# taz.de -- Opferlamm im Schrebergarten | |
> SPIELFILMDEBÜT Wäre gerne radikal: „Tore tanzt“ von Katrin Grebbe | |
Mehr Radikalität forderte der Regisseur Matthias Glasner letztes Jahr | |
vehement von seinen deutschen Kollegen in der FAZ. Nur dann könne es auch | |
was werden mit Cannes: „Das ist die Champions League, das Beste, was es | |
jedes Jahr gibt. Für mich hat das immer auch einen sportlichen Charakter.“ | |
Selber wurde Glasner bislang nicht an die Côte d’Azur eingeladen, aber bei | |
„Tore tanzt“, dem einzigen deutschen Film, der es dieses Jahr in die | |
offizielle Auswahl des Festival geschafft hat, taucht er im Abspann als | |
Drehbuchberater auf. | |
Mit sportlichem Ehrgeiz testet Regisseurin und Drehbuchautorin Katrin | |
Grebbe in „Tore tanzt“ auf jeden Fall die Ekelgrenzen ihres Publikums aus. | |
In der unvergesslichsten Szene ihres Regiedebuts wird Titelheld Tore | |
gezwungen, ein grünschimmeliges, madenzerfressenes Hühnchen zu verspeisen. | |
Und damit ist sein Martyrium noch lange nicht zu Ende. Der jugendliche | |
Jesus-Freak ist mit seiner „Liebe deinen Nächsten“-Haltung an die Falschen | |
geraten. Nachdem er an einer Autobahnraststätte scheinbar mit Jesu Hilfe | |
den Wagen einer Familie wieder zum Laufen gebracht hat, dankt die es dem | |
heimat- und familienlosen Außenseiter mit einer Einladung in ihr | |
Schrebergartenheim. Doch die anfängliche Gastfreundschaft wandelt sich zu | |
einem immer extremer werdenden Sadismus gegenüber ihrem Opferlamm, an dem | |
sich am Ende sogar Nachbarn beteiligen. Tore begreift die Übergriffe als | |
Prüfung seines Glaubens und hält neben der zweiten Backe auch alle anderen | |
Körperteile hin. Doch dieses Gottvertrauen provoziert seine Peiniger nur | |
immer weiter. | |
Die Filmgeschichte kennt viele herausragende Beispiele für Darstellungen | |
christlich motivierten Märtyrertums, am prominentesten wohl in Carl Theodor | |
Dreyers „La Passion de Jeanne d’Arc“. Was diesen Film radikal machte, war | |
nicht die Selbstopferung auf dem Scheiterhaufen, sondern das Zusammenspiel | |
mit einer filmischen Form, die ebenso klar und reduziert ist wie die | |
Haltung der Heldin. | |
Der Vergleich mit einem verehrten Klassiker der Filmgeschichte mag unfair | |
sein. Dagegen ist „Tore tanzt“ lediglich extrem, aber nicht radikal. | |
Vielleicht lässt sich das etwas bemühte Austesten von Grenzen der Jugend | |
der Regisseurin zuschreiben, vielleicht ist es Kalkül – das im Hinblick auf | |
Cannes aufgegangen ist –, doch Gebbe läuft Gefahr, die vorhandenen | |
Qualitäten ihres Films in den Hintergrund zu drängen: das überzeugende | |
Casting, die ungewöhnlichen Settings und die dichte Atmosphäre. SVEN VON | |
REDEN | |
„Tore tanzt“. Regie Katrin Gebbe. Mit Julius Feldmeier, Annika Kuhl u. a. | |
Deutschland 2013, 110 Min. | |
28 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
SVEN VON REDEN | |
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