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# taz.de -- Flusslauf unter gläsernem Gewölbe
> KUNST UND NACHHALTIGKEIT Die Gruppenausstellung „zur nachahmung
> empfohlen!“ in den Berliner Uferhallen zeigt Werke, die sich mit
> naturwissenschaftlichen, ökologischen und politischen Fragen
> auseinandersetzen
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Okay, seien wir erst einmal vernünftig und schauen uns das SBF-System von
Nana Petzet an. 1995 entwickelte es die Künstlerin als eine Alternative zum
Grünen Punkt, dessen Recycling-System ihr zu energieintensiv und zu wenig
effektiv erschien.
Den eigenen Vierpersonenhaushalt verwandelte sie in eine Testanlage, in dem
aller Grüne-Punkt-Müll von der Familie selbst als Wertstoff gesammelt,
gereinigt und wiederverarbeitet wurde: Was dabei nach einem halben Jahr
herauskam, steht nun in der Ausstellung „zur nachahmung empfohlen!“ in den
Uferhallen im Berliner Wedding. Knallbunt die vielen Körbe aus geflochtenem
Plastik, die Wandbehänge und Teppiche aus Saftkartons, reichlich hoch und
schon ziemlich Messie-like voll die Regale mit gestapelten Behältnissen von
Putzmitteln und Dosen. Nicht wirklich nachahmenswert, denkt man, und auch
die Künstlerin nennt das Ergebnis „eine Verstopfung“. Was aber immerhin die
Erkenntnis bringt, dass vor dem Recyclen die Müllvermeidung die eigentliche
anzupackende Aufgabe ist.
Ein paar Schritte weiter kommt man von der Vernunft zur Rachefantasie:
„Flooded McDonald’s“ heißt ein Video von der dänischen Gruppe Superflex.
Die Esser eines McDonald’s in einem asiatischen Land sind, möglicherweise
von einer Katastrophennachricht aufgescheucht, schon geflohen, als der Film
einsetzt, nur ihre angebissenen Reste liegen noch auf den Tischen.
Unheimlich grinsen die Plastik-Clowns der Fastfoodkette in den Raum, der
still und leise mit Wasser vollläuft. Und während man zuerst Fritten und
Becher, Dekofiguren und schließlich selbst die Stühle in immer größerer
Dunkelheit treiben und trudeln sieht, ist genug Zeit, an die Umweltsünden
der Kette, an furzende Rinder, Ozonlöcher und nicht zuletzt an die
Überschwemmungen der Gegenwart zu denken.
## Suggestive Machart
Dass man aber überhaupt so lange sitzen bleibt, liegt an der suggestiven
Machart der Bilder, die den Untergang ästhetisch auch zu einem durchaus
lustvollen Erlebnis machen. Denn glücklicherweise ist die Ausstellung „zur
nachahmung empfohlen“ dann doch nicht durchgehend so didaktisch, wie es der
Titel zuerst nahelegt. Zwar steht hier jede Arbeit im Kontext
gesellschaftlicher und ökologischer Konfliktfelder und nicht wenige
Projekte widmen sich dem Umbauen, etwa von alten Waschmaschinen zu
Windrädern (Christian Kuhtz), oder von Autos zu Fahrrädern (Folke
Köbberling/Martin Kaltwasser).
Man kann in Workshops daran partizipieren, auch an dem Versuch, das Wasser
der Panke, an deren Ufer die Uferhallen stehen, selbst zu filtern im
Projekt „Berliner Schöpfung“. Doch stets sind das modellhafte Anlagen,
weniger tauglich für eine Massenproduktion im Alltag, als vielmehr für eine
sinnliche Vertiefung der Erfahrung. Man weiß zum Beispiel, dass die Panke
ein kanalisierter Flusslauf ist; hier lernt man dann, dass auch akustisch
wahrnehmbar ist, was ihr fehlt zur Selbstreinigung, der Kies, der Sand, die
Pflanzen, die Biegungen. So entsteht aus dem Mangel ein eigenes akustisches
Porträt. Oder die Fahrräder, die Köbberling/Kaltwasser aus Autos bauen: Das
sind hybride Ungeheuer, die mehr an den Technikfetischismus und das
Postkatastrophen-Setting von „Mad Max“ erinnern, denn an alltagstaugliche
Räder.
Initiatorin und Kuratorin der Ausstellung ist Adrienne Goehler. „Die große
Krise, die wir haben, ist ja auch eine Krise des Expertentums“, sagt sie im
einleitenden Interview des Katalogs. Sie hat deshalb nach künstlerischen
Positionen gesucht, die sich grenzüberschreitend mit
naturwissenschaftlichen, ökologischen und politischen Fragen
auseinandersetzen. Dass auch Künstler die Welt dort nicht retten können, wo
die Politik versagt hat, weiß sie wohl, aber „KünstlerInnen haben die
Aufgabe des Zuhörens, Beobachtens und Veröffentlichens übernommen. Und
Kunst kann das Unsichtbare sichtbar machen.“
Wie etwa Michael Saup, der den CO2-Ausstoß, der allein durch das
Runterladen und Abspielen des Filmtrailers „Avatar“ in einem halben Jahr
entstand, durch einen Block aus gestapelten Briketts veranschaulicht. Neu
sind solche künstlerischen Gesten freilich nicht. Im Jahr 1989, das
Umweltbewusstsein war durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl noch
hoch sensibilisiert, zeigte das Künstlerhaus Bethanien in Berlin zusammen
mit der Stadtgalerie Saarbrücken die Ausstellung „Ressource Kunst – Die
Elemente neu gesehen“. Schon da war das Archiv der verschwundenen
Weizenlandrassen, das Ursula Schulz-Dornburg in den Uferhallen zeigt, Teil
des Projekts, ebenso wie die schönen Zeichnungen beschädigter Insekten, die
Cornelia Hess-Honegger im Umfeld von Atomanlagen gesammelt und archiviert
hat. Sie mögen sich 20 Jahre später mit diesen Beiträgen vorkommen wie
Rufer in der Wüste, und dass ihre Arbeiten auch nichts von ihrer Aktualität
eingebüßt haben, ja eher sogar, nach den jüngsten Zugeständnissen an die
Atomindustrie, gewonnen haben, macht sie umso bitterer.
Von daher ist auch die melancholische Ironie verständlich, wie sie sich zum
Beispiel in den fotografischen Arbeiten von Illka Halso (aus Finnland)
niederschlägt: Digital entwirft sie ein „Museum of Nature“, in dem
gigantische gläserne Gewölbe einen mäandernden Flusslauf schützen: schön
wie die botanischen Gewächshäuser der Gegenwart und erschreckend in der
Vorstellung, dass nur so noch zu bewahren ist, was man gerne als das
Selbstverständliche, frei Zugängliche behalten will.
Manches in der Ausstellung erscheint zunächst als gut gemeinter
Symbolkitsch, etwa das „Opfermonument“ der brasilianischen Künstlerin Néle
Azevedo, die kleine Figuren aus Eis auf öffentlichen Plätzen langsam
dahinschmelzen lässt. Ähnliche Orte im öffentlichen Raum sucht auch Hermann
Josef Hack, um dort sein Lager aus Miniaturzelten aufzustellen, das auf die
wachsende Anzahl von Klimaflüchtlingen verweist. Doch sich mobil und
allgemeinverständlich dorthin zu begeben, wo man nicht mit ihnen rechnet
und sie ein größeres als das Kunstpublikum erreichen, ist diesen Aktivisten
eben wichtiger.
■ „zur nachahmung empfohlen“, Uferhallen Berlin, bis 10. Oktober, Katalog
plus Lesebuch, Hatje Cantz Verlag, 48 Euro
14 Sep 2010
## AUTOREN
KATRIN BETTINA MÜLLER
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