# taz.de -- „Man muss Opfer bringen“ | |
> SCHMERZ Der Eishockeyprofi Stefan Ustorf war immer bereit, alles zu geben | |
> für seinen Sport. Bis sein Körper irgendwann nicht mehr mitmachte | |
INTERVIEW JOHANNES KOPP UND MARKUS VÖLKER | |
Treffpunkt: Das Café im sogenannten Wellblechpalast auf dem Gelände des | |
Sportforums Berlin-Hohenschönhausen. Stefan Ustorf trägt T-Shirt, Jeans und | |
eine große Bandage am rechten Arm. Er hat kürzlich ein neues Schultergelenk | |
bekommen. In den kommenden Wochen lässt er sich die Zähne richten. Später | |
wird ihm links ein neues Schultergelenk eingesetzt. Ustorf spielt seit | |
vielen Monaten kein Eishockey mehr. Das sieht man ihm an. Er hat etliche | |
Kilos verloren. Sport kann er nicht mehr treiben, schon gar nicht sein | |
geliebtes Eishockey, das ihm so viel bedeutete und ihn körperlich | |
kaputtgemacht hat. | |
taz: Herr Ustorf, Sie sind der Schmerzensmann im deutschen Sport. | |
Stefan Ustorf: Ja, leider. Ich habe einiges verkehrt gemacht. | |
Was genau? | |
Ach, ich habe viel Verletzungspech gehabt. Aber ich habe auch 21 Jahre | |
Profi-Eishockey gespielt, da verletzt man sich eben. Ich habe in meiner | |
Karriere manchmal Verletzungen ignoriert oder in Kauf genommen und trotzdem | |
weitergespielt, weil ich für mich entschieden habe: Das ist nicht so | |
schlimm, ich geh aufs Eis. Oft habe ich Verletzungen erst nach der Saison | |
behandeln lassen. Das ist aber üblich im Eishockey. Da war ich nicht der | |
Einzige. Solange ich eine Möglichkeit gesehen habe zu spielen, habe ich | |
gespielt. | |
Sie haben ganz bewusst Raubbau an Ihrem Körper betrieben. | |
Ach, eigentlich bin ich ganz zufrieden. Ich habe 21 Jahre rausgeholt aus | |
meinem Körper, über 1.200 Profispiele gemacht, vier Olympiaden gespielt, | |
sechs Weltmeisterschaften. Ich habe einen Preis bezahlen müssen, aber damit | |
kann ich leben. Ich kann mit allen Verletzungen umgehen, nur mit meiner | |
Kopfverletzung nicht, die zum Karriereende geführt hat, also die schwere | |
Gehirnerschütterung. | |
Der Preis war nicht zu hoch? | |
Nein. (überlegt) Nein, nein. Das würde sich ja anhören, als würde ich mich | |
über meine Karriere beklagen. Dafür habe ich zu viel Spaß gehabt und zu | |
viel erreicht. Wenn ich mich darüber beklagen würde, dann hätte ich ein | |
Problem. Andere müssen viel härter arbeiten in einem verhassten Job. Ich | |
habe das Maximum aus meinem Körper herausgeholt. Ich bedaure nichts. | |
Eishockey war mein Spiel. | |
Das ist aber eine ganz besondere Form von Opferbereitschaft. | |
Opfer bringt jeder im Sport. Talent allein reicht nicht. Man muss Opfer | |
bringen können, um es so weit zu bringen wie ich. Sonst könnte es ja jeder | |
machen. | |
Konkret: Welchen Preis haben Sie zahlen müssen? | |
Im Moment habe ich immer noch extreme Probleme mit meiner | |
Gehirnerschütterung, die ich vor anderthalb Jahren erlitten habe. Ich bin | |
nicht in der Lage zu arbeiten, kann mich nur schlecht konzentrieren, mir | |
ist oft übel. Ich fühle mich schnell von Lärm und grellem Licht belästigt. | |
Aber ich arbeite mit einem hervorragenden Neurologen. Ich versuche, meinen | |
chronischen Schmerz unter Kontrolle zu kriegen durch die | |
Schulteroperationen. In 12 Monaten möchte ich so weit sein, dass ich in ein | |
geregeltes Arbeitsleben zurückkehren und meine zweite Karriere beginnen | |
kann. | |
Ist es denn in der letzten Zeit vorangegangen? | |
Nein, nicht richtig. Durch die chronischen Schmerzen im Kiefer, an den | |
Zähnen und den Schultern hat mein Gehirn keine Chance, sich zu | |
regenerieren. Dadurch geht es auch nicht mit den Folgeerscheinungen der | |
Gehirnerschütterung voran. | |
Können Sie sich noch an Ihren letzten schmerzfreien Tag erinnern? | |
Nein, das kann ich ernsthaft nicht. Das muss ich ehrlich zugeben. Ich bin | |
das erste Mal mit 16 operiert worden. Vor dieser Zeit muss der letzte | |
schmerzfreie Tag gelegen haben. Als Profi hatte ich jedenfalls keinen. Man | |
gewöhnt sich dran. Irgendwas tut immer weh. Das heißt nicht, dass ich | |
kauernd in der Ecke liege, irgendwo schmerzt es halt immer ein bisschen. | |
Das muss man im harten Männersport Eishockey abkönnen. Richtig? | |
Ich kann nicht für das Eishockey insgesamt sprechen. Ich habe natürlich | |
genügend Spieler erlebt, die mit Verletzungen gespielt haben, wo du | |
eigentlich nur den Kopf schütteln kannst. Wo du sagst: Das ist fast schon | |
unmenschlich. Die sind mit gerissenen Kreuzbändern aufs Eis, mit | |
gebrochenen Füßen, mit gebrochenen Handgelenken. Solche Sachen, wo man | |
sagt: Geht eigentlich nicht. | |
Und mit welchen Sachen sind Sie aufgelaufen? | |
Mit all den Verletzungen, die ich gerade genannt habe. Gerissene Bänder und | |
kaputte Schultern waren auch dabei. Wenn man mit 39 neue Schultergelenke | |
braucht, dann muss es einen heftigen Verschleiß über Jahre gegeben haben. | |
Ich bin schon früher dreimal an den Schultern operiert worden. Ich dachte | |
eigentlich, ich hätte alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Und dann das! | |
So was würde doch ein Profifußballer nie machen! | |
Das kann ich nicht beurteilen. Das ist eine andere Sportart. Wenn ich einen | |
gebrochenen Fuß habe, dann kann ich nicht Fußball spielen. Wenn ich den Fuß | |
aber in einen Schlittschuh packe, dann geht es vielleicht. Es gibt | |
bestimmte Verletzungen, mit denen kann man Eishockey spielen. | |
Schmerztabletten brauchst du natürlich auch. Sie waren Teil meiner | |
Vorbereitung. Das gebe ich zu. | |
Wer entscheidet über den Einsatz? Der Spieler, der Sportarzt? | |
Wenn ich der Meinung war, dass ich der Mannschaft helfen kann, habe ich | |
gespielt. Aus. Aber ich habe auch mal Spiele mit einer Grippe verpasst. | |
Und die Ärzte? | |
Wenn die sagen, dass ich mich zum Krüppel mache, wenn ich spiele, dann | |
überlegst du es dir natürlich noch mal. Und wenn du nach einer | |
viermonatigen Pause und entsprechenden Rehamaßnahmen hörst, du bist wieder | |
okay, dann glaubst du das natürlich auch. | |
Fühlen Sie sich im Stich gelassen? | |
Nein. Es ist meine Schuld. | |
Nach einer komplizierten Handgelenksverletzung haben Ihnen vier Ärzte | |
geraten, aufzuhören. Sie haben einen fünften konsultiert, der sein Okay | |
gab. | |
(Lacht) Ja, so ist es gewesen. Ich war mit 30 noch nicht bereit, meine | |
Karriere zu beenden. Ich war stur und habe den Arzt gesucht, der mir | |
erzählte, was ich hören wollte. Das war sicherlich nicht die | |
intelligenteste Lösung. | |
Eigentlich konnte es nur so kommen, dass eine schwere Verletzung Ihre | |
Karriere beendet. | |
Ja, ich habe dieses Spiel viel zu sehr gemocht, um den richtigen Zeitpunkt | |
für den Rücktritt zu finden. Mit 37 habe ich aufhören müssen. Mit einer | |
Gehirnerschütterung vom Eis zu fahren und nicht zu wissen, wo man ist – das | |
ist kein schönes Ende. Das hatte ich mir anders vorgestellt. | |
Wie problematisch ist es für einen Leistungssportler, wenn er plötzlich | |
keinen Sport mehr machen kann? | |
Das ist schwer, von heute auf morgen komplett aus dem Sport rausgerissen zu | |
werden. Das ist etwas, was zum einen körperlich Probleme macht. Jeder | |
Sportler weiß, dass man abtrainieren soll nach seiner Karriere. Zum anderen | |
macht es mentale Probleme, weil man es einfach nicht gewöhnt ist, nichts zu | |
tun. Aber damit muss man sich abfinden, da muss man sich durcharbeiten. | |
Wie? | |
Mit professioneller Hilfe von meinen Ärzten und durch den Beistand meiner | |
Familie. Das ist die allerwichtigste Hilfe in dieser Situation: meine Frau | |
und meine Kinder. Und Geduld. Das ist etwas, was ich über Jahre nicht | |
gehabt habe und die ich nun entwickeln muss. | |
Haben Sie Techniken gelernt, mit Schmerzen umzugehen? | |
Es gibt immer wieder jemand, der dir von Techniken erzählt. Atemtechniken | |
und dies und das. Aber ich habe nie etwas probiert. Adrenalin während des | |
Spiels nimmt sehr viel Schmerzen weg. Adrenalin ist ein tolles | |
Schmerzmittel. Und wenn man am Ende der Saison mit dem Pokal dasteht, | |
vergisst man die Schmerzen auch sehr schnell. | |
Ihr Sohn spielt auch Eishockey. | |
Ja, er hat Talent. Aber manchmal schaut er mich an und schüttelt nur mit | |
dem Kopf. Oder er verscheißert mich, wenn ich mich mal wieder nicht bewegen | |
kann. Kann sein, dass ich ein abschreckendes Beispiel für ihn bin. | |
Sie werden ihm sicherlich raten, bei jedem kleinen Verdacht auf | |
Gehirnerschütterung draußen zu bleiben. | |
Ja, ich selbst habe fünf oder sechs diagnostizierte Gehirnerschütterungen | |
gehabt in meiner Karriere. Mein Doktor spricht von fünfzehn bis zwanzig, | |
die es tatsächlich gewesen sind. Ich habe eine Narbe im Gehirn, also | |
sichtbare Schäden. Alle, auch die Spieler müssen verantwortlicher werden. | |
Der Kopf muss besser geschützt werden. | |
17 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
JOHANNES KOPP / MARKUS VÖLKER | |
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