# taz.de -- Muss nicht alles harmonisch sein | |
> MUSIK Wenn man will, kann man die „Gelbe Musik“ von Ursula Block ganz | |
> schlicht als Plattenladen bezeichnen. Wo sich allerdings viel Seltsames | |
> finden lässt. Nach 33 Jahren schließt nun der exquisite Klangkunst-Laden | |
VON JENNI ZYLKA | |
Zwischen Bücherregalen und Schreibtisch hat sich ein Hund zusammengerollt | |
und schläft. Es ist ein kleines, kurzfelliges, schlitzohriges Tierchen, das | |
auch durch das im Verkaufsraum stattfindende Gespräch nicht aufwacht. Aber | |
selbst disharmonische Töne, Geräusche oder Noise-Musik würden den Hund kalt | |
lassen: „Der ist taub und blind“, erklärt Ursula Block, „er ist schon 16 | |
Jahre alt.“ Die Gründerin des Künstlerplattenladens und -archivs „Gelbe | |
Musik“ weist auf ein Bild des südkoreanischen Medien- und Musikkünstlers | |
Nam June Paik, das über einem CD-Regal hängt. Darauf sitzt der Hund vor | |
einem Fernseher, in dem er zu sehen ist, „His Master’s Choice“ heißt die | |
Arbeit – in Anlehnung an „His Master’s Voice“, das ikonisch gewordene | |
Labellogo mit dem grammofonlauschenden Hündchen Nipper. | |
Zwei Räume vollgestopft mit neuer Musik, dazwischen herumwuselnd die | |
sachkundige und geduldige Kunstfreundin Block, die „Gelbe Musik“ im | |
Dezember 1981 ins Leben rief. Jetzt soll, nach 33 Jahren, bald damit | |
Schluss sein. Bis April noch kann man im Souterrain in der Charlottenburger | |
Schaperstraße nach den ungewöhnlichsten Sounds der musikalischen Moderne | |
fahnden. Außerdem gibt es dort noch im Rahmen des Maerz-Musik-Festivals | |
eine Ausstellung mit den Schallplattencollagen des tschechischen Künstlers | |
Milan Knizak, die am 18. März eröffnet wird, und nach einem | |
Abschiedskonzert im Hamburger Bahnhof am 10. April hat Ursula Block dann | |
vielleicht auch mal Zeit für etwas anderes. Reisen, Kunst genießen, Oma für | |
vier Enkelkinder sein. | |
Nach einem Zitat des Synästhetikers, Malers und Kunsttheoretikers Wassily | |
Kandinsky zur Farbe Gelb habe sie ihren Laden damals benannt, erklärt Frau | |
Block, klein, verständig, mit kurzen Haaren, Brille und leuchtend rot | |
geschminkten Lippen. Dass sie über 70 Jahre alt sein muss, kann man sich | |
zwar anhand ihrer biografischen Daten ausrechnen, fass- oder sichtbar ist | |
es nicht: sie strahlt eine bestimmte und nimmermüde Energie aus. | |
Die Liebe zur Kunst hatte Block schon als Twen in sich entdeckt, in Köln – | |
sie studierte Bühnenbild und Design, bevor sie 1962 nach Berlin ging. „Das | |
fand ich einfach spannender, dort gab es alles, Theateraufführungen, | |
Konzerte, Avantgarde.“ Aus einem „bürgerlichen Elternhaus“ stammt sie. U… | |
war begeistert von der Mauerstadt, in der an allen Ecken Revolution | |
brodelte, Off-Theater die Formate sprengten und DemonstrantInnen sogar | |
Beuys-Aufführungen mit Anti-Bürgertum-Parolen störten. | |
## Für Augen und Ohren | |
Die Schnittstelle der Beziehung zwischen bildender Kunst und Musik habe sie | |
stets interessiert, sagt sie. Und berichtet, wie nach einer Ausstellung, | |
die sie gemeinsam mit ihrem Mann René, dem Galeristen und | |
Kunstverlagsbetreiber („Edition Block“), 1980 für die Akademie der Künste | |
auf die Beine stellte, die Idee zu dem interdisziplinären Raum keimte. Der | |
Titel der Schau war dann gleich das Konzept für die „Gelbe Musik“: „Für | |
Augen und Ohren. Von der Spieluhr zum akustischen Environment“. | |
Die Ausstellung habe man zu einer Zeit kuratiert, als es den Begriff | |
„Soundart“ so noch nicht gab. „Sound ist ja ein Material“, sagt Block, … | |
man genauso verwenden kann wie jeden anderen Stoff.“ Die beiden | |
begeisterten Kunstfreunde Ursula und René, die sich in einer Kneipe | |
kennenlernten, 1968 heirateten und zwei Kinder haben, pflegten | |
freundschaftliche Kontakte zu Beuys, zur Fluxusbewegung. „Und John Cage war | |
natürlich eine ganz wichtige Figur.“ | |
Sie nimmt eine John-Cage-Platte vom Regal, hundert Euro soll sie kosten. | |
Diese Art von Tonträgern erscheint nicht in Riesenauflagen. Neue Musik, die | |
mit Tönen und Stille spielt und die atonale Kakofonien gleichberechtigt | |
neben Harmonien einsetzt, Musik, die sich weder um Massenkompatibilität | |
noch um Gefälligkeit kümmert, war und ist eine Nische. Eine bunte, | |
radikale, gemessen an großstädtischen KonzertbesucherInnen gar nicht mal so | |
kleine Nische, die sich seit ihren Anfängen am Anfang des vergangenen | |
Jahrhunderts in Europa inhaltlich immer wieder verändert und neu erfunden | |
hat. Dabei waren die TheoretikerInnen innerhalb der verschiedenen | |
Strömungen, ob Moderne, Avantgarde oder Postmoderne, stets stark: Neue | |
Musik, seien es Werke von Stockhausen, Cage oder Glass, hat neben einem | |
rein ästhetischen auch einen intellektuellen Überbau. Dementsprechend | |
anstrengend empfinden es viele Menschen, die Musik lieber rein emotional | |
hören, sich darauf einzulassen. Die Fangemeinden sind traditionell eher | |
exklusiv. | |
Ursula Block hat aber gar nichts gegen Popmusik, sagt sie. Beatles habe sie | |
früher auch gehört, Rammstein mag sie, sogar Peter Fox. Musik im Radio | |
schaltet sie dennoch kaum ein, „höchstens beim Kochen“. Kann sie | |
prinzipiell keine harmonischen Klänge leiden? „Es gibt doch auch Laurie | |
Anderson, die beides vereint, die war übrigens schon hier“, sagt sie. | |
„Gelbe Musik“ ist eine Institution, international bekannt. Den | |
Philip-Glass-Ensemble-Mitgründer Jon Gibson, der gerade wegen des | |
MaerzMusik-Festivals in der Stadt weilt, verabschiedete Block gerade | |
herzlich, kurz bevor das Interview stattfand. | |
Aus ihrer Haltung spricht eine große Toleranz gegenüber anderer Menschen | |
und Ideen. Klar gäbe es auch Werke, die sie nicht überzeugten, gesteht | |
Block, während sie im von ihr herausgegebenen „Broken Music – Artists’ | |
Recordworks“-Katalog voller Definitionen und Künstlertexten (etwa von | |
Adorno, Beuys, Yoko Ono, Merce Cunningham und Tristan Tzara) blättert. | |
„Aber manchmal hört man etwas dann noch mal, und plötzlich packt es einen | |
doch.“ Der legendäre, vergriffene Katalog wird momentan übrigens ab 300 | |
Euro gehandelt, in manchen Plattformen steht er für 1.250 Dollar zum | |
Verkauf. | |
## Die Partitur als Kunst | |
Das Besondere am Konzept der Künstlerplatte (für das Milan Knizak in den | |
sechziger Jahren mit seinen Schallplattencollagen den Begriff „Broken | |
Music“ prägte), ist die Gleichberechtigung der sinnlichen Eindrücke | |
nebeneinander. Auch eine Partitur als solche kann damit zur Kunst werden: | |
Block präsentiert eine Box voller kleiner weißer Kärtchen mit | |
„Handlungsanweisungen“ vom Fluxuskünstler George Brecht. So wie ein | |
DIN-A4-Blatt der Künstlerin Maria Eichhorn, auf der steht, man solle die | |
Tür zum „Gelbe Musik“-Laden stündlich öffnen und schließen, gehört die… | |
zu einer Partiturenausstellung. Auch den pittoresken Puppenplattenspieler | |
der Berliner Performanceband Die Tödliche Doris hatte die „Gelbe Musik“ | |
herausgegeben. | |
Der kleine alte Hund döst den gesamten Besuch durch. „Luzzi“ heiße er, von | |
„Revoluzzi“, erklärt Block trocken. Die Räume in der Schaperstraße wird … | |
nach der Schließung behalten, das Broken-Music-Archiv aufbauen, | |
weiterarbeiten, wenn auch nicht mehr fünf Tage in der Woche. An der Wand | |
hängt ein Schild mit Sale-Preisen. Sie starten bei fünf Euro. Eine Platte | |
mit der exklusiven und von John Cage konzipierten Stille bekommt man dafür | |
aber nicht. | |
8 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
JENNI ZYLKA | |
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