# taz.de -- MITGEMACHT VON ANNIKA STENZEL: Schnappatmung im freien Fall | |
Zu einer besonderen Aktion hatte die IG Metall im Rahmen der | |
Anti-Atom-Proteste eingeladen: Ein Tandemsprung über der Menschenkette nahe | |
des Atomkraftwerks Brunsbüttel. Ich hatte mich noch nie aus einem Flugzeug | |
gestürzt und bei mir gedacht: Warum nicht? Könnte man ja mal machen. | |
Beinahe furchtlos steige ich am Flugplatz Hungriger Wolf bei Hohenlockstedt | |
in das weiße Kleinflugzeug, das uns auf 4.000 Meter Höhe und nach | |
Brunsbüttel bringen soll. Eng an drei weitere Springer und zwei weitere | |
Tandempaare gekauert, sitze ich im Flugzeug, und als es dann immer höher in | |
die Wolken geht, wird mit jedem gefühlten Höhenmeter mein Magen aber doch | |
immer nervöser. | |
Plötzlich geht alles sehr schnell: Tür auf, und die ersten Springer stürzen | |
aus dem Flugzeug. Daniel, mein Tandempartner, und ich sind die letzten. Wir | |
robben zur offenen Luke. „Kopf in den Nacken, Beine raus!“, brüllt Daniel | |
gegen den ohrenbetäubenden Lärm an und schon sind wir raus im Nichts. Gut, | |
dass man im freien Flug in dieser Höhe die anderen Springer nicht hört – | |
ich bin selbst erschrocken, wie laut und verzweifelt ich brüllen kann. | |
Der freie Fall dauert nur knapp eine Minute – eine knappe Minute zu viel: | |
Schon nach Sekunden setzten Schnappatmung, Schweißausbrüche und ein | |
unbeschreibliches Übelkeitsgefühl ein. Den Tipp, nur durch die Nase zu | |
atmen, habe ich da schon vergessen. | |
Mit einem Klopfen auf die Schultern kündigt Daniel an, dass er nun den | |
Schirm öffnet. Ein Ruck, der meinem Magen einen weiteren Stoß gibt, dann | |
segeln wir langsam weiter. Selbst einmal den Schirm lenken oder gar Kreise | |
drehen, das will ich nun nicht mehr. Den Blick starr auf die | |
IG-Metall-Banner fixiert, die unseren Landeplatz kennzeichnen, hoffe ich | |
nur noch auf ein schnelles Ende. | |
Die jetzt beinahe geschlossene Menschenkette, die sich wie ein Wurm über | |
den Deich schlängelt, und die vielen Schafe dazwischen nehme ich erst sehr | |
kurz vor der Ankunft am Boden wahr. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, | |
zu atmen, meinen Magen unter Kontrolle zu halten – und den freundlichen, an | |
mir festgeschnallten Daniel nicht vollzukotzen. | |
Als der dann irgendwann „Beine hoch!“ ruft und wir, im einzigen Graben weit | |
und breit, auf unseren Hintern landen, hoffe ich nur noch, dass mich keiner | |
der vielen Journalisten und Kameramänner ansprechen möge und ich mich nicht | |
auf irgendjemandes Füße übergebe. Die anderen Springer schirmen mich ab, | |
bevor wir uns hinter den Gewerkschaftsbannern aufstellen, für das | |
Abschlussfoto. Da kann ich dann sogar wieder ein wenig lächeln. | |
26 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
ANNIKA STENZEL | |
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