# taz.de -- Im Zweifel für die Rechte | |
> Wenn der konservative US-Richter Samuel Alito an den Supreme Court | |
> berufen wird, fahren die Republikaner nur die Ernte ihrer Politik ein – | |
> mit ernsten Folgen für die Welt | |
Alles deutet darauf hin, dass in dieser Woche Samuel Alito als Richter am | |
Obersten Gerichtshof der USA, dem „Supreme Court“, vom Senat bestätigt | |
werden wird. Zusammen mit den Bundesrichtern Scalia und Thomas wird er den | |
harten, ideologisch verfestigten Kern der Rechtskonservativen beim Gericht | |
bilden. Diese künftige Dreiergruppe wird eine stabile Koalition mit den | |
eher pragmatisch orientierten konservativen Richtern bilden und so weit | |
über die zweite Amtszeit Bushs hinaus die Rechtsprechung des Gerichts | |
prägen. Denn die Richter am Obersten Gerichtshof werden auf Lebenszeit | |
ernannt, ihre durchschnittliche Amtsdauer beträgt über 20 Jahre, und die | |
rechte Mehrheit des Gerichts besteht aus Juristen „im besten Mannesalter“. | |
Trotz seines vorsichtigen Taktierens bei den Befragungen durch den | |
Richter-Senatsausschuss sind die Umrisse von Alitos Orientierung klar: Er | |
wird beim Rollback der Minderheitenrechte, bei der Aufhebung der | |
Straflosigkeit von Abtreibungen, bei der Annullierung von Bundesgesetzen, | |
die dem Schutz der abhängig Beschäftigten dienen, eine zuverlässige Stütze | |
der rechten Republikaner sein. Er wird dafür stimmen, dass der Präsident | |
die Grundrechte im Namen der nationalen Sicherheit weiterhin einschränken | |
kann. Und er wird dem Präsidenten nicht entgegentreten, wenn Bush weitere | |
Militäraktionen ohne Zustimmung des amerikanischen Kongresses lostritt. | |
Gerade die beiden letzteren Positionen sind über die Grenzen der USA hinaus | |
bedeutsam. Die künftige juristische Rückendeckung wird der amerikanischen | |
Außenpolitik, dem Krieg gegen die „Achse des Bösen“ neuen Auftrieb geben. | |
Auch für die demokratische Rechte in der Bundesrepublik wird die neue, | |
solide rechte Mehrheit im Supreme Court Folgen haben. Man denke nur an die | |
Diskussionen über erlaubte Folter unter der angeblichen Bedingung des | |
übergesetzlichen Notstands. Zwischen der Politik, der öffentlichen Meinung | |
und den Rechtspositionen in beiden Ländern besteht ein Zusammenhang. Die | |
USA geben den Tenor vor. | |
Gegen dieses düstere Szenario könnte nun eingewendet werden, dass es nun | |
mal zur amerikanischen Verfassungswirklichkeit gehöre, der demokratisch | |
legitimierten Exekutive im Zusammenwirken mit dem ebenfalls gewählten Senat | |
ein so weit gehendes Gestaltungsrecht bei der Richterbesetzung zu geben. | |
Hatte nicht Franklin D. Roosevelt in den 30er-Jahren ebenfalls dafür | |
gesorgt, dass die progressiven und demokratischen Inhalte des New Deal sich | |
auch am Obersten Gerichtshof durchsetzten? Und hatte nicht die politische | |
Mehrheit der Demokraten in den 60er-Jahren den Durchbruch zu den | |
Bürgerrechten am Supreme Court erleichtert? Geht es also um nichts anderes | |
als eine Pendelbewegung, deren Amplitude allerdings in den USA weiter | |
reicht als die jeweilige Amtszeit eines Präsidenten? | |
Zudem – wird ferner argumentiert – seien die Auffassungen eines Kandidaten | |
für den Obersten Gerichtshof keinesfalls eine Gewähr dafür, dass er ihnen | |
später als Oberster Richter treu bleibt. Die gerade zurückgetretene | |
Richterin Sandra Day O’Connor, die von den Konservativen gewählt wurde, war | |
wegen ihrer notorischen Abweichungen vom rechten Pfad zum Schreckensbild | |
aller Reaktionäre geworden. | |
Eine solche, gegen „Alarmismus“ gerichtete Betrachtungsweise unterschlägt | |
den grundlegenden Wandel in der Politik der amerikanischen | |
Rechtskonservativen zur „Durchdringung“ des Richteramtes auf Bundesebene. | |
Dieser Strategie hat der liberale amerikanische Rechtstheoretiker Herman | |
Schwartz 2004 die durchdringende Studie „Right wing justice“ gewidmet. Nach | |
Schwartz hatte schon die Regierung Reagan erkannt, dass es bei der | |
Besetzung der Bundesgerichte aller drei Instanzen (die sämtlich vom | |
Präsidenten vorgeschlagen und vom Senat bestätigt werden) um eine | |
konsequente Kaderpolitik geht. Eine große Zahl von Richtern beim Obersten | |
Gericht wird aus den unteren Bundesgerichten rekrutiert. Weitgehend ohne | |
Beanstandung durch die Demokraten, platzierten die Rechtsrepublikaner ihre | |
Kandidaten, so auch Samuel Alito, auf die Bänke dieser Gerichte, vor allem | |
die der zweiten Instanz, des Circuit Courts of Appeal, bei der die meisten | |
Fälle abschließend behandelt werden. Andererseits gelang es dieser | |
Kaderpolitik, Richternominierungen unter demokratischen | |
Mehrheitsverhältnissen systematisch herauszuzögern und um Jahre zu | |
vertagen, bis wieder eine rechte Mehrheit gesichert war. Dafür wurden lange | |
Vakanzen bei den Gerichten in Kauf genommen. Auf diese Weise schafften es | |
die rechten Republikaner, ein Reservoir von künftigen Kandidaten für das | |
Oberste Gericht heranzubilden, die in ihrer Karriere, wie wiederum im Fall | |
Alitos, dem rechten Milieu verbunden blieben. | |
Dieses ganze Verfahren konnte nur gelingen, weil sich die reaktionären | |
Kräfte auf starke Interessengruppen innerhalb des Juristenstandes stützen | |
konnten. Bei diesen Gruppen, vor allem der 1980 gegründeten Federalist | |
Society, handelt es sich nicht um klassische Pressure-Groups, sondern um | |
weltanschaulich gefestigte Vereinigungen, bei denen der protestantische | |
Extremismus offene Ohren findet. Diesen Fundamentalisten wurde seitens der | |
Republikaner klar gemacht, dass ihre Forderungen, vom Abtreibungsverbot | |
über das obligatorische Schulgebet bis hin zur Etablierung der biblischen | |
Abstammungslehre im Schulunterricht, nur mit einer stabilen Rechtsprechung | |
durchgesetzt werden könnten. Es war nicht zuletzt diese Aussicht, die | |
protestantisch-fundamentalistische bisherige Nichtwähler zu den Urnen rief | |
und Bushs Wiederwahl sicherte. Jetzt wird die Ernte eingefahren. | |
Zuweilen hört man auch bei uns die Ansicht, die Richterbefragungen im | |
amerikanischen Senat gingen viel zu weit, tangierten die privaten Ansichten | |
des Kandidaten, durchleuchteten jeden Winkel seiner bisherigen Karriere. | |
Trotz der oft auf Profilierung bedachten Politikerfragen, trotz des | |
„Filibusterns“, mit dessen Hilfe die Ernennung eines Richters durch die | |
Senatsminderheit herausgezögert werden kann, sichert die Befragung ebenso | |
wie die Bestätigung der Bundesrichter durch den Senat die öffentliche | |
Kontrolle durch die Legislative. | |
Hingegen verschiebt die Strategie der rechten Republikaner bei | |
Richterernennungen die Gewichte hin zur Weltanschauung der Kandidaten, zu | |
deren Vereinbarkeit mit den radikalkonservativen Positionen. Aus der | |
Auseinandersetzung um Kompetenz und Lehrmeinung wird ein ideologischer | |
Kampf, der mit den Mitteln langfristiger Kaderpolitik und Indoktrination | |
ebenso ausgetragen wird wie mit den Mitteln hoch dotierter Werbefeldzüge, | |
die Wahlkämpfen immer ähnlicher werden. Unter diesen Bedingungen droht die | |
Rechtsprechung des Bundes in den USA die demokratische Legitimation zu | |
verlieren, die im System der Gewaltenteilung für die Judikative | |
ausschlaggebend ist. Ein unumkehrbarer Prozess? Keineswegs. Aber Alarmismus | |
ist diesmal angezeigt. | |
30 Jan 2006 | |
## AUTOREN | |
CHRISTIAN SEMLER | |
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