# taz.de -- Ein kuratorischer Cliffhanger | |
> VON A BIS Z Knapp 700 Werke aus Konzeptkunst, Arte Povera, Minimal Art | |
> und Land Art umfasst die Sammlung Marzona im Hamburger Bahnhof in Berlin. | |
> Über zwei Jahre lang werden die Schätze in alphabetischer Reihenfolge | |
> aufgeblättert | |
VON TILMAN BAUMGÄRTEL | |
Etwas Transitorisches hat sie, die Präsentation der Sammlung Marzona, die | |
für mehr als zwei Jahre in wechselnder Zusammenstellung im Hamburger | |
Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst, zu sehen sein wird. Das | |
mag am kuratorischen Konzept der Ausstellung liegen – aber vielleicht auch | |
schlicht an ihrem Ort. Gezeigt wird die Präsentation in vier nicht | |
übermäßig großen Räumen, die man auf dem Weg vom Museumsbuchladen zum | |
Westflügel durchquert, in dem riesige Beuys-Installationen zu sehen sind. | |
Vier Räume, das ist nicht viel angesichts der knapp 700 Werke aus | |
Konzeptkunst, Arte Povera, Minimal Art und Land Art, die der | |
italienischstämmige Bielefelder – der sein Vermögen der väterlichen | |
Bauteilefirma verdankt – 2002 dem Hamburger Bahnhof teils verkaufte, teils | |
stiftete. Während die Sammlung Marx einen eigenen Flügel einnimmt und für | |
die Flick Collection gleich ein ganzer Riegel leerstehender | |
Speditionshallen hinter dem Museum umgebaut wurde, muss die Sammlung | |
Marzona häppchenweise gezeigt werden. Oder genauer gesagt: in | |
alphabetischer Reihenfolge. | |
Denn das ist die kuratorische Idee der Ausstellung „A–Z. Die Sammlung | |
Marzona“: Statt die Kollektion in ihrer Gesamtheit zu präsentieren, wird | |
sie dem Alphabet nach gezeigt. Es ist das erste Mal seit 2001 – als Teile | |
der Sammlung in einer großen Ankaufsausstellung im Westflügel des Hamburger | |
Bahnhofs und im Bundeskanzleramt zu sehen waren – ,dass | |
Sammlungszusammenhang zum Thema wird. | |
## A wie Arte Povera, B wie Daniel Buren, C wie „C.7500“ | |
Begonnen wird mit den Buchstaben A, B und C, im April dieses Jahres geht es | |
dann weiter mit D, E und F. Einen Katalog wird es erst 2016 geben, wenn der | |
„Ausstellungsreigen“ abgeschlossen ist. Verwirrenderweise können die | |
Buchstaben des Alphabets bei dieser Präsentationsform entweder für den | |
Namen eines Künstlers, einer Kunstrichtung oder sogar eine bestimmte | |
Ausstellung stehen. Der Buchstabe A wird in der aktuellen Version der | |
Ausstellung durch die Arte Povera vertreten, so dass der erste Raum mit | |
Werken dieser italienischen Kunstströmung der 60er und 70er Jahre bestückt | |
ist, darunter Arbeiten von Mario Merz, Guiseppe Penone und Alighiero | |
Boetti. | |
Moment mal, gehört Letzterer in der Logik der Ausstellung nicht unter B wie | |
Boetti? Nein, der Buchstabe B ist durch Daniel Buren vertreten, von dem | |
eine Rauminstallation mit Streifenbildern gezeigt wird. C steht für | |
„C.7500“, eine von der amerikanischen Kunsthistorikerin Lucy Lippard 1973 | |
kuratierte Ausstellung, die Konzeptkunst von Frauen zeigte. Ausgestellt | |
sind deren Katalog, der aus lauter einzelnen Karteikarten-artigen Blättern | |
besteht, sowie die Druckvorlagen dieses Katalogs. | |
Um zu erfahren, was es von Mario Merz außer den aktuell zu besichtigenden | |
Arbeiten noch in der Sammlung Marzona gibt, muss man sich also | |
voraussichtlich bis Ende dieses Jahres gedulden, wenn man im Alphabet bei M | |
angelangt sein dürfte. Oder werden dann Werke der in der Sammlung reichlich | |
vertretenen Minimal Art (was ja auch mit M beginnt) gezeigt? Mit dieser | |
Präsentationsform ist dem Hamburger Bahnhof ein echter kuratorischer | |
Cliffhanger gelungen. Wer die Sammlung Marzona in ihrer Gesamtheit kennen | |
lernen will, sollte daher regelmäßige Besuche des Hamburger Bahnhofs im | |
Vierteljahresrhythmus einplanen. | |
Vielleicht soll diese Form der Ausstellung aber auch einen Eindruck davon | |
vermitteln, was Egidio Marzona der Stiftung Preußischer Kulturbesitz außer | |
Arbeiten einer ganzen Künstlergeneration noch überlassen hat. Denn der | |
Sammler hat nicht nur Kunstwerke gekauft, sondern auch einen eigenen Verlag | |
sowie kurzzeitig eine Galerie betrieben und dabei viel Ephemera und | |
Artefakte der zeitgenössischen Kunst zwischen 1960 und 1990 akkumuliert: | |
Briefwechsel, Konzeptentwürfe, Skizzen, Fotos, Filme, Kataloge, | |
Einladungskarten, Verträge, die er durch den Ankauf weiterer | |
Privatsammlungen vervollständigte. Insgesamt etwa 50.000 Stücke sind so | |
nach Berlin gekommen, wo sie zum Teil im Kupferstichkabinett und in der | |
Kunstbibliothek aufbewahrt und der Forschung zugänglich gemacht werden. | |
Für diese Sammlung wünscht Marzona sich ein interdisziplinäres | |
Forschungszentrum mit Ausstellungsfläche und Schubladen und Vitrinen für | |
Archivalien, wie er im vergangenen Jahr der Welt anvertraute: „Alles, was | |
ein Künstlerleben dokumentiert, wird dort zu sehen sein“, sagt er der | |
Zeitung, „ähnlich dem Getty- Institut in Kalifornien.“ | |
In der Tat sind in der gegenwärtigen Ausstellung viele Stahlregale und | |
Vitrinen mit kleinen Arbeiten oder Katalogen zu sehen, unter anderem in | |
einem Raum, der mit seinen Tischen, Stühlen und Pinnwänden an eine | |
museumspädagogische Abteilung erinnert. In diesem „Büro“ sind die Regale | |
zwar noch relativ leer und die Kataloge liegen hinter Plexiglas, aber dort | |
sollen in Zukunft Workshops, Vorträge und Performances zur Ausstellung | |
stattfinden. Wie in einem richtigen Büro gibt es sogar einen Kopierer. | |
■ Bis 31. August 2016, Hamburger Bahnhof, Berlin | |
26 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
TILMAN BAUMGÄRTEL | |
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