# taz.de -- Daheim und dahoam gefoltert | |
> FUSSBALL Der deutsche Sportjournalismus ist verrottet bis ins Mark. Das | |
> fängt bei der Anschleimerbrigabe des „Aktuellen Sportstudios“ an und hö… | |
> bei Béla Réthy auf | |
VON BERND MÜLLENDER | |
Etwa 21,61 der 21,61 Millionen Fernsehzuschauer haben die Fans am | |
Samstagabend in Wembley tiefherzig beneidet: Vor Ort quatschte niemand rein | |
in die Hingabe zum großen Spiel. Daheim und dahoam galt es den | |
ZDF-Kommentator Béla Réthy auszuhalten. Der das tat, was Sportreporter | |
berufskrank ständig tun: ein Spiel zerreden, zulabern mit Wortabfall aus | |
der Sondermülldeponie, kühne Psychologismen einstreuen und zwischen | |
Andeutungen und Deutungen herummäandern. Bei meinem Private Viewing | |
schallten immer wieder Entsetzensschreie herum: „… Hilfe, schaltet mir den | |
Mann aus, unerträglich, Folter, neiiiiin; halt’s Maul, Réthy …“ Aber: h… | |
ja nicht. TV-Fußball nur mit Stimmung, ohne Stimme, gibt es nicht. | |
Nur, warum eigentlich nicht? Opernaufführungen werden ja auch nicht live | |
kommentiert. „Und jetzt kommt Papageno steil über den linken Flügel …“ | |
Früher, als es von einem Fußballspiel nur eine schwarz-weiße Totale gab, | |
mit verrauschtem Bild, machten erklärende Worte Sinn. Heute sieht man mit | |
Dutzenden Kameras in HD und Superzeitlupe ohnehin alle Kleinigkeiten besser | |
als jeder obsolete Schwätzer im Stadion. | |
Der deutsche Sportjournalismus ist verrottet bis ins Mark. Die | |
Fernsehnasen, allen voran die Anschleimerbrigade des „Aktuellen | |
Sportstudios“, verstehen sich als Verkäufer des Sports und Conférenciers, | |
nicht als kritische, bestenfalls freche Begleiter. Sie produzieren einen | |
seichten Kessel Buntes rund um das runde Ding, bieder und billig. In dieser | |
gesendeten Bild-Zeitung ist alles immer sensationell und unglaublich und | |
wird bebrüllt, als gäbe es kein Morgen. Der Fußballbuchhalter Réthy liebt, | |
wie Samstag mehrfach, den Begriff „hoch intensiv“. Unbeleckt von | |
Selbstkritik hat Réthy neulich Kritik an seinen Sprechübungen als Attacken | |
aus den „asozialen Netzwerken“ abgetan. | |
Im Printbereich sieht es nicht besser aus. Vor Ort, ob in Champions League | |
oder Regionalliga, hängen sich nach einem Spiel Schreiberschwaden von | |
Trainern und Spielern, um irgendein nichts sagendes Sätzlein zu erhaschen. | |
Keine Frage ist Klischee genug, um nicht wiederholt zu werden: „Wie fühlen | |
Sie sich …?“ – „War das nicht …?“ Sportreporter sind oft leibhaftig… | |
ihres Vereins, ohne Distanz, anbiedernd, bigott. Mehr persönliche Nähe zu | |
den Lieblingen gibt es nirgends. Das genießen die Berichterstatter. Und | |
selbst in der ARD ist das ganz selbstverständlich: Vor dem Finale hat | |
jemand im WDR-Hörfunk ausführlich den Kollegen BR-Reporter interviewt, wie | |
er denn als großer Bayern-Fan das Spiel privat erleben werde. Neutralität | |
und Distanz werden gar nicht erst vorgegaukelt. | |
Fernsehkommentatoren wollen gern witzig sein. Das geht meist schief (ab und | |
an auch bei Marcel Reif), weil die Bilder nicht stimmen, weil die | |
Originalbilder alles dominieren und weil ein Livekommentar für schnelle, | |
kleine Frechheiten per se ungeeignet ist. Niedergeschrieben lassen sie sich | |
ausformuliert einflechten, ganz en passant; im TV-Geschwätz haben Sottisen | |
immer etwas gequält Gewolltes, das umgehend Brechreiz erzeugt. Briten | |
können das besser: Da unterhalten sich gern zwei über ein Spiel, das hat | |
Stil und Witz. | |
Besonders deutsch ist die Manie, Siege immer als „verdient“ bezeichnen zu | |
müssen, notfalls in Kicker-Formulierung verpackt als „glücklich, aber nicht | |
unverdient“. Mit dieser devoten Floskelage, ohne eigene Haltung, will man | |
sich, gestützt auf nichtsnutzige Statistiken, absichern und andienen. | |
Gönnerhaft kriegt auch der Verlierer noch ein tröstendes | |
Tapferkeitsbekenntnis. | |
Indes, es gibt auch Lichtblicke wie den jungen ZDF-Interviewer Jochen | |
Breyer (30), der etwas sehr Banales tut, was die Kollegen gar nicht mehr | |
kennen: neugierig und uneitel überraschende Frage stellen. Und welche | |
Erlösung: Reinhold Beckmann will bald den Mund halten. Fatalerweise nicht | |
im Fußball. | |
28 May 2013 | |
## AUTOREN | |
BERND MÜLLENDER | |
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