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# taz.de -- Der stille, lange Ritt
> AMERIKANISCHE EINSAMKEIT John Fords Western lohnen sich auch für Linke:
> Sie können sich dabei von ideologiekritischen Reflexen erholen. Das
> Arsenal präsentiert nun eine Retrospektive des Hollywood-Regisseurs
VON DIEDRICH DIEDERICHSEN
Nirgends kann man seine Reaktionen so gut überprüfen wie vor einem
Ford-Film“, schrieb Frieda Grafe 1972 in der Süddeutschen Zeitung: „Wie
weit einem die eigene Verbildetheit, die intellektuelle, gestattet
mitzugehen.“ Die großartige Filmschriftstellerin und andere Autoren der
Zeitschrift Filmkritik verfolgten damals das Projekt, gerade auch solche
Hollywood-Regisseure zu ehren, die eine linke, ideologiekritische
Filmkritik zuvor in Acht und Bann getan hatte: klassisches Hollywood und
darunter noch mal besonders verboten: Western. John Ford hatte nicht nur an
patriarchal-soldatischen Männlichkeitsidealen mitgewirkt, wie sie sein
Lieblingsdarsteller John Wayne verkörperte. Er hat auch, wie er später
anmerkte, „mehr Indianer auf dem Gewissen als General Custer.“
Dennoch erkannten avancierte Leute wie Grafe ausgerechnet in der „oft
archaischen“ Schönheit seiner Bilder das Gegenteil von Kulturindustrie,
nämlich die „wirkliche Volkskunst“, die „uns abhandengekommen“ ist, �…
an ihre Stelle eine kleinbürgerliche Massenkultur rückte, die nur die
Karikatur bürgerlicher Kunst ist“. Die Filmkritik widmete in diesen Jahren
sogar Fords Nebendarstellern wie Ward Bond und Hank Worden ganze Hefte.
Schließlich feierte John Ford sein Debüt als Romanfigur: In Peter Handkes
„Kurzem Brief zum langen Abschied“ beruhigt er ein zerstrittenes Paar. In
Ford-Filmen erholte man sich von seinen ideologiekritischen Reflexen. Die
oft reichlich düsteren, dann eher biederen Epen schafften einerseits so
etwas wie harte Lebenstatsachen herbei, andererseits rissen sie den Himmel
auf.
So seltsam bis verschwiemelt einem diese Sehnsüchte heute vorkommen mögen,
in einer Zeit, wo man niemanden mehr Ideologiekritik austreiben muss und
der Mann der endlosen Wüstenhorizonte und niederschmetternden
Naturmonumente längst ein kanonisierter Heiliger des Kinos ist, die Suche
nach der amerikanischen „Volkskunst“ lohnt sich bei Ford noch immer.
## Hemmungslos heiter
„The Searchers“ mit einem abgründigen Rassisten als bösem Guten und
Indianern, die ihre Überfälle auf Siedler nicht verüben, weil sie Not
leiden und Vieh brauchen, sondern wirklich um zu morden, ist sowohl der
schönste wie irritierendste von Ford großen Western.
„Three Godfathers“, die zwischen Klamauk, bitteren Ernst und heiligen
Kitsch hindurchreitenden drei Gangster, die zu den Heiligen Drei Königen
werden, hat er dreimal verfilmt, und die letzte Version, manchmal zu
Weihnachten im Fernsehen, ist ein Hammer. In „Cheyenne Autumn“ dreht er am
Ende seiner Karriere die Perspektive und will anhand eines einzigen
endlosen Hungermarsches Gerechtigkeit für die amerikanischen Ureinwohner
einklagen – unterbrochen ist der überlange Elendszug von hemmungslos
heiteren 30 Klamauk-Minuten in Dodge City. In „The Man Who Shot Liberty
Valance“ wird eine ewige Frage der Staatstheorie – wie kann der Rechtsstaat
aus einem Gewaltakt hervorgehen? – mit einer unschlagbaren journalistischen
Pragmatik beantwortet. Man darf über diesen Akt eine Legende verbreiten,
wenn diese Legende selbst längst faktische Folgen hatte: „When the legend
becomes fact, print the legend.“
## 150 Jahre USA
Näher als über eine Rekonstruktion der von seinen Männern durchrittenen
Territorien oder über eine Kritik seiner patriarchal gepanzerten großen
Schweiger kommt man Ford als Autor amerikanischer Einsamkeitsgeschichten.
Und die betreffen nicht nur die von Berufs wegen vereinzelten Pistolen- und
Pferdemänner.
Auf spezifische Weise allein sind viele Ford-Figuren, ohne sich
existenzialistisch darin zu gefallen. Bei ihm wird der genremäßige Habitus
der Westernfigur aus der realen Verstreuung und Vereinzelung, den
zerrissenen und gebrochenen Lebensläufen der ersten 150 Jahre USA
entwickelt und großen Schauspielern auf den Leib geschrieben. Seine
Nachfolger hat er eher in Cormac MacCarthy oder Terence Malick als bei
Republikanern, die sich auf John Wayne berufen. Sein Thema ist die nur
selten patriotisch lackierte Gewaltgeschichte der Kolonisierung, seine
erzählerischen Mittel sind aber in der Tat folkloristisch und also
eigentlich völlig überfordert. Diese Überforderung wird nicht durch Hektik,
Action und Statistenmengen kompensiert, sondern mit den berühmten stillen
langen Ritten durch das menschenleere Arizona ratlos weggewischt und so
überwunden. Da starrt die Kamera dann auf drei kleine Reiterlein, und alles
ist unfassbar. Diese Fassungslosigkeit, da behält Frieda Grafe recht,
schlägt die konfektionierten Erhabenheitsstimmungen der „kleinbürgerlichen
Massenkultur“ noch immer um Längen.
■ Ab 8. Mai. Programm unter [1][www.arsenal-berlin.de]
7 May 2010
## LINKS
[1] http://www.arsenal-berlin.de
## AUTOREN
DIEDRICH DIEDERICHSEN
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