# taz.de -- Regensburg räumt ab | |
> ALTERNATIVKICK Die Bunten Ligen spielen zum 25. Mal einen Meister aus – | |
> mit Übergewicht im Mittelfeld | |
LEMIERS taz | Der eine trug sein altes Che-Shirt, ein anderer | |
brustbotschaftete vom „3. Karl-Marx-Cup in Trier – ich war dabei“, und | |
woanders wehten Fahnen mit roten Sternen. Irgendwie waren (und vielleicht | |
sind) alle mal links. Witz und Parodie fallen oft leichter als der | |
erschreckend leichte Kurzpass zum freistehenden Mitspieler. Auf dem Platz | |
wurde über Taktiken philosophiert: „Deine Laufwege? Du hast nur einen: Nach | |
vorn und immer sofort wieder zurück.“ Andere stellten teamintern ein | |
Übergewicht im Mittelfeld fest: „Das hat vier Namen, und macht locker | |
anderthalb Zentner aus.“ Die schönsten Trikotagen 2010 trug Dynamo Windrad | |
aus Kassel mit Namen wie „Wetts Kandal“ und „Sabo Tage“, „Pa Radox“… | |
„SoziAli Smus“. | |
Seit 25 Jahren findet zu Pfingsten die Deutsche Alternativ-Meisterschaft | |
(DAM) statt: Fußball selbstorganisiert und jenseits des früheren | |
Monopolisten DFB, in bunten und wilden Ligen. Dieses Jahr traf sich die | |
Szene in Holland (in Lemiers nahe Aachen) – ein bisschen Internationalismus | |
kommt gut, wenn das Alternativmilieu seinen nationalen Meister sucht. Es | |
gab aber auch praktische Gründe: Nur außerhalb Aachens gibt es drei gute | |
Rasenplätze nebeneinander. Und 32 Turnier-Elfen brauchen viel Platz für | |
Spiel und Trank. | |
Fast hätte es das erste wirkliche und tatsächliche 6-Punkte-Spiel der | |
Fußballgeschichte gegeben: Das Bielefelder Duell zwischen Laufen Solln Die | |
Andern und Mein Freund Ist Aus Leder wollten die Teams zunächst für die | |
eigene Wilde Liga gleich mitwerten. Das Argument: „Dann hat man 90 Minuten | |
mehr frei.“ Im letzten Moment überlegten es sich die Lederfreunde aber | |
anders. Und das war weise: Sie verloren 1:2. | |
DAM-Geschichte schrieb dafür der kleine Orlando aus Hamburg, für die | |
Pampers All Stars der Roten Beete wieselfüßig unterwegs. Er wurde mit neun | |
Jahren jüngster Torschütze aller Zeiten. | |
Fußballhistorische Dimensionen hatte das Versagen von Partisan Eifelstraße | |
aus Aachen: Der Altmeister (1991) verlor sein Viertelfinale im | |
Elfmeterschießen gegen Union Street FC aus Oxford, eines der zwei | |
internationalen Teams neben Hedu Lodz. 11er-Schießen gegen Engländer | |
verlieren! „Unfassbar“, fand das anschließend auch Teamchef Dieter Becker: | |
„Wir schämen uns sehr.“ Später behaupteten die Oxforder dann zwar, sie | |
hätten raffinierterweise nur ihre Waliser und Iren schießen lassen. | |
Vielleicht war das auch nur eine Lüge zur Schmachlinderung – great | |
sportsmanship. | |
Mittlerweile wird der Alternativkick auch wissenschaftlich erforscht. Als | |
Ethnograf hat Richard Gebhardt, Politologe an der TH Aachen, jetzt die | |
„undogmatischen Leibesübungen“ als Teil der neuen sozialen Bewegungen | |
beobachtet. In einem langen Aufsatz über den „subversiven Buntligafußball“ | |
hat er sogar Habermas eingewechselt („Assoziationswesen, das problemlösende | |
Diskurse zu Fragen allgemeinen Interesses im Rahmen veranstalteter | |
Öffentlichkeiten institutionalisiert“) und erklärt fußballbunte | |
Alltäglichkeiten mit wissenschaftlichen Weihen: „Beim Spiel ohne | |
Schiedsrichter ist die Beantwortung der Abseitsfrage Resultat deliberativer | |
Aushandlungsprozesse.“ Kaum jemand wusste das bisher, wenn er | |
leidenschaftlich streitet, um Abseits oder ein versehentliches Handspiel. | |
Bei der Auslosung assistiert hatte Simon Rolfes. Der Leverkusener Profi | |
lebt nahe Aachen und wollte auch zum Endspiel wiederkommen. Doch seine | |
Gattin ist hochschwanger. Das hieß: Kreißsaal statt Mittelkreis. Rolfes | |
verpasste das Finale zwischen den Piranhas aus Regensburg und der RAF | |
(Regensburgs Alte Filmbühne) – die Piranhas gewannen 2:0. | |
„Fußball“, sagte ein weiser Veteran von Aachens Team Senile kickt, „ist … | |
einfaches Spiel, aber kein leichtes Spiel.“ Und auch nicht zu erklären: | |
Denn nicht nur die Plätze 1 und 2 gingen in die Papststadt, sondern – | |
besonders umjubelt – auch der Platz 31 an die jungen Frauen von Kosmos Ost: | |
Erstmals wurden sie bei ihrer 5. DAM-Teilnahme nur Vorletzte. Glückstrunken | |
stimmten sie bayerisch donnernd die Internationale an: „… die Interstellare | |
erkämpft das Mädchenrecht.“ Was immer das bedeuten sollte. Mysteriöses | |
Regensburg. | |
BERND MÜLLENDER | |
25 May 2010 | |
## AUTOREN | |
BERND MÜLLENDER | |
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