# taz.de -- Die Produktivität der Krise | |
> ÖKOPOP Der Künstler als Auftraggeber und Auftragnehmer: Die Untersuchung | |
> des Marktes beginnt bei Henrik Schrat in der Kunst, ist da aber lange | |
> nicht zu Ende. Ein Porträt des Grenzgängers zwischen Kunst und Ökonomie | |
VON KATRIN BETTINA MÜLLER | |
Henrik Schrat stapelt gerne tief. „Ökonomie ist mein Hobby“, sagt er zum | |
Beispiel, oder „ich begebe mich in Unternehmen als eine Art kultureller | |
Verdauungsbazille“. Dabei hat ihm sein Interesse für ökonomische Vorgänge | |
nicht nur einige Aufträge in Unternehmen eingebracht, sondern ihm in | |
England auch im akademischen Kunstbetrieb Anerkennung eingetragen. | |
Zurzeit etwa arbeitet der Berliner Künstler an einer Doktorarbeit an der | |
Business-School der University of Essex: Sein Thema ist, wie sich | |
ökonomische Prozesse mit künstlerischen Mitteln, wie etwa dem Comic, | |
darstellen lassen und was diese Vermittlung möglicherweise der | |
wissenschaftliche Sprache voraushat. | |
Das Understatement aber ist auch eine Eigenschaft, die die Werke des | |
Berliner Künstlers selbst auszeichnet. Ob in kleinen Comicheften oder | |
großen Wandbildern: mit illustrativen und dekorativen Elementen öffnet | |
Henrik Schrat einfache Zugänge zu den oft gar nicht so einfachen Themen. | |
In der Berlinischen Galerie sind zwei seiner Arbeiten Teil der Ausstellung | |
„Berlin Transfer“, die Erwerbungen des Museums mit Leihgaben aus der | |
Unternehmenssammlung der Gasag zusammenbringt. In „Outsourcing“ ist der | |
Titel Programm, denn die mit Holzintarsien gestaltete Bildtafel erzählt in | |
mehreren Paneels von ihrer Entstehung: wie der Künstler mit einem | |
Stipendium nach New Delhi reiste, dort die Bekanntschaft von Holzschneidern | |
suchte, mit ihnen zusammensaß und schließlich jene Bildfolge entwarf und in | |
Auftrag gab, die wir als Betrachter nun vor Augen haben. | |
## Indische Holzschneider | |
Zum einen thematisiert Henrik Schrat damit eine gängige Praxis in der Kunst | |
selbst, die aber selten so sichtbar verhandelt wird, nämlich die eigenen | |
Ideen von anderen ausführen zu lassen; zum anderen bettet er diese Praxis | |
in den Kontext der Globalisierung und der Verlagerung der Produktion in | |
Billiglohnländer. | |
Doch es ist nicht allein der Inhalt, der „Outsourcing“ interessant macht, | |
sondern eben auch die Form. „Ökopop“ nennt Schrat einmal die Ausführung d… | |
comicähnlichen Komposition in Holz. Die Silhouetten der Figuren strahlen in | |
den warmen Holztönen auch etwas Elegantes und Anachronistisches aus. Es ist | |
die Übersetzung eines schnellen Mediums, des Comics, mit seiner | |
zeitraffenden Erzählweise, in eine alte, langsame und traditionsverhaftete | |
Technik. | |
Henrik Schrat, der aus Thüringen stammt, lebt heute in Berlin. Seine Arbeit | |
„Der Schwarm“ entstand 2006 im Auftrag der Gasag. Ein Schwarm kleiner | |
schwarzer Silhouetten, zwei Stockwerke hoch und wie ein Mobile aufgehängt, | |
wirkt von weitem tatsächlich wie ein luftiger und beweglicher Schwarm von | |
Vögeln oder Insekten. Er entstand für ein Treppenhaus im alten Shellhaus, | |
dem ehemaligen Bürohaus der Gasag. Die kleinen Silhouetten zeigen | |
vorgefertigte Motive, Cliparts aus Grafikkatalogen wie das Brandenburger | |
Tor, Teufel und Engel, Liebespaare, Rosen, Hexen. „Ich habe 100 solcher | |
Cliparts ausgesucht“ erzählt Schrat, „und bin mit diesem Musterkatalog zu | |
den Mitarbeitern der Gasag gegangen, die sich Favoriten aussuchen konnten. | |
Der Schwarm ist eine korrelierende Gruppe von Einzelindividuen, die aber | |
zusammen funktionieren müssen, um den Schwarm zu erzeugen. Die haben | |
begrenzte Freiheitsgrade, so wie im Prinzip auch Organisationen und | |
Unternehmen funktionieren. Genauso waren auch die Auswahlmöglichkeiten der | |
Mitarbeiter begrenzt. Deshalb ist das Ganze nicht nur Bild ihres Geschmacks | |
und der Vorlieben der Mitarbeiter, sondern auch ihres Handlungsrahmens.“ | |
## Sciencefiction | |
Damit, wie er sich in jeder Arbeit in die Karten gucken lässt, wie er den | |
Handlungsspielraum sowohl als Auftragnehmer wie als Auftraggeber immer | |
wieder neu auslotet, fügt Henrik Schrat der Kunst der Gegenwart dort, wo | |
sie über ihren Charakter als Ware nachdenkt, eine unterhaltsame Variante | |
hinzu. Das ist in den Zeiten, in denen Ökonomie fast nur noch unter den | |
Vorzeichen der Krise wahrgenommen wird, auch ein überraschend nüchterner | |
und unaufgeregter Ton, spielerisch zwar, aber ohne jeglichen moralischen | |
Druck. | |
Die Frage, wie man über die Welt des Geldes und der Märkte mit anderen | |
Mitteln als ihrem eigenen Fachjargon erzählen kann, beschäftigt Henrik | |
Schrat seit der Dot-Com-Krise in den 90er-Jahren. Seitdem schaufelt ihm die | |
wirtschaftliche Entwicklung jede Menge Themen zu. Im Jahr, als die Lehman | |
Brothers pleitegingen, erhielt er einen Kunst-am-Bau-Auftrag von der | |
Dresdner Bank in Frankfurt. Für die gläserne Fassade ihres „raums für | |
kultur“ entwarf er „Wolfsampel“, eine von Wölfen, Affen und Elchen bewoh… | |
industrielle Brache, die er als Silhouette auf den Fenstern anbrachte. Von | |
innen gesehen blendet sich die mythische Szenerie über den Blick in die | |
Bankenstadt als Vorschau auf die Zeit, wenn die Tiere die Städte | |
übernehmen. | |
Das ist auch eine romantische Vorstellung vom Ende des jetzigen Systems, | |
wie sie auch gerne von Sciencefiction gepflegt wird. Tatsächlich hat Schrat | |
ein Faible für dieses Genre. Das sieht man nicht zuletzt in seiner | |
Intarsienarbeiten „Space Odyssee“, die von geisterähnlichen Figuren nur so | |
wimmelt. | |
■ Ausstellung „Berlin Transfer“, Berlinische Galerie, bis 24. Mai | |
28 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
KATRIN BETTINA MÜLLER | |
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