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# taz.de -- Auferstanden aus Ruinen
> JAPAN Zweieinhalb Jahre nach dem folgenreichen Erdbeben gewinnen die
> Tohoku Eagles, eine Mannschaft aus der gebeutelten Stadt Sendai, die
> Baseball-Meisterschaft
AUS TOKIO FELIX LILL
„Nach dem Tsunami war hier jeder so einsam“, schrie Koutaru Yamonshita
gestern gegen 22 Uhr Ortszeit gegen den Jubel an, als er im Gedränge hin
und her geschubst wurde. „Aber der Sport hat uns alle zusammengebracht, das
war damals schon so. Und jetzt das!“ Nicht weit vom Miyagi Stadium in
Sendai, wo Yamonshitas Tohoku Rakuten Eagles gegen den viel reicheren
Favoriten, die Yomiuri Giants aus Tokio, das siebte und letzte Finalspiel
der Saison bestritten, schauten Hunderte über eine Leinwand zu.
Die letzten Stadiontickets sollen für 200.000 Yen (rund 1.500 Euro)
verkauft worden sein. Noch nie hatte es ein Meisterschaftsspiel in Sendai
gegeben, das vor zweieinhalb Jahren noch durch Verwüstung Schlagzeilen
machte. Doch gestern Abend schrieben die Tohoku Rakuten Eagles eine andere
Geschichte: Nach einem 3:0-Sieg kommt der neue Meister in Japans
Nationalsport Baseball aus den teilweise noch immer zerstörten Gebieten des
Landes.
Die Leistungen der Eagles wurden schon vorm Finale einem Wunder
gleichgesetzt. „Die Region hat sich auch wegen des guten Laufs der Eagles
ein Stück erholt“, schrieb die Japan Times vor Kurzem. „Märchenhaft“ sei
der Aufstieg des Teams, meinte die Tageszeitung Mainichi Shimbun. Die
Asienausgabe des Wall Street Journal beobachtete einen „herzerwärmenden
Schub für den noch immer mit dem Desaster kämpfenden Nordosten Japans“.
Übertreibungen sind das nicht. Zwar hat sich die Ein-Millionen-Stadt
Sendai, wo die Eagles beheimatet sind, vergleichsweise gut von den Wehen
durch Tsunami, Erdbeben und die folgende Reaktorkatastrophe weiter südlich
in Fukushima erholt. Die umliegenden Regionen aber, aus der die
Baseballtruppe einen Großteil ihrer Fans schöpft, sind noch weit davon
entfernt. 20.000 Menschen starben vor zweieinhalb Jahren, ganze Städte
wurden weggespült oder mussten evakuiert werden. 160.000 Menschen leben bis
heute fern der Heimat.
Die vom Tourismus abhängigen Gebiete haben heute ein Fünftel weniger Gäste
als vor 2011, die Fischer rund ein Viertel weniger Umsätze, zahlreichen
Landwirten ist der Verkauf ihrer Produkte verboten. Zwei Drittel der
Ackerfläche ist weiterhin unbenutzbar, obwohl mit Hochdruck am Wiederaufbau
gearbeitet wird.
„Die Siege der Eagles bringen jetzt Schwung in unsere Gegend“, sagt der Fan
Tetsaya Sato. „Mit so einer Leistung hätte wirklich niemand gerechnet. Kein
Team der Liga wurde ja von der Katastrophe so mitgenommen wie unsere
Eagles.“ Dieses Image des Underdogs pflegte die Mannschaft auf ihrem
gesamten Weg in der Nippon Series, dem Meisterschaftsfinale. Auf ihrer
Website prangte ganz oben der Satz: „We are the Challengers“, wir sind die
Herausforderer.
Die japanische Baseballsaison teilt sich in zwei regionale Gruppen auf, die
Central League und die Pacific League. Mit ähnlich deutlichem Abstand wie
die Yomiuri Giants in der Central League gewannen die Eagles in diesem Jahr
ihre Pacific League. Als kleiner Meister konnten sie sich seit einigen
Wochen feiern. Schon dies war der erste große Erfolg. Erst seit neun Jahren
besteht die Truppe. Seither gehörten die Eagles weder zu den reichsten
Teams noch zu den erfolgreichsten. Die bisherigen Serien schlossen sie mit
einer Ausnahme immer höchstens im Mittelfeld ab.
Die Wende kam paradoxerweise vor zwei Jahren, nachdem am 11. März 2011 das
Erdbeben und der Tsunami die Region zerstört hatten. Die Saison 2010 hatten
die Eagles noch als Sechster der Pacific League abgeschlossen, 2011 landete
man auf dem fünften Platz, ein Jahr später auf dem vierten. In diesem Jahr
wurden dann alle Erwartungen gesprengt.
Sicher sind diese Erfolge die Früchte langer disziplinierter Arbeit unter
der Ägide von Senichi Hoshino, einst Profi und seit Langem legendärer
Erfolgstrainer. Seit drei Jahren ist Hoshino im Amt, und ihm ist wohl nicht
nur für die sportlichen Geschicke zu danken. Als Sendai und die umliegenden
Gebiete die Katastrophe erreichte, befand sich die Mannschaft im
Trainingslager im weit entfernten Osaka.
„Ich hatte Zweifel, ob wir zurückkommen sollten“, sagte Hoshino damals mit
Bezug auf die Trainingsmöglichkeiten, denn die Übungsplätze waren völlig
zerstört, das Stadion schwer beschädigt. „Aber die ganze Mannschaft muss
der Region Mut machen.“ Als die Spieler im April 2011 diverse
Notunterkünfte in der Region besuchten, sagte Hoshino: „Wir kommen viel zu
spät.“ Motohiro Shima, Ballfänger im Team, versicherte Menschen vor Ort,
die ihr Zuhause verloren hatten: „Wir werden allen die Kraft von Baseball
demonstrieren, wie es ganz Tohoku beflügeln kann.“
Diese Gesten haben dem noch jungen Team zu mystischer Bedeutung verholfen.
„Die Eagles sind unsere ganze Hoffnung“, rief Motohiro Suzuki, ein Fan, der
nach dem Tsunami sein Haus verlor, jetzt nach dem Spiel. Und die Eagles
sind nicht die einzige Mannschaft aus ihrer Stadt, die sich aus der
Verwüstung in die Herzen der Region gespielt haben. Dem Fußballklub Vegalta
Sendai gelang vor zwei Jahren ein ähnliches Wunder, als sie im Jahr der
Katastrophe als Abstiegskandidat noch Vizemeister wurden. Der glückliche
Motohiro Suzuki, der auch die Fußballer von Vegalta unterstützt, brachte
diese Erfolge auf eine einfache Formel: „In Sendai werden Sieger gemacht!“
Solche, die aus den Trümmern kommen.
4 Nov 2013
## AUTOREN
FELIX LILL
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