# taz.de -- „Ich bin lebendig – das reicht“ | |
> SOUL-LEGENDE Fünfzig Jahre im Business: Ein Gespräch mit dem Pianisten | |
> und Sänger Dr. John über die Ölpest am Golf von Mexiko, sein neues Album | |
> „Tribal“, das fiese Musikgeschäft und den Geist von New Orleans in seiner | |
> linken Hand | |
INTERVIEW JULIAN WEBER | |
taz: Dr. John, der gefeierte Filmproduzent solcher Hits wie „Treme“ und | |
„The Wire“, David Simon, hat Sie kürzlich als das musikalische Gedächtnis | |
von New Orleans bezeichnet. Ehrt Sie dieses Lob? | |
Dr. John: Mir ist das schnuppe. Viel mehr beschäftigt mich die Ölpest. | |
Vierzig Prozent aller in den USA verkauften Seefische werden in unserer | |
Region gefangen! Wir hatten Austern, Shrimps und Langusten. Das Ölunglück | |
hat diese Fischgründe zerstört. Louisiana lebt traditionell von den | |
Schätzen der Meere. Nur ein Bruchteil der Bevölkerung hat bisher in der | |
Ölindustrie gearbeitet. Nun sind die Sumpfgebiete an der Mündung des | |
Mississippi, die Vogelinseln, all das mit Öl verseucht. | |
Auf Ihrem neuen Album „Tribal“ heißt ein Song „Only in America“, eine | |
Phrase die stets auf die Alleinstellungsmerkmale der USA angewandt wird. | |
Was meinen Sie damit? | |
Ich spreche mit dem Song die Tatsache an, dass die USA das Land mit den | |
meisten Gefängnissen auf der Welt ist, viele von dem Rüstungskonzern | |
Halliburton erbaut. Und in Louisiana stehen prozentual gesehen die meisten | |
Gefängnisse der USA. Wir haben die meisten Gefängnisinsassen. Ich | |
verabscheue diesen Umstand. | |
Ist die Musik in Louisiana so schön, weil der Ort so schrecklich ist? | |
Kann sein. Korruption gibt es auch anderswo in den USA und auf der ganzen | |
Welt. In Louisiana hat sich die Situation über die Jahre allerdings | |
verschlimmert. Wenn man über BP und die Ölpest spricht, wird immer | |
vergessen, dass Halliburton Logistik für die Tiefseeölbohrungen | |
bereitgestellt hat. Bereits im Februar ist eines ihrer Zugangsrohre zu | |
einer anderen Bohrinsel geborsten. Das hat damals nicht weiter für Aufsehen | |
gesorgt. Tiefseebohrungen werfen keinen Cent Profit ab. Wie bei einem | |
Goldrausch wurde immer weiter gebohrt, gerade weil Geld verloren ging. | |
Verantwortlich für den Schlamassel ist Dick Cheney, der 2002 als | |
US-Vizepräsident eine Gesetzesvorlage durchgewunken hat, die die Förderung | |
von Öl in der Tiefsee erleichterte. | |
Sie sind immer noch zornig, jetzt mit 70. Fühlen Sie sich eigentlich gar | |
nicht alt? | |
Doch, ich fühle mich alt, aber ich bin lebendig, mehr brauche ich nicht zu | |
wissen. | |
Sie arbeiteten schon als Teenager im Musikbusiness und haben es 50 Jahre | |
ausgehalten. Wie ging das gut? | |
Hören Sie, alles lief bei mir wie im Experiment. Ich konnte ja nicht sagen, | |
schlechte Erfahrungen mache ich nicht, ich will nur gute. Das Musikgeschäft | |
ist hinterhältig. Ich bin vielen Betrügern aufgesessen, die mir das Blaue | |
vom Himmel versprochen haben. Überleben konnte ich durch die Tantiemen, den | |
Urheberrechtsgesellschaften sei Dank. Leicht ist meine Existenz nie | |
gewesen. Ruhm ist schön und gut, aber auch ein Dr. John kann nicht von | |
seinen vergangenen Erfolgen leben. | |
Mussten Sie bei Ihren Eltern Überzeugungsarbeit leisten, damit Sie als | |
Teenager Konzerte geben konnten? | |
Am Anfang gab es harte Auseinandersetzungen. Aber 1953 hat mein Vater | |
kapiert, dass er mich vom Musikmachen nicht abhalten kann. Ich flog von der | |
Schule, kam an eine andere, bin aber sofort nach dem Unterricht in die | |
Aufnahmestudios gerannt, um meine Songs zu verticken. Er hat dann meinen | |
Namen auf Schallplatten entdeckt und verstanden, dass ich Geld verdienen | |
kann. In den Fünfzigern gab es einen gewerkschaftlich festgelegten | |
Einheitslohn: 22 Dollar pro Aufnahmesession, das war viel Geld damals. | |
Wie schwierig war es für Sie, während der Segregation mit Afroamerikanern | |
Musik zu machen? | |
Für mich war es eine Selbstverständlichkeit. Ich war nicht der erste | |
integrierte weiße Musiker und auch nicht der einzige Weiße im Studio. 1954 | |
wurde ich von Ace Records als Produzent engagiert. Viele Soulstars wurden | |
so durch mich am Anfang ihrer Karrieren gefördert, etwa Aaron Neville, Irma | |
Thomas, oder Lee Dorsey. | |
Ihre Stimme klingt fast unmelodisch, heiser. Wie kamen Sie zu dieser | |
Stimme? | |
Ich habe mich nie als Popsänger verstanden. Ich war scharf darauf, Songs zu | |
komponieren und weil ich sie den Sängern vorsingen musste, habe ich eher | |
nebenbei das Singen erlernt. Das hat gedauert. Und das hört man meiner | |
Stimme auch an. | |
Wer war Ihr Vorbild? | |
Der heute vergessene Soulsänger Chuck Carbo. Ich habe ihm einen Song | |
komponiert, den er mir auch abgekauft hat. Ich schrieb für andere, bevor | |
ich selbst berühmt wurde, das war mein Vorteil. Mit großen Künstleregos kam | |
ich nicht so gut klar, besser ging’s mit Musikern, die singen und | |
Instrumente spielen konnten. Nehmen wir Marvin Gaye, für den ich Piano | |
gespielt habe. Was die Welt nicht weiß: Marvin war ein herausragender | |
Schlagzeuger, der die Drums auf all seinen Songs selbst eingespielt hat. | |
Auf Ihrem Hit-Album „Right Place, Wrong Time“ von 1973, spielt der | |
sogenannte 2nd Line Beat die Hauptrolle. Können Sie anhand dieses Beats die | |
Musikgeschichte von New Orleans erzählen? | |
Am wichtigsten ist Musik in New Orleans bei Begräbnissen und am | |
Faschingsdienstag im Karneval. Dann spielt diese spezifisch tänzelnde | |
Blasmusik, die auf dem 2nd Line Beat basiert. Er geht bumtsch, badummtsch, | |
badummtsch, bum, bum. Der Rhythmus wurde über Jahrzehnte weiterentwickelt, | |
sagen wir von Earl Palmer bis Zigaboo Modeliste, dem Drummer der Meters. | |
Jeder fügte wieder ein anderes Detail hinzu. Das macht im Übrigen die | |
musikalische Besonderheit dieser Stadt aus, Tradition bedeutet immer auch | |
Innovation. | |
Warum haben Sie auf Ihren Soloalben immer wieder Kulturtechniken aus New | |
Orleans gepriesen? | |
Um auf ihre sozialen Bedeutungen aufmerksam zu machen, denn die sind vom | |
Vergessenwerden bedroht. Als Abtreibung in den USA noch illegal war, gab es | |
in New Orleans zum Beispiel einen von Frauen-Karnevalsgesellschaften | |
betriebenen „Temple of the Innocent Blood“. Der hat vielen Frauen das Leben | |
gerettet. Die Karnevalsgesellschaften haben das allein aus ihrem guten | |
Geist gemacht. | |
Aus ihrem guten Geist? | |
In New Orleans mögen wir die Toten. Ihr Geist wandert an einen besseren Ort | |
im Geisterreich. Deswegen wird in New Orleans nicht der Tod betrauert. Wir | |
feiern ihn. Der Alltag ist hart genug. New Orleans ist mehrheitlich arm, | |
daher fällt es leichter, das Spirituelle im Jenseits zu feiern. | |
Beginnen Sie deshalb auf Ihrem neuen Album mit dem Song „Feel Good Music“ | |
und preisen darin die Geister in ihrer Hand? | |
Es ist kompliziert, der Geist kommt von hier (deutet mit seiner rechten | |
Hand von links oben zur linken Hand) und läuft einmal durch den Körper, die | |
Seele und rechts wieder raus. In der linken Hand spürt man ihn am | |
stärksten. | |
31 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
JULIAN WEBER | |
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