# taz.de -- Klein-Bangkok im Preußenpark | |
> WILMERSDORF Unter bunten Sonnenschirmen und auf kleinen Plastikstühlchen | |
> sitzend trifft sich die thailändische Community Berlins zum Arbeiten und | |
> Plaudern im Park. Wer will, kann hier eine schmackhafte Suppe genießen – | |
> oder sich von buddhistischen Mönchen segnen lassen | |
VON SUSANNE MESSMER | |
An einem sonnigen Sonntagnachmittag kann man im Preußenpark am | |
Fehrberlliner Platz in Wilmersdorf leicht das Gefühl entwickeln, man hätte | |
für ein paar Stündchen Urlaub genommen von Berlin. Fast kein Fleckchen ist | |
mehr auf der weiten Wiese frei: Überall sitzen Frauen auf kleinen | |
Campingstühlen, umzingelt von großen Kühltaschen. Sie frittieren ganze | |
Fische und Hühnerspieße oder stampfen in einem Holzmörser die grünen | |
Papayas, Chilis und Limonen, die in den berühmten Salat namens Som Tam | |
gehören. Diesen isst man vor allem in Isaan, dem Nordosten Thailands, der | |
ärmsten Region des Landes. | |
Auf der sogenannten Thaiwiese, auf der sich die thailändische Community | |
bereits seit Anfang der Neunziger trifft, könnte man ethnologische Studien | |
anstellen. Denn viele Frauen, die hier kochen, stammen aus Isaan. In den | |
Siebzigern und Achtzigern heirateten einige von ihnen deutsche Männer, um | |
der Armut zu entkommen und die zu Haus gebliebene Familie zu unterstützen. | |
So zum Beispiel Sa, die gerade aus fünfzehn kleinen Schüsseln die Zutaten | |
für eine Tom-Yam-Suppe in eine größere Plastikschüssel löffelt: Zum | |
Hackfleisch und den fermentierten Krabben kommen noch Koriander, süßes | |
Basilikum und Tamarinden, zum Schluss ein paar Nudeln und der gute, heiße | |
Fonds, der auf einem mitgebrachten Gaskocher seit Stunden vor sich hin | |
köchelt. Die Suppe kostet fünf Euro, sie schmeckt besser als in jedem | |
Restaurant. Sa, die mit einem großen gelben Strohhut unter einem grünen | |
Sonnenschirm hockt, lächelt und bedankt sich für das Kompliment. Dann | |
erzählt sie in ebenso schnörkellosen wie eindrücklichen Sätzen, warum sie | |
in Deutschland ist. | |
Sas Eltern waren arme Bauern in Isaan, sie hatte neun Geschwister. Nach | |
sechs Pflichtjahren an der Schule war Schluss, obwohl Sa gern Lehrerin | |
geworden wäre. Stattdessen musste sie zu Hause mitarbeiten. 1983 hörte sie | |
von einer Heiratsagentur, da war sie gerade zwanzig. 1984 kam sie nach | |
Berlin, mit ihrem Mann Thomas, der fünfzehn Jahre älter ist als sie. Anders | |
als viele andere Paare sind Sa und Thomas zusammengeblieben. Normalerweise | |
sitzt Thomas neben seiner Frau und hilft ihr beim Kochen. Heute hat er mal | |
ein Stündchen frei bekommen und sonnt sich nebenan, bei einer Dose Bier mit | |
seinen Kumpels, den anderen deutschen Männern der Wilmersdorfer Frauen aus | |
Thailand. | |
## Die Heiratsmigration | |
Sa und Thomas: Das ist ein typisches Paar auf der Thaiwiese, an denen sich | |
prima studieren ließe, was aus der sogenannten Heiratsmigration geworden | |
ist. Denn auch in Berlin sind laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg | |
mehr als 80 Prozent der knapp 5.000 Menschen mit thailändischem | |
Migrationshintergrund weiblich. Oft zahlten sie mehrere tausend Euro für | |
den Kontakt zu ihrem deutschen Mann und hatten große Probleme in den ersten | |
Jahren, weil vor der Hochzeit keine Zeit gewesen war, sich kennenzulernen. | |
Und Scheidung kam auch nicht infrage, weil sie dann das Land wieder hätten | |
verlassen müssen. | |
Und die deutschen Männer? Die hatten sich ihre Thaifrau nicht selten als | |
still, freundlich, gehorsam, häuslich und sexuell freizügig vorgestellt. | |
Kaum in Deutschland angekommen, folgte auch für sie Ernüchterung. Die | |
wenigsten verstanden, dass die Frauen Geld nach Hause schicken wollten; die | |
wenigsten wussten, dass in Thailand nach traditioneller Vorstellung die | |
Frau das Familienleben bestimmt. Meist erbt die jüngste Tochter Land und | |
Haus. Frauen verfügen also über wirtschaftliche Ressourcen und haben eine | |
wichtige Position in der thailändischen Gesellschaft. | |
Wenn man sich bei einer der Frauen auf der Thaiwiese eine Suppe kauft, dann | |
kann man sich gut vorstellen, wie es bei jenen weiterging, die trotz der | |
anfänglichen Missverständnisse zusammenblieben. Eine Dame berichtet, sie | |
würde durch ihre Salate in der Sommersaison das allzu schmale | |
Familieneinkommen verdoppeln. Eine andere winkt nur verschmitzt lächelnd | |
ab, denn es fällt schwer, über Geld zu reden an einem Ort, wo der Verkauf | |
der Speisen eigentlich illegal ist und die Frauen ihre Töpfe oft schnell | |
einpacken müssen, wenn mal wieder die Ordnungshüter über den Platz | |
flanieren – Ordnungshüter übrigens, die den Eindruck erwecken, als würden | |
sie sich jetzt lieber einen Hühnchenspieß gönnen als ihren Job zu tun. | |
„Eigentlich ist das eine Schweinerei, dass man die Frauen hier nicht in | |
Ruhe lässt“, sagen zwei Jungs Anfang zwanzig mit Fönfrisuren und | |
Ringelshirts, vielleicht ein Paar. Sie haben eine Decke im Schatten einer | |
hohen Linde ausgebreitet und trinken pappsüße Milch mit Erdbeeraroma aus | |
Plastikbechern. Sie heißen Jay und Lee und sind in Deutschland geboren. | |
Ihre Eltern, die in den Achtzigern aus Thailand kamen, arbeiten in | |
Reisebüros und Restaurants in Wilmersdorf und Schöneberg. | |
Fast jeden Sonntag picknicken Jay und Lee auf der Thaiwiese und berichten, | |
dass hier auch eine der wichtigsten Informationsbörsen der thailändischen | |
Community in Berlin sei. Warum man sich jedoch ausgerechnet diese im sonst | |
eher gutbürgerlichen, wohlhabenden und wohlgeordneten Wilmersdorf | |
ausgesucht habe, das vor allem für seine Witwen und Boulevardtheater | |
berühmt ist – wer weiß. „Vielleicht wegen der deutschen Männer, die eben | |
dort wohnten“, sagt Lee. „Vielleicht aber auch, damit die Kinder im | |
möglichst aufgeräumten deutschen Umfeld aufwachsen“, sagt Jay. | |
Jay und Lee berichten, man finde auf der Thaiwiese Jobs und ärztlichen Rat. | |
Und empfehlen eine Masseurin, die für die Stunde gerade mal 30 Euro nimmt. | |
Sie weisen auch auf zwei buddhistische Mönche in orangenem Gewand, die auf | |
einer Parkbank sitzen und gerade drei ältere Damen segnen, die vor ihnen | |
auf dem Schotterweg knien. | |
Der Preußenpark habe durch die Community gewonnen, finden Jay und Lee. | |
Tatsächlich geht es hier adretter zu als in vielen Parks in Prenzlauer Berg | |
oder Kreuzberg. Vor den öffentlichen Toiletten sorgen zwei freundliche | |
Frauen für Hygiene, selbstorganisierte Hilfskräfte laufen über den Platz | |
und sammeln Müll ein. Nur vor den Kartenspielern und vor den | |
Kartenspielerinnen, berichtet Jay, vor denen solle man sich hüten. „Die | |
ziehen dich schnell über den Tisch“, sagt er. Und legt dann den Kopf nach | |
hinten und lacht. | |
29 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
SUSANNE MESSMER | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |