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# taz.de -- Putsch nach Drehbuch
> HONDURAS Im Juni letzten Jahres putschte die Oligarchie gegen Präsident
> José Manuel Zelaya. Ein klassisches Drama aus Mittelamerika
VON TONI KEPPELER
Am 28. Juni 2009 beginnt in Honduras die „Operation Charly“. Der amtierende
Präsident José Manuel Zelaya soll gestürzt werden, weil er den Interessen
der das Land beherrschenden Oligarchie im Wege steht.
2.00 Uhr am Morgen In vielen Kasernen in Honduras herrscht um diese Zeit
schon Hochbetrieb. Insgesamt fünf Bataillone, zusammen mindestens 2.500
Soldaten, rücken aus. Sie verlassen ihre Quartiere in kleinen Gruppen. Sie
wollen kein Aufsehen erregen. In den nächsten Stunden werden sie
strategisch wichtige Punkte im ganzen Land besetzen: die Flughäfen
„Toncontín“ in der Hauptstadt Tegucigalpa, „Ramón Villeda Morales“ in…
Industriestadt San Pedro Sula und „Golosón“ in der Hafenstadt La Ceiba an
der Karibikküste. Dazu die wichtigsten Telekommunikationsgesellschaften,
die Zentrale der Wasser- und Stromgesellschaft, den Präsidentenpalast, das
Parlament und den Obersten Gerichtshof. An den fünf großen Ausfallstraßen
der Hauptstadt fahren Panzer auf.
5.00 Uhr Die Spezialeinheit „Cores“ schleicht sich an die Residenz von
Präsident José Manuel Zelaya heran. Die Männer tragen schwarze Overalls und
haben die Gesichter mit schwarzen Sturmhauben vermummt. Ein Teil ist mit
Galil-Maschinenpistolen und Mini-Uzis bewaffnet, der andere mit M-16- und
FAL-Sturmgewehren. Drinnen im Haus ist es dunkel und ruhig. Auch die
Beamten der Stadtpolizei in einem Patrouillenwagen auf der Straße davor
schlafen friedlich. Sechs Soldaten mit Galils nähern sich auf Zehenspitzen,
öffnen auf Kommando alle Türen und einer zischt: „Ruhe! Keine Bewegung! Die
Waffen runter! Euch wird nichts passieren.“ Die Polizisten glauben an einen
Überfall. „Wenn ihr Geld wollt, ihr könnt alles haben“, sagt einer.
„Quatsch“, zischt der Soldat. „Wir sind vom Heer und werden das Haus des
Präsidenten durchsuchen.“ – „Und was haben wir damit zu tun?“ – „N…
Ihr seid ruhig und wartet, bis alles vorbei ist. Und wenn ihr nicht
mitspielt, sterbt ihr.“
Nach honduranischem Recht sind Hausdurchsuchungen vor sechs Uhr morgens und
nach sechs Uhr am Abend verboten. Doch schon kurz vor halb sechs bemerkt
ein zur Wache abgestellter Polizist im Haus verdächtige Bewegungen, draußen
zwischen den Palmen im Garten. Er feuert einen Warnschuss ab und ruft:
„Jemand greift uns an!“ Von draußen wird zurückgeschossen. Sofort ist die
Ehrenwache des Präsidenten auf Posten. „Ergebt euch oder wir machen euch
nieder!“, ruft einer der Angreifer über ein Megafon. Das Schloss des
Haupteingangs wird aufgeschossen, die schwarzen Männer stürmen herein. Die
Verteidiger senken ihre Waffen. Verzweifelt ruft der Chef der Ehrenwache
beim Generalstab an: „Die Präsidentenresidenz wird überfallen!“ Dort
wundert man sich nur über den frühen Zeitpunkt.
Die Soldaten stürmen zum Schlafzimmer des Präsidenten, schieben die
Ehrenwache zur Seite. Ihr Anführer klopft. Zelaya öffnet die Tür einen
Spalt. Im fahlen Licht des beginnenden Morgens erkennt der Angreifer
zunächst nur den pechschwarzen Schnauzer im blassen Gesicht des großen
Mannes. Schnell stellt er seinen Fuß in die Tür und stemmt sie auf. Er und
eine Handvoll weiterer Soldaten drängen ins Schlafzimmer. „Das könnt ihr
doch nicht machen“, sagt Zelaya verdattert. Und dann im Befehlston: „Ich
will sofort General Vásquez sprechen!“ Ein Soldat antwortet barsch: „Lass
den Scheiß.“ Zelaya insistiert: „Ich bin der Präsident!“ Und der Soldat:
„Welcher Präsident?“ Zelaya wird noch blasser: „Ihr werdet mich doch nic…
umbringen?“ Ein zweiter Soldat mischt sich ein: „Es wird Ihnen nichts
passieren. Seien Sie beruhigt und haben Sie Vertrauen.“ Zelaya: „Danke.“
Der zweite Soldat: „Ziehen Sie sich was an.“ Der Präsident verlangt nach
seinem Telefon und seinen Stiefeln und zieht sich schnell Hose und Jackett
über den Schlafanzug.
5:50 Uhr Zelaya wird zu einem der vor dem Haus wartenden Fahrzeuge geführt
und zum Flughafen gebracht. Von dort fliegt man ihn nach Costa Rica aus.
Seinen Cowboyhut – ein Modell der Marke Stetson – wird ihm erst später
nachgebracht. Er soll in den nächsten Wochen zum Markenzeichen des
gestürzten Präsidenten werden.
6.00 Uhr Ein F-5-Jagdbomber rast im Tiefflug über die vielen Hügel der
Hauptstadt und durchbricht mit einem lauten Knall die Schallmauer. Das ist
das Signal für Coronel Oscar Orlando Reyes. Der sitzt am roten Knopf der
Nationalen Energiegesellschaft und stellt den Strom im ganzen Land ab.
An diesem 28. Juni 2009 erlebte Honduras einen Militärputsch nach dem
Lehrbuch lateinamerikanischer Diktatoren der Sechziger-, Siebziger- und
Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Das einzig ungewöhnliche an
diesem Staatsstreich war, dass er nicht von den Generälen selbst, sondern
von vier Zivilisten ausgeheckt wurde: vom Parlamentspräsidenten Roberto
Micheletti, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Jorge Rivera, dem
Generalstaatsanwalt Luis Alberto Rubí und dem staatlichen
Menschenrechtsbeauftragten Ramón Custodio. Alle vier gehören – wie übrigens
auch Zelaya – zur schmalen und reichen Oligarchie des mittelamerikanischen
Landes. Die Militärs waren ihre willigen Helfer.
Die Nachrichtenagenturen kolportierten, Militär und Oligarchen hätten
geputscht, weil Zelaya versucht habe, sich mit einer Verfassungsänderung
eine zweite Amtszeit zu genehmigen. Das stimmt so nicht. Zelaya wollte zwar
die Verfassung ändern, aber über eine Verfassunggebende Versammlung sollte
erst am Tag der Präsidentschaftswahl am 29. November abgestimmt werden.
Zelaya wollte an diesem Tag neben die Urnen für Präsidentschafts-,
Parlaments- und Bürgermeisterwahl noch eine vierte Urne aufstellen lassen.
Da er selbst gar nicht zur Wahl stand, weil die noch geltende Verfassung
eine Wiederwahl ausschließt, hätte er mit oder ohne Verfassungsänderung am
27. Januar die Macht abgeben müssen.
Doch darauf kam es gar nicht an. Die vierte Urne war für Micheletti und
seine Freunde nur ein Vorwand. Viel mehr als Zelaya fürchten sie Hugo
Chávez, den Präsidenten von Venezuela. Der hatte es zu Hause geschafft, die
seit Jahrzehnten unangefochten herrschende Oligarchie in die politische
Bedeutungslosigkeit abzudrängen. Mehrere Verfassungsänderungen waren
wichtige Instrumente seiner Strategie. Chávez ist das rote Tuch aller
Oligarchen Lateinamerikas. Gegen seinen Einfluss wehren sie sich mit Zähnen
und Klauen, und wenn es sein muss, mit einem Putsch. Zelaya hatte Honduras
in das von Chávez und Fidel Castro gegründete linke Wirtschaftsbündnis Alba
geführt. Diese Nähe zum Oligarchenfresser aus Caracas war seine Todsünde.
Der Streit um die vierte Urne wurde systematisch angeheizt. Der Oberste
Gerichtshof verbot sie, Zelaya wehrte sich und rief für den 28. Juni zu
einer Volksabstimmung über die Aufstellung dieser Urne auf. Doch auch die
verbot der Oberste Gerichtshof. Zu Volksabstimmungen dürfe nach der
Verfassung nur das Parlament aufrufen. Also nannte Zelaya das Referendum in
eine unverbindliche Volksbefragung um, mit der er lediglich politischen
Druck hätte ausüben können. Die Armee sollte für die Organisation
verantwortlich sein. Doch General Romeo Vásquez, der Chef des Generalstabs,
weigerte sich – und wurde am 24. Juni von seinem Oberbefehlshaber Zelaya
entlassen.
Das war der Oligarchie zu viel. Generalstaatsanwalt Rubí bestellte Vásquez
ein und fragte ihn: „Sind sie bereit, auf Ihrem Posten zu bleiben?“ Und als
der die Frage nicht verstand, erklärte ihm der oberste Strafverfolger: „Es
liegt kein legaler Grund für eine Entlassung vor.“ Vásquez stieg mit ins
Boot der Verschwörer. Am nächsten Morgen um acht schickte Rubí eine
Beschwerde gegen die Entlassung an den Obersten Gerichtshof und der
entschied schon drei Stunden später: Diesem Einspruch wird stattgegeben. Um
auf Nummer sicher zu gehen, ließ Rubí am selben 25. Juni die schon
vorbereiteten Urnen für die Volksbefragung beschlagnahmen und in eine Halle
des Luftwaffenstützpunkts von Tegucigalpa bringen.
Dort standen sie hinter einem gelben Absperrband aus Plastik und einem
Schild mit der Aufschrift „Nicht berühren! Beschlagnahmt!“, als Zelaya am
Nachmittag des selben Tags an der Spitze einer kleinen Demonstration in die
Halle stürmte und symbolisch ein paar der Abstimmungskartons mitnahm. Die
Befragung, sagte er, werde in jedem Fall stattfinden.
Es war wohl an Dummheit grenzende Naivität, dass Zelaya in der Nacht zum
28. Juni ruhig in der Präsidentenresidenz schlief. Schon am 26. Juni hatte
der Oberste Gerichtshof einen Durchsuchungsbefehl ausgestellt: Das „Haus
des Präsidenten, Colonia Tres Caminos, 4. Straße, 2. Haus links“ solle
„zwischen 6 Uhr morgens und 6 Uhr abends“ durchsucht, der Hausherr „den
zuständigen Strafverfolgungsbehörden überstellt“ werden. Der Vorwurf:
„Vaterlandsverrat, Amtsmissbrauch, Aneignung von Funktionen, die ihm nicht
zustehen“.
11:55 Uhr Das Parlament tritt zusammen. Der schlichte Betonbau im Zentrum
der Hauptstadt wird von ein paar hundert Soldaten bewacht. Kurz nach zwölf
betritt Micheletti den Sitzungssaal, umringt von seinen Helfern. Der kleine
dicke Mann mit den weißen Haaren trägt zum dunklen Anzug eine rote Krawatte
– die Farbe seiner liberalen Partei, die auch die Partei von Zelaya ist.
Beifall und Hochrufe schlagen ihm entgegen. Er winkt ab. „Der Sieg gehört
uns allen“, sagt er. Seine Stimme wirkt müde, sein Gesicht ist es auch. Er
hat die vergangene Nacht nicht geschlafen.
Parlamentssekretär José Alfredo Saavedra eröffnet die Sitzung. Es wird ein
Schreiben Zelayas verlesen, in dem dieser auf das Präsidentenamt
verzichtet. Schnell akzeptiert die Versammlung mit großer Mehrheit den
„bedauernswerten Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen“. Danach erneute
Hochrufe: „Viva Micheletti!“ – „Viva El Chele Mitch!“ Das ist der Spi…
des Putschisten. Zelaya dementiert seinen Rücktritt aus Costa Rica. Erst
Monate später kommt heraus, dass seine Unterschrift im Innenministerium
gefälscht worden war.
Saavedra unterbricht die Sitzung für eine halbe Stunde. Micheletti, der
noch nicht gefrühstückt hat, nutzt die Pause. Auf seinem Abgeordnetenpult
steht eine Pappschachtel mit einem rosaroten Schweinchen als Emblem: eine
Ration Chicharrón der Finca Delicias de Carmen. Was den frittierten
Schweinebauchspeck angeht, gilt dieser Hersteller in Honduras als eine der
ersten Adressen. Zum Speck trinkt Micheletti eine Dose Cola light.
Saavedra ruft die Parlamentarier zurück in den Saal. Eine Abgeordnete aus
Michelettis Fraktion eilt zu ihm und wischt ihm mit einem Taschentuch den
fettigen Mund ab. „Danke“, sagt der und packt die Reste in seine
Aktentasche. In wenigen Minuten wird er zum neuen Präsidenten von Honduras
vereidigt werden.
Vor der Versammlung stehend, die linke Hand auf der honduranischen
Verfassung, spricht er feierlich: „Ich schwöre, der Republik, der
Verfassung und ihren Gesetzen treu zu sein.“ Und er fügt einen Satz hinzu,
der im Protokoll nicht vorgesehen ist: „Und ich schwöre, dass am 29.
November Wahlen stattfinden werden und dass ich die Macht am 27. Januar
2010 abgeben werde.“
Noch am selben Tag fordert José Miguel Insulza, der Generalsekretär der
Organisation Amerikanischer Staaten, die bedingungslose Wiedereinsetzung
von Zelaya. Die Vereinten Nationen folgen.
5. Juli 2009 Zelaya versucht, mit einer von Chávez zur Verfügung gestellten
Maschine auf dem Flughafen von Tegucigalpa zu landen. Doch die Armee
besetzt das Rollfeld. Draußen vor dem Empfangsgebäude demonstrieren
tausende von Menschen für die Rückkehr des Gestürzten. Es kommt zu
gewalttätigen Auseinandersetzungen. Der 19-jährige Isy Obed Murillo wird er
schossen. Er ist der erste Tote des Putschs. Mindestens ein Dutzend weitere
werden folgen.
24. Juli 2009 Zelaya versucht, von Nicaragua aus zu Fuß über die Grenze zu
kommen. Doch mehr als drei Schritte macht er nicht. Dann weicht er vor den
wartenden Soldaten zurück.
21. September 2009 Zelaya schafft es schließlich. Heimlich erreicht er auf
dem Landweg die Hauptstadt, wahrscheinlich über El Salvador und Guatemala.
Er flüchtet sich in die brasilianische Botschaft und sitz seither dort
fest. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile über ein Dutzend Haftbefehle
gegen ihn fabriziert, bis hin zum absurden Vorwurf des Drogenhandels.
Micheletti verhandelte im Präsidentenpalast mit allen, die eine
Verhandlungslösung suchten: Mit dem costa-ricanischen Präsidenten Oscar
Arias, mit Insulza, mit Abgesandten der US-Regierung. Er ist allen ein
bisschen entgegengekommen, hat sie dann alle hingehalten und schließlich
brüskiert. Er wollte nur Zeit gewinnen, um seinen erweiterten Amtseid zu
erfüllen.
29. November 2009 Wahlen in Honduras – ohne vierte Urne. Die Wahl wurde von
der Armee organisiert, die Urnen in den Lokalen von Soldaten bewacht,
obwohl das nach dem Wahlgesetz verboten ist. Der einzige unabhängige
Linkskandidat war schon vorher aus dem Rennen gegangen. Er wollte die Farce
nicht legitimieren. Putschisten-kritische Medien waren längst geschlossen
oder unterlagen strenger Zensur. Putschisten-kritische Kundgebungen wurden
von Armee und Polizei niedergeknüppelt.
Porfirio Lobo, ein schwerreicher Großgrundbesitzer der Nationalen Partei,
hat die Wahl haushoch gewonnen. Er hatte den Putsch vom 28. Juni sofort
unterstützt. Aber noch viel mehr als den Sieger feierte die Oligarchie die
angeblich hohe Wahlbeteiligung von über 60 Prozent. Mehr Honduraner hätten
für Lobo gestimmt als vier Jahre zuvor für Zelaya. Erst später gestand man
ganz still ein, dass die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent war. Nach dem
Augenschein vom Wahltag muss sie sehr weit darunter gewesen sein.
27. Januar 2010 Am kommenden Mittwoch wird Micheletti den zweiten Teil
seines erweiterten Amtseides erfüllen. Wenn er die Macht an Porfirio Lobo
weiterreicht, hat der Putsch seinen Zweck erfüllt. Lobo ist zwar von einer
anderen Partei, aber er ist aus derselben Klasse. Die Macht der Oligarchie
wurde mit Waffengewalt gerettet. Die Welt schaute zu.
■ Toni Keppeler, 53, schreibt seit 25 Jahren über Lateinamerika, unter
anderem für die taz. Diese Rekonstruktion fußt auf vielen Dokumenten und
Gesprächen mit direkt und indirekt Beteiligten
23 Jan 2010
## AUTOREN
TONI KEPPELER
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