# taz.de -- Ein deutscher Verleger | |
> SPAZIERGANG Klaus Wagenbach feiert am Sonntag seinen 80. Geburtstag. Sein | |
> Leben ist eine kleine Geschichte der Bundes- republik, von den | |
> RAF-Schriften bis zum Bundes- verdienstkreuz | |
VON WIEBKE POROMBKA | |
Vollends strahlt Klaus Wagenbach, als schließlich im Schollenkrug zwei | |
Hacksteaks „à la Mayer“ serviert werden. Großzügig gebutterte | |
Bratkartoffeln, buntes Tiefkühlgemüse, über dem Ganzen ein Spiegelei, | |
getrocknete Zwiebelringe als Garnitur. Der Schollenkrug in Berlin-Tegel ist | |
eher ein Gasthaus als ein Restaurant, bunte Tischdecken, handfeste | |
Serviererinnen, ursprünglich war es das Vereinsheim der sozialistischen | |
Siedlung „Freie Scholle“, kleine Einfamilienhäuschen für Berliner Arbeite… | |
alle im selben Stil, grau verputzt. | |
Ein paar Straßen weiter, in der katholischen Siedlung, vis-à-vis einer | |
kleinen Kirche, ist Klaus Wagenbach aufgewachsen. Nur die Birke im | |
Vorgarten, die seine Mutter gepflanzt hat, ist geblieben. Das Haus im | |
Liebfrauenweg ist das einzige in der Siedlung, das 1943 von einer Bombe | |
getroffen wurde. Wagenbach war damals bereits mit Bruder und Mutter in den | |
Westerwald, später nach Hessen evakuiert worden, der Vater, allein in | |
Berlin geblieben, kroch leicht verletzt unter den Trümmern hervor. Nun, in | |
einem dunkelroten Wildlederblouson und (natürlich!) roten Socken zur gelben | |
Sommerhose, bleibt Wagenbach eine Weile vor dem Zaun stehen und betrachtet | |
den Garten, der sich im Bogen um das Eckhaus zieht. Vielleicht werde er | |
demnächst einfach mal hier klingeln, sagt er, und den Leuten sein neues | |
Buch vorbeibringen. | |
„Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe“ heißt der Band „Die Freiheit des | |
Verlegers“ im Untertitel, Texte Wagenbachs aus den vergangen fünf | |
Jahrzehnten sind darin versammelt. Gleich eine der ersten erzählt von der | |
Siedlung und seinem Elternhaus. Ein paar Meter weiter lacht Wagenbach auf, | |
nicht ganz so laut wie später beim Hacksteak. Noch immer derselbe Name | |
steht da auf einem Briefkasten. | |
Wenn man mit dem Verleger durch die kleine Siedlung schlendert, hinter dem | |
letzten Haus dann zum Tegeler Fließ einbiegt und plötzlich in einer | |
idyllischen Wald- und Wiesenlandschaft steht, durch die sich ein flacher | |
Bach, das Fließ, zieht, kann ein sonniger Vormittag eine erstaunliche | |
Geschichtsträchtigkeit bekommen. Wagenbach, der diesen Sonntag seinen 80. | |
Geburtstag feiert, ist nicht wegzudenken aus der bundesrepublikanischen | |
Nachkriegsgeschichte. Genauso wenig wie sein Verlag, den er 1964 gegründet | |
hat und der mit seinen sattroten Büchern derart markant die literarische | |
und kulturelle Welt, immer wieder aber auch das politische Leben dieser | |
Jahre auf- und durchgewirbelt hat. | |
Wagenbachs Vita liest sich wie eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. | |
Deutschlands meistvorbestrafter Verleger ist der kleine Mann, der in den | |
siebziger Jahren Manifeste der RAF und den Text zu einem Fernsehspiel von | |
Ulrike Meinhof veröffentlichte und das Ideal hatte, einen gesamtdeutschen | |
Verlag zu gründen. Nachdem er Texte von Wolf Biermann veröffentlicht hatte, | |
wurde er von der DDR mehrere Jahre mit Ein- und Durchreiseverbot belegt. | |
Und wenn er sich selbst als „dienstälteste Witwe Kafkas“ bezeichnet, dann | |
steckt hinter dieser etwas flapsigen Formulierung eine wahrhaft | |
bahnbrechende literaturwissenschaftliche Leistung. Angefangen mit seinen | |
Recherchen in den Archiven der Prager Versicherungsanstalt hat Wagenbach | |
beharrlich – und zum nicht geringen Unwillen von Kafkas Begleiter, | |
Nachlassverwalter und Biografen Max Brod – darauf gewirkt, Kafka zu | |
entmythologisieren und zu entmystifizieren. | |
Wagenbach, das steht für ein provokantes Einmischen in öffentliche | |
Debatten, aber auch für die Liebe zur Sprache. Engagement und Ästhetik – | |
etwas, das leider allzu häufig auseinanderfällt. Bei Wagenbach ist das eine | |
ohne das andere nicht zu denken und er verkörpert beides mit fröhlicher | |
Vehemenz. | |
Das hier sei die Rettung gewesen. Wagenbach bleibt stehen, deutet auf die | |
abgesenkten, von Schilf bewachsenen Wiesen und atmet wie nachträglich | |
erleichtert auf. Nachdem er mit seiner ersten Frau Katia und ihren drei | |
kleinen Töchtern Anfang der sechziger Jahre von Frankfurt nach Berlin | |
gekommen war, seien sie nahezu jedes Wochenende hier rausgefahren, ans | |
Tegeler Fließ, und die Kinder hätten spielen können, wo auch er seine | |
Kindheit verbrachte. In der Wohnung sei es viel zu eng gewesen. „Oh Gott, | |
war das chaotisch“, sagt er und lacht bei der Erinnerung an Zeiten, in | |
denen die Wohnung gleichzeitig Verlagssitz gewesen ist, als während der | |
Studentenbewegung zuweilen wildfremde Menschen auf den Fluren und in den | |
Zimmern kampierten. | |
Eigentlich lacht Wagenbach ständig, und immer muss man mitlachen. Manchmal | |
seien auch Günter Grass und er gemeinsam zum Pilzesammeln hierhergekommen, | |
fünf Kinder dabei, drei von ihm, zwei von Grass. „Haben wir alle gemeinsam | |
gemacht“, habe Grass den Entgegenkommenden zugerufen. Anekdoten aus | |
Wagenbachs frühen Jahren. Bei all seiner Freundlichkeit ist er aber auch | |
ein Mann der klaren Ansagen. „Noch drei Schuss haben Sie, dann hab ich | |
keine Lust mehr!“, ruft er der Fotografin zu, lässt sich von ihr dann aber | |
doch noch für ein weiteres Bild auf die schmale Holzbrücke dirigieren, die | |
über das Fließ geht. „Sie ist streng“, er nickt anerkennend. „Das find … | |
gut.“ | |
Dass er nicht nur ein Faible für Frauen, sondern vor allem eines für | |
entscheidungsstarke Frauen hat, betont Wagenbach immer wieder. Die Leitung | |
seines Verlags habe er 2002 in die Hände seiner dritten Frau Susanne | |
Schüssler gegeben, anstatt wie Siegfried Unseld Gremien einzusetzen, unter | |
denen ein Verlag aufgerieben würde. Oder gar wie Egon Ammann in der | |
Überzeugung, keine geeignete Nachfolge zu finden, das Programm des Verlags | |
einzustellen. | |
Wagenbach ist, in allem, was er sagt und macht, Emphatiker. Wenn er von | |
Büchern schwärmt, genauso, wie wenn er von seiner Erleichterung über den 8. | |
Mai 1945 erzählt. „Das ist ein Glück“, sagt er, „das reicht für ein Le… | |
Genauso leidenschaftlich ist er, wenn er sich über Dinge ärgert. Darüber, | |
dass wir nicht regiert werden, wie er findet. In den Hintern treten hätte | |
die Merkel der FDP doch sollen, nicht ihr in den Hintern kriechen. Beim | |
Namen Christian Wulff verdreht er nur verzweifelt die Augen. „Geboren in | |
Hannover, zur Schule gegangen in Hannover, studiert in Hannover, | |
Ministerpräsident in Hannover.“ Das stimmt zwar faktisch nicht ganz, Wulff | |
stammt aus Osnabrück, aber man hat selten eine pointiertere | |
Charakterisierung des neuen Bundespräsidenten gehört. | |
Eine Biografie brauche doch Kurven. Wagenbach, der zwischendurch für eine | |
Weile auf einer Bank Platz genommen hat, schüttelt den Kopf und blickt | |
kichernd einer Joggerin nach: „Läuft wie eine Ente.“ Stundenlang könnte m… | |
hier sitzen und sich von ihm über Fingerhut und andere Kräuter, die am | |
Wegesrand wachsen, erzählen lassen (Wagenbach war nach dem Krieg | |
Apothekergehilfe und hat die Zutaten für die Tinkturen selber im Wald | |
zusammengesucht) oder über die Wochen, die er regelmäßig in seinem Haus in | |
der Toskana verbringt. Am schönsten aber ist, wenn Wagenbach einfach nur | |
über die Sprache spricht und die kleinen Nuancen und Verschiebungen | |
vormacht, die aus einem Satz etwas ganz anderes werden lassen. | |
„So“, sagt Wagenbach auf einmal und steht von der Bank auf. „Jetzt lade i… | |
Sie in den Schollenkrug ein.“ Lauschig ist die Terrasse nicht eben, | |
Lastwagen donnern vorbei. Wagenbach strahlt, isst sein Hacksteak und die, | |
seien wir ehrlich, gnadenlos fettigen Bratkartoffeln und flötet vergnügt, | |
ein wenig triumphierend, in sein Handy: „Susanne, rate mal, was ich gerade | |
esse?“ Es braucht nicht viel prophetische Kraft, um zu ahnen, dass die | |
Verlegerin und Ehefrau solch vorstädtischen Mittagsmenüs wenig abgewinnen | |
kann. | |
10 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
WIEBKE POROMBKA | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |