| # taz.de -- Kopfüber in den Club | |
| > Donnerwetter der Desorientierung: Im Technoclub Berghain wagt man sich an | |
| > eine Opernfassung des Kultfilms „After Hours“ von Martin Scorsese. Prima | |
| > gelingen hätte das alles durchaus können | |
| VON JAN KEDVES | |
| Auf dem Papier liest es sich eigentlich ganz schlüssig: ein Technoclub, in | |
| dem man wie in kaum einem zweiten dieser Welt Wochenende für Wochenende die | |
| Auflösung von Körpergrenzen und Zeitgefügen übt, genutzt als Spielstätte | |
| für eine Oper, in der es darum geht, der Realität für eine schier endlos | |
| dauernde Nacht abhandenzukommen. | |
| Zusammen mit dem Komponisten Klaus Janek haben sich die Regisseure Heidi | |
| Mottl und Marcelo Buscaino an die mutige Idee gewagt, Martin Scorseses | |
| Kultfilm „After Hours“ (1985) auf die Bühne zu bringen und im Berghain | |
| aufzuführen. Gelingen hätte es ihnen können: Buscaino hat bereits Erfahrung | |
| als Spielleiter der Deutschen Oper Berlin, Mottl wählte schon des Öfteren | |
| ungewöhnliche Spielorte für ihre Inszenierungen. | |
| Das unbestuhlte Drama beginnt nun schon im Erdgeschoss: Paul Hackett, ein | |
| argloser New Yorker Single, gespielt von Godehard Giese, lernt die | |
| überdrehte Marcy kennen. Der Taxifahrer, der ihn wenig später zu ihr nach | |
| Hause bringen soll (gespielt von Sven Marquardt, dem klingonenhaften, | |
| rundum gepiercten und tätowierten Türsteher des Berghain), überführt ihn | |
| via Videoeinspielung zwar nicht über den Styx, dafür aber einen Stock höher | |
| auf die Tanzfläche des Berghain. Hier, in einer reichlich morbiden | |
| Parallelwelt, beginnt Paul über einer Serie von höchst undurchsichtig | |
| verketteten Zufallsbegegnungen mit hochneurotischen Frauen, an seiner | |
| Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln. | |
| So weit, so surreal. Mottl und Buscaino schaffen es allerdings nicht, ihrer | |
| Inszenierung über ein deutlich erkennbares Interesse an | |
| Technicolor-Kostümierungen (kanariengelbe Faltenröcke, rosa geblümte Tops | |
| und aufwendig ondulierte, pink-blonde Perücken) eine zwingende Form zu | |
| geben. Es könnte auch an der für eine Oper nicht ganz unwichtigen Musik | |
| liegen: Die Sängerinnen breiten ihre pathetisch tirilierenden Musical-Arien | |
| aus, ohne dabei über erkennbare harmonische Anknüpfungspunkte mit den | |
| minimalen Techno- und House-Tracks, die aus Klaus Janeks Laptop stammen, zu | |
| verfügen. Und das tun die Sängerinnen dann auch noch in einem | |
| Deutsch-Englisch-Kauderwelsch, das vermutlich die Kompliziertheit der | |
| Verständigung zwischen Hackett und seiner Umwelt ausdrücken soll – das | |
| allerdings auch dem Publikum das Mitkommen erheblich erschwert. | |
| Noch weit problematischer an der Inszenierung ist allerdings das Fehlen der | |
| Bestuhlung. So schön die Idee, eine Oper in einem architektonisch | |
| beeindruckenden Technoclub aufzuführen, auch sein mag: Wenn Mottl und | |
| Buscaino ihre Zuschauer schon nicht in Ruhe die Beine übereinanderschlagen | |
| lassen wollen, hätten sie ihnen auch gleich regelmäßige Kulissenwechsel | |
| gönnen können. Schließlich hätte es in dem verschlungenen Komplex mit der | |
| im zweiten Stock gelegenen Panorama Bar, dem im Erdgeschoss eingerichteten | |
| Sexclub Laboratory sowie den dazwischen lauernden Darkrooms noch genügend | |
| Spielraum gegeben. | |
| So ziehen, während man sich in der Halle des Berghain eine Säule, ein | |
| Podest oder einen Boxenturm zum Anlehnen suchen muss, bereits wichtige | |
| Zusammenhänge an einem vorüber: Man rätselt, warum die Regisseure Wert | |
| darauf legen, dass Hackett mit der zunehmend hysterischer werdenden Marcy | |
| nicht – wie im Film – Hasch, sondern Koks konsumiert, warum auf dem | |
| 50-Euro-Schein, den er im Taxi verloren hat, unbedingt ein | |
| Illuminatenzeichen zu erkennen sein muss, was das Ganze mit Shakespeare zu | |
| tun haben soll und warum hier und da Mausefallen der Marke „Garda“ lauern. | |
| Als Lichtblicke in diesem Donnerwetter der Desorientierung erscheinen | |
| einzig der Auftritt von Julie (Barbara R. Grabowski), deren Koloraturen | |
| hübsch ins Arabeske rutschen und deren dralle White-Trash-Erscheinung | |
| durchaus John-Waters-Qualitäten erreicht, und die Choreografie von | |
| Alexandre Roccoli, der gegen Ende des Stücks das Eingespanntsein moderner | |
| Menschen ins Arbeitsleben als Turbobetrieb eines zwanzigzylindrigen Motors | |
| interpretiert – mit rastlos auf und ab schnappenden Tänzern. Dann endlich | |
| flackert die Begrüßung „Guten Morgen, Paul“ über eine riesige Leinwand, … | |
| der Protagonist sitzt wieder im Erdgeschoss vor seinem Computer. | |
| Man könnte es wohl als Verdienst von Marcelo Buscaino und Heidi Mottl | |
| werten, die aus den tiefsten Achtzigern stammende Story von „After Hours“ | |
| auf jeden heutigen Wochenendhedonisten umzumünzen: Sich nach einer | |
| entgleisten Nacht, ohne Schlaf, morgens wieder pünktlich im Großraumbüro | |
| einzuloggen – das tun auch die besonders Hartgesottenen unter den | |
| Berghain-Pilgern nach einem gelungenen Wochenende. | |
| Routinierte Bühnenfreunde wird das Crossover des Stücks in Richtung Oper | |
| allerdings ratlos zurücklassen. Ein Pflichttermin somit nur für diejenigen, | |
| die sich im Berghain ohnehin nie etwas entgehen lassen würden. Oder für | |
| Architekturinteressierte, die sich die sagenhaften Räumlichkeiten des Clubs | |
| schon immer einmal anschauen wollten, von Sven Marquardt, dem dunklen Hüter | |
| der Unterwelt, bislang allerdings abgewiesen wurden. | |
| Weitere Aufführungen: 29. 8. bis 1. 9. und 5. 9. bis 8. 9. | |
| 28 Aug 2006 | |
| ## AUTOREN | |
| JAN KEDVES | |
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