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# taz.de -- Aufsässiger Gestus, unverschämter Witz
> FEMINISMUS Diese Ausstellung kommt gerade recht, um das historische
> Gedächtnis zu stärken: In Rom ist die Feministische Avantgarde der
> Sechziger- und Siebzigerjahre zu sehen. In ihren Abwehrbewegungen waren
> sich die Künstlerinnen sehr einig
VON BRIGITTE WERNEBURG
Glück muss man haben. Niemand Geringerer als Tracey Emin, in den
Neunzigerjahren mit der Erfolgsmarke Young British Art zum Kunststar
avanciert, machte ihren Wegbereiterinnen die Aufwartung und schneite zum
Presserundgang der Ausstellung „Donna: Avanguardia Femminista Negli Anni
70“ rein. Die Schau in der Galleria nazionale d’arte moderna in Rom stellt
den bemerkenswerten Versuch dar, die im Kontext der frauenbewegten
Siebzigerjahre entstandenen Werke internationaler Künstlerinnen
kunsthistorisch zu erschließen. Bemerkenswert ist dieser Versuch deshalb,
weil die Artefakte Teil der Kunstsammlung des Österreichischen
Energiekonzerns Verbund sind und man von einer Corporate Collection am
allerwenigsten erwarten würde, dass sie sich auf akademisch wie ökonomisch
ungesichertes Terrain begibt.
Zu dieser raren, beispielhaften Konstellation kam es, weil eine kluge
Kuratorin, Gabriele Schor, als ihr im Jahr 2004 der Aufbau der Sammlung
angetragen wurde, darauf bestanden hatte, dass in „die Tiefe statt in die
Breite“ gesammelt würde – und ein kluger Vorstand diesem Ansinnen folgte.
Die Sammlung konzentriert sich nun auf „Räume/Orte“ und den weiblich
geprägten Bereich „Performance“.
Statt der momentan angesagten Kunst werden beim Verbund Nachlässe
aufgekauft, umfangreiche Rechercheprojekte angeschoben und penible
Archivforschungen betrieben. Maßgebliche, in den Sechziger- und
Siebzigerjahren entstandene Werke, von denen für die bildende Kunst bis
heute noch bedeutsame Impulse ausgingen, können und sollen so wieder in
Erinnerung gerufen werden. Ein Catalogue raisonné zum bislang noch weithin
unbekannten Frühwerk von Cindy Sherman ist Resultat dieser Anstrengung
ebenso wie die erste umfassende Monografie zum Werk der österreichischen
Künstlerin Birgit Jürgenssen (1949–2003).
Das Label Feministische Avantgarde allerdings, mit dem Gabriele Schor die
im Zusammenhang der Frauenbewegung der Siebzigerjahre entstandene Kunst auf
den Begriff bringen möchte, ist nicht unproblematisch. Schließlich meint
Avantgarde Tabula rasa, den radikalen Neuanfang, kurz: die große Geste, die
just für jenen modernistisch-männlichen Geniekult repräsentativ ist, gegen
den Schor die Feministische Avantgarde in Stellung gehen sieht.
## Ausschluss einer Praxis
Voraussetzungslos und vom leeren Tisch argumentierten und agierten die
Künstlerinnen in ihren Performances, Videos, Fotoserien und -montagen,
Plakataktionen und Installationen nur insoweit, als eine kanonbildende
Kunstkritik die implizit oder explizit feministische Kunstproduktion
negierte und eine antiidealistische, materialistische, kritische
Kunstpraxis allein der Minimal und Concept Art zuschrieb. Dieser Ausschluss
aber legitimiert die paradoxe Begriffsbildung Feministische Avantgarde
heute am stärksten. Denn dadurch war es die revolutionäre Errungenschaft
der feministischen Kunst just, „nicht zur Moderne beigetragen zu haben“,
wie es 2007 Lucy Lippard, die entscheidende Kritikerin für die damalige
Kunstwelt, rückblickend formulierte.
Vor allem die Abwehrbewegungen, in denen sich die nun in Rom schlicht, aber
großzügig präsentierten Arbeiten von 16 Künstlerinnen einig sind, stützen
die Feministische Avantgarde als Kategorie: gegen den Geniekult, gegen die
Hegemonie der Malerei, gegen die jahrtausendelang von Männer diktierte
Ikonografie des Weiblichen. Aus dieser Ablehnung heraus fanden die Frauen,
obwohl sie nur selten voneinander wussten, in ihrer Kunstproduktion zu
verblüffend ähnlichen Schlussfolgerungen und Lösungen. Der Ansatz der
damals in Kanada lebenden US-amerikanischen Künstlerin Martha Wilson für
ein 1974 erstelltes „Portfolio of Models“ kommt dem von Cindy Sherman für
ihre Serie „Untitled (Bus Riders)“ von 1976 erstaunlich nahe: in der Arbeit
mit der Fotokamera vor dem Spiegel, der Maskerade als Mittel der
Selbstdarstellung, die die geläufigen Vorstellungen von Identität und
Subjektivität kritisch hinterfragt.
Geht es Wilson in ihrer Bild-Text-Kombination zur Göttin, Hausfrau,
Angestellten oder Arbeiterin, zur Lesbierin und zur Erdmutter ganz klar um
weibliche Rollenmuster, stellt Sherman das Vexierbild der Künstlerin, das
restlos in Maskerade aufgeht, gegen die geschlossene Identität des
männlichen Meisters. Ähnlich arbeitet Renate Bertlmann, eine
österreichische Künstlerin, die es unbedingt zu entdecken gilt, mit
Selbstmaskeraden. Dabei besticht ihr konzeptuelles zeichnerisches und
fotografisches Werk durch gewitzte Anleihen bei der Pop-Art.
Die im positiven Sinn hervorstechenden Gemeinsamkeiten der Werke von
Francesca Woodman, Eleanor Antin, Hannah Wilke, Valie Export, Martha Rosler
oder Ana Mendieta liegen in der experimentellen Form und der
Schonungslosigkeit, mit der sich die Künstlerinnen auch physisch mit ihren
Arbeiten zur Disposition stellen; im aufsässigen Gestus und unverschämten
Witz, mit dem die Künstlerinnen unerhörte Sujets aufgreifen. In ihrer
Performance „La danse du ventre“ etwa beschreibt die 1938 in Kairo geborene
türkische Künstlerin Nil Yalter vom Nabel ausgehend ihren Bauch mit einem
Text des Ethnologen René Nelli, der vom Hass auf die Klitoris in der
männlichen muslimischen Kultur handelt. Yalters Bauchtanz zu traditioneller
türkischer Musik mokiert sich über den ländlichen Brauch, nach dem der
Ehemann seine unfolgsame Frau zum Imam bringt, der die gegen sie erhobenen
Anklagen auf ihren Bauch schreibt, wobei er mögliche Schreibfehler mit der
Zunge entfernt.
1974 thematisierte Nil Yalter damit weniger eine spezifisch muslimische als
eine globale weibliche Erfahrung mit einem durch Gesetzgebung und
Gesellschaft verweigerten Anrecht auf Intimität, körperliche Integrität und
Souveränität.
Sexualität, Häuslichkeit, Kinderbetreuung, Vergewaltigung, Frauenarbeit
nennt die Kunsthistorikerin Abigail Solom-Godeau in ihrem Katalogtext als
feministische Anliegen, während Gabriele Schor in Schwangerschaft, Geburt,
Mutterschaft und Schönheitsstandards das Private sieht, das politisch wird.
Verblüfft registriert man, wie der Zeitgeist ausgerechnet hier über das
historische Gedächtnis siegt; wie die aktuelle Lust und neue Pflicht,
Kinder zu kriegen, eines der großen Themen der Siebzigerjahre spurlos zum
Verschwinden bringt.
## Traumatische Erfahrung
Ein Glück also, dass es das Thema von Tracey Emin ist, die zeitgleich mit
„Donna“ ihre Galerieschau in Rom eröffnete. Denn neben den aktuellen zeigte
sie auch zwei alte Arbeiten aus den Neunzigerjahren, in denen sie, einmal
filmisch, einmal zeichnerisch, das traumatische Erlebnis einer Abtreibung
verarbeitete. Allerdings bedurfte es, um dieses Thema so krass und
unverblümt wie Tracey Emin artikulieren zu können, des skandalösen Darlings
der Massenmedien, der Starkünstlerin als einer innerhalb der Kunstwelt
akzeptierten Größe, wie es erst in den Neunzigern der Fall war. Die
Feministische Avantgarde aber schreibt sich in dieser Entwicklung als Work
in progress fort.
■ Galeria nazionale d’arte moderna, Rom. Bis 16. Mai. Katalog (Mond adori
Electa): 40 Euro
20 Mar 2010
## AUTOREN
BRIGITTE WERNEBURG
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