# taz.de -- Merkels lächelndes Fallbeil | |
> SEITENWECHSEL Heute soll Regierungssprecher Ulrich Wilhelm BR-Intendant | |
> werden. Bisher war er auf die Öffentlich-Rechtlichen nicht nur gut zu | |
> sprechen – und umgekehrt | |
VON STEFFEN GRIMBERG | |
Es gilt als ausgemachte Sache, dass der BR-Rundfunkrat Regierungssprecher | |
Ulrich Wilhelm (48) heute zum Intendanten des Senders wählt. Damit wechselt | |
der enge Berater der Kanzlerin und langjährige Vertraute des früheren | |
bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber direkt aus der Politik an | |
die Spitze einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt. Auf diese war er | |
bisher zwar nicht immer gut zu sprechen, umgekehrt bei den Journalisten | |
aber ungewöhnlich beliebt. An scharfe Worte des blonden Volljuristen möchte | |
sich kaum jemand erinnern. Oder gab es die etwa doch? | |
## Überrumpelungsnummer | |
Am 27. August 2009 wartete MDR-Chefredakteur Wolfgang Kenntemich im | |
ARD-Hauptstadtstudio auf hohen Besuch: die Kanzlerin. Kurzfristig hatte der | |
Dreiländersender für Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ein | |
Angela-Merkel-Interview ins Programm gehoben, Thema: „Wie weiter im | |
Osten?“. Schließlich wurde am Sonntag darauf in zwei der drei MDR-Länder | |
gewählt – womit der exklusive Auftritt nach offizieller Lesart natürlich | |
rein gar nichts zu tun hatte. Er zielte angeblich ausschließlich auf die | |
Bundestagswahlen im September ab. Schließlich gab es auch eine | |
Intervieweinladung des MDR an den SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter | |
Steinmeier, zwei Wochen später. Die Überrumpelungsnummer war fast geschickt | |
genug eingefädelt – maßgeblich vom Regierungssprecher. | |
Doch dann musste Ulrich Wilhelm doch noch richtig sauer werden. Weil die | |
Linkspartei (sehr laut) und der ein oder andere Chefredakteur im | |
ARD-Verbund (eher leise) protestierten, wurde das Kanzlerinneninterview | |
genauso kurzfristig abgesagt, wie es anberaumt worden war. Am | |
Donnerstagmorgen erklärte MDR-Intendant Udo Reiter, die Terminwahl sei | |
„unglücklich“, eine einseitige Beeinflussung der Wahlkämpfe in beiden | |
MDR-Ländern nicht auszuschließen gewesen: „Um den Grundsatz der | |
Chancengleichheit nicht zu gefährden, verzichtet der MDR auf die | |
Interviews.“ | |
Wilhelm, sagen Insider, habe „einen Riesenstunk gemacht“ und darauf | |
gepocht, dass das Interview fest verabredet war und Merkel schon so gut wie | |
im Auto gesessen hätte. Die FAZ gab damals Schützenhilfe: Da zeige sich, | |
„wie weit der Arm der zumindest in ihrer östlichen Hälfte früheren | |
Staatspartei wieder reicht. An Auftritten ihrer Spitzenleute im Fernsehen | |
ist jedenfalls kein Mangel“, schrieb das Blatt. Davon, dass hier eine | |
durchsichtige Wahlkampfnummer mit freundlicher Unterstützung des Presse- | |
und Informationsamts der Bundesregierung durchgezogen werden sollte, kein | |
Wort. Die CDU nahm die Interviewabsage „mit Befremden“ zur Kenntnis, und | |
Wilhelm, heißt es in der ARD, ließ noch ein paar geharnischte Briefe | |
folgen. | |
Dabei kann der Regierungssprecher auch anders – viel laaaangsaaaamer. | |
## Zermürbungstaktik | |
Im Spätsommer 2009 zog sich das Tauziehen darum, ob sich Angela Merkel vor | |
der Bundestagswahl einer gemeinsamen Runde mit den Spitzenkandidaten der | |
anderen Parteien in ARD oder ZDF stellt, schon seit März hin. „Wir | |
versuchen mit Händen und Füßen, scharfem Timbre in der Stimme und auch | |
gutem Zureden, alle Spitzenkandidaten in eine Sendung zu bekommen“, klagte | |
damals ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Doch Merkel verweigere sich, | |
immer habe es in ihrem Terminkalender leider nicht gepasst. Solange Merkel | |
nicht dabei war, hielt sich auch SPD-Konkurrent Steinmeier mit Zusagen | |
zurück. Abgesagt hat die Kanzlerin aber auch nicht – das hätte nur die | |
Vorwürfe, Merkel würde kneifen und sich maximal für das bizarre | |
Kanzlerduell hergeben, aufs Schönste bestätigt. Also schoben Wilhelm & Co. | |
alles auf die lange Bank, bis es dem ZDF-Chefredakteur zu bunt wurde: „Die | |
Verweigerung von Kanzlerin und Kanzlerkandidat beschädigt die demokratische | |
Kultur“, sagte er und blies die „Berliner Runde“ ab. | |
Die ARD ließ sich noch länger hinhalten und für „Die Favoriten“ sogar den | |
niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff als CDU-Ersatzmann | |
aufschwatzen. Das war dann wiederum Steinmeier zu blöd. Und so gab es am | |
Ende doch eine PR-Niederlage für die Kanzlerin, und Wilhelm schrieb mal | |
wieder böse Briefe – diesmal an ARD und ZDF. Auch ZDF-Intendant Markus | |
Schächter wurde unter Druck gesetzt, Brender wegen seiner drastischen | |
Kritik an Merkel zurückzupfeifen. | |
Brender war im Kanzleramt da schon unten durch, subtil wurde seine | |
Weigerung, sich dem Merkel’schen Komment zu unterwerfen, und seine Kritik, | |
bei der Kanzlerin gehe es „wie bei Hofe“ zu, als „undiplomatische Art“ | |
getadelt. Die Quittung kam im November: Wie erwartet scheiterte Brenders | |
Vertragsverlängerung im von der Union dominierten ZDF-Verwaltungsrat. Über | |
Brender zu Gericht saß unter anderen Medienstaatsminister Bernd Neumann | |
(CDU), und einer der Drahtzieher im Hintergrund war – der unter | |
Journalisten so beliebte Ulrich Wilhelm. „Er ist im Grunde das lächelnde | |
Fallbeil“, sagt ein öffentlich-rechtlicher Grande. | |
Sollte sich dies als Spitzname Wilhelms im BR einbürgern, müsste der sich | |
zum wohl ersten Mal in seiner Karriere Sorgen um sein Image machen. | |
6 May 2010 | |
## AUTOREN | |
STEFFEN GRIMBERG | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |