nicht gerne hört. Auch meine arabischen Bücher sind ja | |
früher bei Exilverlagen erschienen. | |
Aber Sie hätten ja dennoch jetzt weiter auf Arabisch schreiben und sich | |
übersetzen lassen können? | |
Ich habe angefangen auf Deutsch zu schreiben, weil ich irgendwann nicht | |
mehr auf Arabisch schreiben konnte. Und das hat mit 2007 zu tun. Ich verlor | |
damals meine Schwester und ihre drei Kinder durch einen Bombenanschlag in | |
Bagdad. Ich hatte ohnehin ein großes Problem mit der arabischen Sprache und | |
Kultur, und plötzlich habe ich vier Menschen verloren. Danach hat sich mein | |
Leben geteilt, in eine Zeit vor 2007 und eine danach. Ich suchte irgendwie | |
eine Möglichkeit, mich auszudrücken. Auf Arabisch konnte ich das nicht | |
mehr. Die deutsche Sprache war wie ein Zufluchtsort für mich. Ein Ort, an | |
dem ich träumen, Freiheit und Distanz zu meinen Schmerzen und der | |
Vergangenheit haben konnte. Meine Literatur ist auch eine Art Rache. Ich | |
räche mich an Polizei und Diktatur, an Mördern und Verbrechern, auch in | |
meinem neuen Buch, an Reichen und Unternehmen, die die Diktaturen | |
unterstützen. | |
Saddam Hussein und sein Regime wurde vor zehn Jahren durch eine | |
ausländische Militärintervention gestürzt. Sind Sie seither in das Land | |
gereist, wie haben sie die Situation nach 2003 wahrgenommen? | |
2003 bin ich für fast ein Jahr im Irak geblieben. Ich war 2004 dort und | |
zuletzt 2012. Ich bin fast jährlich einmal im Irak und verfolge die | |
Situation im Lande. | |
Und was beobachten Sie dort, wie empfinden Sie die Situation zehn Jahre | |
nach dem Regimewechsel? | |
Ich erzähle mal eine kurze Geschichte aus dem Jahr 2004. Da war meine | |
Mutter krank und zu Hause. Ich war im Zentrum von Bagdad und wollte Blumen | |
für sie kaufen. Rosen, ganz normale Rosen. Das Zentrum von Bagdad ist | |
richtig groß. Ich habe zwei Stunden nach einem Blumengeschäft gesucht und | |
nichts gefunden. Außer drei Läden mit Plastikblumen. Aber kein einziges | |
normales Blumengeschäft. Und ich glaube, das ist das Problem des Irak: Es | |
gibt eine Kultur von Plastikblumen, aber keine echten Blumen. Und das ist | |
das, was die Amerikaner auch hinterlassen haben. Die Situation ist | |
dramatisch, Kultur spielt kaum eine Rolle. Und das heißt: keine Zukunft für | |
Leute wie mich. | |
In „Brief in die Auberginenrepublik“ lassen Sie den irakischen Flüchtling | |
Salim im Jahr 1999 einen Brief an seine Geliebte in Bagdad schreiben. Es | |
war die Zeit vor Internet und Facebook. Aus dem Stadtteil „Gaddafi-City“ in | |
Bengasi, Libyen lassen Sie diesen Brief von verschiedenen Personen, deren | |
Geschichten Sie dabei erzählen, über Ägypten, Jordanien bis an sein Ziel im | |
Irak illegal transportieren. Inwieweit griffen Sie für ihren Roman auf | |
Notizen oder Tagebuchaufzeichnungen aus Ihrer Zeit als Flüchtling zurück? | |
Als Illegaler hatte ich keine Zeit für so etwas. Vieles ist aus der | |
Erinnerung geschrieben und gibt natürlich Eindrücke aus meinen damaligen | |
Leben wieder. Die verschiedenen Figuren, der Taxifahrer, der | |
Reisebüroleiter, die Frau, der Polizist. Die Route des Briefes war ja zuvor | |
– nur in die andere Richtung – auch meine gewesen. Von Bagdad, Saddam-City | |
bis Bengasi, Gaddafi-City. Ich habe viele Länder kennengelernt und | |
Erfahrungen gesammelt. Das hilft beim Schreiben. Ich glaube, die beste | |
Recherche ist das wirkliche Leben. Die Figuren, die in meinen Erzählungen | |
auftauchen, sind oft aus den Eigenschaften von drei, vier Menschen, die ich | |
kennenlernte, zusammengesetzt. So nah wie möglich am realen Leben. | |
6 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
ANDREAS FANIZADEH | |
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