# taz.de -- Ein absurder Boykott | |
> ISRAEL Die Kooperation mit dem ganzen Land zu verweigern, ist falsch. | |
> Doch wie die EU Institutionen in der Westbank nicht zu unterstützen, ist | |
> richtig | |
Um es ganz klar zu sagen: Israel als Ziel eines wissenschaftlichen Boykotts | |
herauszugreifen, wie es die American Studies Association (ASA) kürzlich | |
beschlossen hat, ist intellektuell nicht zu legitimieren und moralisch | |
unhaltbar. Es grenzt ans Absurde, Israel zu boykottieren, ein Land, das | |
trotz aller Fehler eine funktionierende Demokratie ist und die | |
Menschenrechte im Großen und Ganzen achtet, während Regimes nicht | |
boykottiert werden, die Homosexuelle aufhängen, ehebrechende Frauen | |
steinigen und weder wissenschaftliche Freiheit noch Pressefreiheit | |
gewähren. | |
Auf die Frage, warum die ASA ausgerechnet Israel zur Zielscheibe mache, | |
antwortete ihr Präsident Curtis Merez, irgendwo müsse man schließlich | |
anfangen. Von Wissenschaftlern erwarte ich, intellektuell und moralisch | |
kohärenter argumentieren zu können. Israel ist derzeit nicht in Gefahr, | |
weil die wissenschaftlichen Mainstream-Institutionen der Vereinigten | |
Staaten jede Form des Boykotts gegen Israel noch stets ohne Zögern | |
zurückgewiesen haben. Und wir können ziemlich sicher sein, dass der | |
Boykottaufruf der ASA keine allzu große Resonanz erfahren wird. | |
## Die differenzierte EU-Position | |
Ich fürchte aber, dass die israelische Rechte diesen absurden Boykott | |
benutzen und ihr übliches Lamento absondern wird, alle Kritik an der | |
israelischen Politik sei antisemitisch motiviert. Eine solche Reaktion wäre | |
genauso dumm wie der Boykott selbst. | |
Die Europäische Union hat vor Kurzem mit einer anderen Herangehensweise auf | |
die israelische Besatzungspolitik geantwortet. Gemäß ihren neuen | |
Richtlinien darf keine israelische Institution, die sich in der Westbank | |
befindet oder mit dortigen Organisationen und Projekten kooperiert, eine | |
EU-Förderung erhalten. Brüssel sendet so eine klare Nachricht: Israel ist | |
innerhalb der Grenzen von vor 1967 ein legitimer Staat, der im Verhältnis | |
zur EU einen bevorzugten Status genießt und enge ökonomische und | |
wissenschaftliche Beziehungen zur EU beibehalten wird. | |
Dagegen hat die EU eine eindeutige Position zur Besatzungspolitik. Die | |
Westbank ist kein Teil Israels, sondern besetztes Gebiet. Israel verletzt | |
die Menschenrechte mit der anhaltenden Besetzung, enteignet | |
palästinensisches Land und siedelt Israelis darauf an, was nach der Genfer | |
Konvention verboten ist. Daher boykottiert die EU jede Institution, die | |
sich an der Besetzung beteiligt. | |
Es ist sehr schwer, die EU-Position als unfair zu attackieren oder als | |
willkürliches Herausgreifen Israels als Boykottziel. Die EU delegitimiert | |
weder die Existenz Israels noch bestreitet sie, dass Israel eine liberale | |
Demokratie ist. Sie ist nur eindeutig, was die Verletzungen des | |
internationalen Rechts durch Israel betrifft, und sie ist zunehmend | |
entschlossen, ihre beträchtlichen Einfluss geltend zu machen, um Druck auf | |
Israel auszuüben, die Besetzung zu beenden. Die israelische Regierung hatte | |
daher auch keine andere Wahl, als die EU-Position zu akzeptieren, um Teil | |
des sogenannten „Horizonts 2020“ zu werden, der größten | |
Forschungsinitiative Brüssels, die für die Zukunft der israelischen | |
Universitäten von entscheidender Bedeutung ist. | |
## Weil Israel eine Demokratie ist | |
Auch für die Unterstützer Israels in den USA, die immer schnell dabei | |
waren, wenn es gegen wissenschaftliche oder ökonomische Aufrufe zum Boykott | |
Israels ging, dürfte es sehr schwer werden, irgendetwas grundsätzlich | |
Falsches an der EU-Strategie zu finden. Sie bedeutet einfach nur, die | |
Besatzung in keiner Form zu unterstützen. | |
Natürlich könnte die israelische Rechte immer noch argumentieren, dass die | |
Annektion der Westbank nicht mit den Grausamkeiten, die etwa von Syrien, | |
dem Sudan oder der Demokratischen Republik Kongo begangen werden, | |
verglichen werden kann. Das ist richtig. Israel sollte aber froh sein, dass | |
die zivilisierte Welt Israel an ihren eigenen Maßstäben misst und nicht an | |
solchen, die benutzt werden, um Diktaturen und gescheiterte Staaten zu | |
beurteilen. | |
Wir wollen Teil der „Horizont-2020“-Initiative sein, derzeit sind wir Teil | |
von CERN (der Europäischen Organisation für Kernforschung), und wir hoffen, | |
dass Israel weiterhin als wertvolles Mitglied der freien Welt gesehen wird. | |
Unser Problem ist, dass die jüngere Generation rechter israelischer | |
Politiker völlig unfähig zu sein scheint, um zu verstehen, wie wichtig es | |
ist, dass Israel als Teil der freien Welt respektiert wird. | |
## Freie Welt, aber wozu? | |
Ihre Anhänger glauben, dass Israel als Hightech- und Startup-Land | |
existieren kann, ohne in die Netzwerke der Forschungsuniversitäten der | |
freien Welt integriert zu sein, und dass die israelische Medizinforschung | |
ohne internationale Zusammenarbeit florieren kann. Und sie verstehen nicht, | |
dass Teil der freien Welt zu sein bedeutet, ihre zivilisatorischen Normen | |
zu akzeptieren. CARLO STRENGER | |
Übersetzung aus dem Englischen: Martin Reeh | |
Anmerkung: Am 16. Dezember beschloss die ASA als bislang größte akademische | |
Institution der USA einen Boykott Israels. In der Erklärung heißt es: „In | |
Erwägung, dass die American Studies Association der sozialen Gerechtigkeit, | |
dem Kampf gegen alle Formen des Rassismus einschließlich des Antisemitismus | |
(…) verpflichtet ist; in Erwägung, dass israelische Institutionen der | |
höheren Bildung Teil der Politik des israelischen Staates sind, die | |
Menschenrechte verletzt und die Arbeitsbedingungen von palästinensischen | |
Lehrenden und Studierenden beeinträchtigt; ist hiermit beschlossen, dass | |
die ASA den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft für einen | |
Boykott israelischer wissenschaftlicher Institutionen unterstützt.“ Während | |
etwa die frühere Black-Panther-Ikone Angela Davis, nach der einer der | |
jährlichen Preise der ASA benannt ist, die Resolution unterstützte, | |
verurteilten die Elite-Universitäten in Harvard, Yale, Princeton, Brown und | |
Cornell, die University of Chicago und die New York University den | |
Beschluss. Mehrere Universitäten, darunter Brandeis und die Indiana | |
University, traten aus der ASA aus. Am vergangenen Wochenende beschloss die | |
Modern Language Association eine israelkritische Resolution, die aber keine | |
Boykottaufforderung enthält. | |
14 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
CARLO STRENGER | |
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