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# taz.de -- Anleitungen für die hohe Kunst des Treibenlassens
> ON THE ROAD Jemand, der im Schatten eines Baums liegt, liest, schreibt:
> Der Autor Daniel Dubbe reist um die Welt – die Literatur als
> transportablen Zufluchtsort stets mit im Gepäck: „Zwischenlandung“ heißt
> der dabei entstandene Band
Reisen der Kindheit sind die aufregendsten, mögen sie aus heutiger
Perspektive noch so bescheiden und unspektakulär wirken: die Busfahrt von
Hamburg nach Schleswig etwa, zum großelterlichen Hof – für Daniel Dubbe
nicht weniger als eine Expedition „an den Rand der bewohnten Welt“. Im
Unbewussten verkapselt, formieren sich jene frühen Erinnerungsfetzen nach
der Lektüre von „On the Road“ zum Lebensgefühl: der Drang, unbedingt
loszumüssen, wegzufahren, abzureisen, ganz wie dieser verrückte Neal
Cassady, ohne dessen Inspiration das Testament der Beat Generation nie
entstanden wäre. Nur konsequent, dass die Wanderjahre des Autors Daniel
Dubbe Ende der siebziger Jahre mit der Durchquerung des amerikanischen
Kontinents beginnen.
In der New Yorker Wohnung des Malers Dizi – der auch in Bernd Cailloux’
Roman mémoire „Gutgeschriebene Verluste“ auftritt – herrscht ungehemmter
Sprachfluss. Trotz der Regel: upper, niemals downer endet er in einem
perfekten Blackout. „Jede Stadt schenkt dem Fremden ein Mädchen“, hatte ein
befreundeter Schriftsteller prophezeit; der Reisende muss jedoch
feststellen, dass New York in diesem Punkt eine Ausnahme darstellt – alle
Berührungen bleiben flüchtig. Der Geist des „modernen“ Amerikas begegnet
ihm weniger auf den Straßen als in den Schriften Andy Warhols, ein
revolutionärer Geist, der zwischen Kunst und business art keinen
Unterschied macht. Eine Denkweise, die, so Dubbe, eins zu eins auf den
Literaturbetrieb übertragbar ist: „Wenn ein Autor in einem kleinen Verlag
gut verkauft, so naht sofort eine plumpe, dicke Verlagsheuschrecke, um sein
Werk in business art zu verwandeln.“
Die abendliche Lektüre im Motel erinnert eindrücklich an Wim Wenders’
Roadmovie „Alice in den Städten“: unvergessen Philip Winters (Rüdiger
Vogler) verächtlich-resignierter Blick auf die in solchen Unterkünften
ausliegende Bibel, die nach einem missglückten Recherche-Trip keine Fragen
beantwortet, vielmehr neue aufwirft. Will ihn einmal kein Fahrzeug
mitnehmen (Dubbe reist per Autostopp), spaziert er am Highway entlang,
sinnierend, ob die in Deutschland kultivierte „Verkrampfung“ sich jemals
lockern wird oder was eine Amerika-Reise in jungen Jahren bei Hitler hätte
bewirken können. Der gebürtige Hamburger steht seiner Heimat emotionslos
gegenüber, zwar sei er Deutscher der Herkunft nach, von Stolz oder gar
Überzeugung hingegen keine Spur. Dennoch gibt es Menschen, die ihn an
diesem Ort haben bleiben lassen: Redakteure, die in den Ferien lieber nach
Norderney fahren und Stellvertreter auf Weltreise schicken – Diktaturen und
Extremtourismus aussparend. So entstehen Features für den Rundfunk, denen
ein gewisser Leichtsinn anzumerken ist.
Beispiel gefällig? Aus Angst, beim Überqueren einer Eimsbütteler Straße
depressiv zu werden, flüchtet Dubbe nach Israel, wo er zunächst einen
Gedichtband Jehuda Amichais, später flanierende Passanten intensiv
studiert: „Folgende Leute gehen vorbei – zwei Männer in Zivil, älteres Pa…
mit Babykarre, Soldat mit Baskenmütze und MP, ein Betrunkener mit einem
Schuh in der Hand, keine typischen deutschen Urlauber, keine Dirndl, keine
Punks.“ Ein Dérive-Experiment, das, in weiteren Episoden praktiziert, den
Leser so nah wie möglich in der Handlung, welche in natürlichen Bewegungen
vom Zentrum zur Peripherie und zurück verläuft, verortet. Das Schicksal des
Schriftstellers, allein sein zu müssen, um aus Wahrnehmung Literatur werden
zu lassen, wird auf Reisen, so scheint’s, ausgenutzt: Während der Autor
Experten zur politischen und sozialen Lage Costa Ricas befragt, lässt sich
dessen Begleitung von mittelamerikanischen Liebeskünsten überzeugen. Neben
dem Leitsatz „Was zählt, ist Ewigkeit und Dauer“ benötigt der Reisende
bisweilen das Zwinkern des Fatums, das, sofern es ausbleibt, jederzeit zur
Umkehr führen kann: So endet ein Kamerun-Aufenthalt im Hamburger
Hafenkrankenhaus; Diagnose: Malaria tropica.
Reisen ohne Bücher – undenkbar: ob Joseph Conrad in Verbindung mit
buddhistischen Thesen am thailändischen Strand oder die Werke Emmanouil
Roidis’ in Griechenland. Für Dubbe, der nach zahlreichen Romanen und viel
beachteten Beiträgen zur Geschichte der RAF seit 2009 seine Autobiografie
in Einzelbänden veröffentlicht, ist die Literatur ein transportabler
Zufluchtsort – immer dann, wenn die Menschen den Eindruck erwecken, dass
sie nur ein müder Ersatz dessen sind, was sie hätten sein können. Ohnehin
ist der ehemalige Herausgeber der Zeitschrift Boa Vista niemand, der sich
hemmungslos in die Fluten stürzt, lieber begibt er sich in den Schatten
eines Baums, liest, schreibt. Zwischenlandung.
„Vom Reisen“, Teil drei der geplanten Tetralogie, hat eine
unmissverständliche Botschaft: Scheiß auf die moderne Welt! Es ist eine
Anleitung zum Rumtreiben, ohne dabei etwas Spezielles suchen oder finden zu
wollen – diese Einstellung heißt Freiheit. Der Epilog schließt mit der
Erkenntnis des Verfassers, dass die schwere Arbeit am leichten Stil niemals
vorbei ist. Die Arbeit hat sich gelohnt: Die Prosa von Daniel Dubbe macht
vollkommen glücklich.MARTIN WILLEMS
■ Daniel Dubbe: „Zwischenlandung. Vom Reisen“. Maro Verlag, Augsburg 2013,
140 Seiten, 14 Euro
26 Oct 2013
## AUTOREN
MARTIN WILLEMS
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