# taz.de -- White Box, Black House | |
> KUNST Wie die bedeutendste Sammlung afrikanischer Fotografie ausgerechnet | |
> nach Ulm kam | |
VON BRIGITTE WERNEBURG | |
Burlafingen, ein Stadtteil von Neu-Ulm mit 4.404 Einwohnern, verfügt nach | |
Selbstdarstellung der Gemeinde im Internet „über ein reges Vereinsleben und | |
hat sich einen ländlichen Charakter erhalten“. Mitte Juni sollte dazu noch | |
ein reges Kunstleben zu vermelden sein. Denn eine erkleckliche Zahl von | |
Besuchern der Art Basel wird es sich nicht nehmen lassen, einen Abstecher | |
nach Burlafingen zu machen, wo sie am Ziel ihres Begehrens, in der | |
Reichenauer Straße 21, tatsächlich auf der grünen Wiese stehen werden. | |
Ausgerechnet hier, in einem kleinbürgerlichen schwäbischen Vorort, hat der | |
New Yorker Sammler Artur Walther einen Komplex von vier Häusern für seine | |
auf Fotografie spezialisierte Walther Collection errichtet. Am 12. Juni | |
beginnt die Eröffnungsausstellung, kuratiert von Okwui Enwezor, der in | |
Deutschland als Leiter der documenta11 im Jahr 2002 bekannt ist. Doch wer | |
ist Artur Walther? Und warum baut er ausgerechnet in einem Vorort von Ulm? | |
„Ja, warum mache ich das hier?“, sagt der agile, schlanke 61-jährige | |
Sammler, während wir uns im „Black House“ unterhalten, einer einstöckigen, | |
minimalistischen Konstruktion, die – fensterlos zur Straßenseite – wie ein | |
dunkelbrauner Schokoladenkuchen auf dem Grün des Geländes thront. Zur | |
Gartenseite hin ist der Bungalow dank einer großen Glasfront hell und | |
lichtdurchflutet. „Ich hatte die Häuser hier; eines davon, mit hohen | |
Räumen, stand leer, und da dachte ich, das könnte ich doch als Lagerraum | |
und als eine Art Ausstellungsraum nutzen, um die Sachen hängen zu sehen. | |
Meine Wohnung in New York wurde allmählich viel zu klein.“ Und, nein, das | |
Projekt sei keine Rückkehr zu den Wurzeln: „Es gibt keine große | |
sentimentale Bindung.“ | |
## Geld an der Wall Street | |
Artur Walther stammt aus Burlafingen. Nachdem er in den 70er-Jahren an der | |
Harvard Business School studiert hatte, verdiente er sein Geld an der Wall | |
Street, bis er vor 15 Jahren aus dem Geschäftsleben ausstieg – in der | |
Position eines Seniorpartners der inzwischen ebenso berüchtigten wie | |
berühmten Investmentbank Goldman Sachs. | |
Das Haus, das einmal die Idee lieferte, die Sammlung hier zu zeigen, ist | |
übrigens längst schon abgerissen. An seiner Stelle hat das Architekturbüro | |
Braunger Wörtz die „White Box“ errichtet, das Hauptgebäude der Anlage und | |
ein mächtiger, gleichwohl transparenter dreistöckiger weißer Kubus. Damit | |
die Anlage nicht den Maßstab der umgebenden Häuser sprengt, wurde die | |
Hauptgalerie mit etwas über 1.500 Quadratmetern unter die Erde gelegt. Sie | |
wird die großen Formate aufnehmen, während in einer kleineren Galerie im | |
zweiten Stock monografische Ausstellungen zu einzelnen Künstlern geplant | |
sind. | |
Das dritte Gebäude ist ein einfaches 50er-Jahre-Wohnhaus, das nur im Innern | |
modernisiert wurde. Hier sollen im intimen Rahmen gewöhnlicher Wohnräume | |
die kleinen Fotoformate zur Geltung kommen. Weil wilder Efeu den schlichten | |
Bau überwuchern wird, firmiert es als „Green House“. Ein viertes Gebäude, | |
ein dreistöckiges Wohnhaus, beherbergt das Büro, die Bibliothek und ein | |
Gästeapartment, wobei es noch eine normale Mietpartei im Haus gibt. | |
Die Namen der Ausstellungsgebäude sind aufschlussreich. Die doch | |
naheliegende Ironie eines „Green House“, „White Cube“ und einer „Blac… | |
ist dem unprätentiösen, sachlichen Charakter des Sammlers eben – denkbar | |
fern. Pragmatisch geht er auch sein Programm an. Einmal im Jahr, und zwar | |
im Juni, wird es eine neue Hängung geben. „Es ist sehr schön, hier zu sein | |
im Mai“, sagt er. „Also plane ich im Mai und eröffne im Juni. Zu dieser | |
Zeit sind die Leute international unterwegs. Man ist in Basel, dann kann | |
man das noch mitnehmen. Bregenz ist eine Stunde entfernt, Winterthur mit | |
dem Fotomuseum und der Fotostiftung Schweiz zweieinhalb Stunden.“ Mit dem | |
Zug nach Ulm, aber auch mit dem Auto ist die Walther Collection einfach zu | |
erreichen. Besuchstermine sind für die Zeit von Donnerstag bis Sonntag zu | |
vereinbaren. | |
Die Neuhängung wird jedes Jahr einem anderen Kurator übertragen, der mit | |
der Sammlung vertraut ist. Okwui Enwezor etwa hat Artur Walther bei seinen | |
afrikanischen Erwerbungen beraten, die neben der chinesischen Fotokunst | |
einen Sammlungsschwerpunkt bilden. Angefangen zu sammeln hat Walther aber | |
mit deutschen Positionen wie August Sander, Karl Blossfeldt und vor allem | |
den Bechers. Warum ausgerechnet Fotografie? Hängen sich Finanzinvestoren | |
wie er nicht eher zeitgenössische Malerei an ihre Wände, um sich die | |
aktuelle Kunst in ihrer ganzen Breite von Installation bis Videokunst | |
einzuverleiben? | |
Ironie perlt auch hier an einem unverstellten Ehrgeiz ab, dem jede | |
Prätention fernliegt. „Ich bekam damals eine Leica geschenkt, ich glaube zu | |
Weihnachten, und fing dann eben zu fotografieren an.“ Was bedeutete, dass | |
Artur Walther Kontakt zu Stephen Shore aufnahm und bei Bernd und Hilla | |
Becher zu fotografieren lernte. Sich einfach als Knipser vorzustellen ist | |
für Artur Walther nicht denkbar. Also bezog er ein Studio in Chelsea, doch | |
als er 1998 kurz davor war, eine Fotografenkarriere zu starten, wurde ihm | |
klar, dass er sich so eindeutig nicht festlegen wollte. „Aber dadurch hatte | |
ich eine wahnsinnige Fokussierung auf Fotografie.“ Ihr frönt er nun als | |
Sammler; wenig verwunderlich zunächst von Werken, die es ihm aufgrund ihres | |
systematischen, objektiven Charakters und ihrer klassifizierenden und | |
seriellen Struktur angetan hatten. | |
Dass Artur Walther in der Folge ausgerechnet die stark in Performance- und | |
Aktionskunst gründende chinesische Fotografie entdeckte, verwundert – | |
weniger, dass „mir jede einzelne Erwerbung Kopfzerbrechen bereitet hat“, | |
wie er gesteht. Denn anders als der häufig anzutreffende, impulsive | |
Sammlertypus, der auch gerne mal en gros einkauft, gehört Artur Walther zu | |
einem bedachtsamen, intellektuellen oder auch gewissenhaften Typ des | |
Sammlers, der mit dem jeweiligen Konvolut auch dessen kuratorische | |
Präsentation und kunstwissenschaftliche Publikation im Auge hat. | |
Trotzdem kann auch, wer sorgsam vorgeht, in kürzester Zeit eine maßgebliche | |
Sammlung zusammentragen: Gerade mal vor neun Jahren wurde der New Yorker | |
auf die Bildproduktion des Schwarzen Kontinents aufmerksam – und nun nennt | |
die Walther Collection die bis dato umfangreichste Sammlung | |
zeitgenössischer afrikanischer Fotografie ihr Eigen. | |
## Black Photo Album | |
Die 2001 noch als anonym gehandelten Fotos, die das Interesse des Sammlers | |
erregten, stammten, wie sich herausstellte, von dem Bamakoer | |
Studiofotografen Seydou Keïta, dem Enwezor in der Ausstellung jetzt August | |
Sander gegenüberstellt. Da Sanders „Menschenatlas“ Keïta unbekannt war, i… | |
der Zusammenhang strukturell motiviert: Für die Aufgabe Porträt scheint das | |
Medium aus sich heraus sichtbar verwandte Lösungen nahezulegen. | |
Unter dem Thema „Figuration and Theatricality“ wird der Londoner Fotograf | |
nigerianischer Abstammung Rotimi Fani-Kayode, der 1989 an Aids starb, | |
präsentiert, ergänzt um eine Gruppenausstellung von 25 afrikanischen | |
Künstlern, darunter bekannte Namen wie Candice Breitz, David Goldblatt, | |
Nontsikelelo (Lolo) Veleko oder Boubacar Touré Mandémory. Mit Kopien aus | |
dem „Black Photo Album/Look at Me: 1890–1950“ von Santu Mofokeng legt der | |
Sammler dann ein besonderes Konvolut auf den Tisch des „Black House“. Denn | |
das „Black Photo Album“ will als Kommentar der berühmten, von 1929 bis 1954 | |
erschienenen 11-bändigen Reihe „The Bantu Tribes of South Africa“ von A. M. | |
Duggan-Cronins gesehen werden. Santu Mofokeng konfrontiert den | |
ethnografischen, kolonialen Blick Duggan-Cronins mit dem Selbstbild der | |
schwarzen Arbeiter- und Mittelklassefamilien, deren anonyme | |
Familienfotografien er gesammelt hat. | |
Nächstes Jahr, sagt Artur Walther, plane er mit seiner Sammlung | |
afrikanischer Fotografie das Thema „Landscape“ zu entwickeln. | |
Wahrscheinlich, so hat man den Verdacht, überblickt er längst schon die | |
zehn Jahre, von denen er annimmt, dass er sie der Weiterentwicklung der | |
Walther Collection widmen wird. Doch zunächst ist er noch mit dem | |
Redigieren des Katalogbuchs beschäftigt, das beim Steidl Verlag erscheint. | |
Weniger Look-Book als wissenschaftliches Kompendium, überzeugt es mit | |
Beiträgen von ausgewiesenen Experten wie Gabriele Conradt-Scholl für August | |
Sander, Virginia Heckert vom Getty Museum Los Angeles für die Bechers oder | |
dem Londoner Kritiker Kobena Mercer für Rotimi Fani-Kayode. Und darin | |
gewinnt das Projekt auch für diejenigen Sinn, für die Sammeln nicht eine | |
jederzeit unmittelbar einleuchtende Leidenschaft ist. | |
■ „Events of the Self: Portraiture and Social Identity“, The Walter | |
Collection, Neu-Ulm, [1][www.walthercollection.com] | |
5 Jun 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.walthercollection.com | |
## AUTOREN | |
BRIGITTE WERNEBURG | |
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