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# taz.de -- Zuerst Osage, dann Amerikaner
AUS OKLAHOMA CITY ADRIENNE WOLTERSDORF
„Let’s build a nation“ – „Lasst uns eine Nation werden!“ steht auf …
Wahlplakaten. Männer und Frauen verteilen Zettel, auf denen ihre
Wahlslogans und dazu vielleicht lila Maiskolben oder ein Pferd abgebildet
sind. Hier im Herzen der USA, wo die rollenden Hügel Oklahomas in die
Prärie von Kansas übergehen, findet in aller Stille etwas statt, was
anderswo selbst mit Blauhelmeinsatz der UNO selten funktioniert:
„Nation-Building“. Die rund 80 Kandidaten, die in den Osage-Kongress, das
Indianer-Parlament, gewählt werden wollen, sind seit Wochen unterwegs.
Hunderte von Meilen sind sie gereist, haben Reden gehalten, tausendmal die
Vergangenheit und die Zukunft beschworen. Ihre Namen klingen nach
verlorener Heimat. Sie heißen Katherine Redcorn, Cecilia Tallchief, John
Red Eagle und John Big Horse.
„Wir waren die reichsten Menschen der Welt“, sagt Bob Block, und meint
seinen Stamm, die Osage. Rund 6.000 von ihnen leben im heutigen
Osage-Reservat im nordöstlichen Oklahoma. Es ist ein Satz, wie ihn Fremde
dort schnell zu hören bekommen. Immer beginnt er mit „wir waren …“ In den
1920er-Jahren, so geht die Geschichte, waren es die Osage, die sich die
ersten Ford-T-Automobile im Staat Oklahoma kaufen konnten. Diese fuhren sie
solange, bis der Tank leer war. Dann kauften sie sich das nächste Auto. Das
ist drei Generationen her. Heute besitzen die Osages Hyundais und Toyotas
und fahren mit diesen auch wieder an die Zapfsäulen.
Geschichte und Geschichten sind überall. Sie bestimmen das tägliche Leben.
Vor der Ankunft der Europäer galten die Osages als eines der mächtigsten
Völker Nordamerikas. Als Nomaden bewohnten sie ein Gebiet, das die heutigen
vier US-Bundesstaaten Missouri, Kansas, Oklahoma und Arkansas umfasst, ein
Land, zweimal so groß wie Deutschland. Zum letzten Mal enteignet wurden die
Osages, die vor allem wegen ihrer ungewöhnlichen hohen Körperwuchses
bekannt waren, 1868. Die US-Regierung schickte sie und 66 andere
indianische Völker auf dem „Pfad der Tränen“ in das angeblich wertlose
Territorium im Innern der USA, das erst ab 1907 zum Bundesstaat Oklahoma
wurde.
166.300 Dollar, so viel zahlten die Weißen damals den Osage als
Entschädigung für das Land, von dem sie sie vertrieben. Mit dem Geld
kauften die Stammesältesten den Cherokee 1870 einen Teil ihres Reservats
ab. Auf dieser neuen Scholle, der heutigen Osage Indian Reservation,
gründeten sie, wie andere Stämme auch, eine eigene Regierung. Sie, die eben
noch halb sesshafte Farmer waren, schrieben sich eine eigene Verfassung,
bauten Verwaltung und Gerichtsbarkeit auf, Schulen und Sheriffbüros und
veröffentlichten Zeitungen, wie sie es den nach Amerika gekommenen
Europäern abgeguckt hatten.
Als erhofftes Erfolgsrezept einer schnelleren Assimilierung nahm die
US-Regierung den Stämmen Ende des 19. Jahrhunderts den kollektiven
Landbesitz weg – und teilte jedem Individuum seine Parzelle zu. Das sollte
aus den „Wilden“ endlich Menschen werden lassen – und nicht zuletzt neues
Land für die Richtung Westen ziehenden Siedler freimachen. Viele Stämme
stürzten dadurch in bittere Armut und staatliche Abhängigkeit. Nur wenige
unter ihnen hatten das Glück der Osage. In ihrem Boden fand man bald das
schwarze Gold, Öl und Gas.
So wurden sie „die reichsten Menschen der Welt“. Mit einem komplizierten
System von Kopf- und Stimmrechten, einem undemokratischen Mineralien-Rat,
einer vormundschaftlichen Verwaltung durch das Bureau of Indian Affairs in
Washington und einem Öl-Fonds gelang es der amerikanischen Regierung,
größtmögliche Kontrolle über die Osages auszuüben. Aber das Ölgeld begann
ab den 1920er-Jahren auch in die Kassen der Osages zu fließen.
Plötzlich tummelten sich Ölbarone von Midland und Phillips Oil im Reservat,
verteilten Geschenke und ersteigerten Ölbohrrechte auf den Auktionen in den
Osage-Städten. Osage-Frauen mit Stimmrechten hatten plötzlich verdächtig
viele weiße Verehrer. Männer, Brüder, Onkel starben ungeklärte Tode. Streit
war an der Tagesordnung.
Heute dagegen ist es ruhig geworden im Reservat. Die Osages haben gelernt,
mit dem Wohlstand zu leben. Ihre Kinder studieren in namhaften
Universitäten. Die Ersten wurden Business- oder Ölexperten. Oder sie
betreiben die vier Spielkasinos des Stammes oder leisten sich ein stilles,
naturverbundenes Leben. Einmal im Jahr kommt ein großer Teil des
mittlerweile auf 18.000 Mitglieder angewachsenen Stammes zu den heiligen
Tänzen zurück ins Reservat. Das ist längst vom Zwangsterritorium zur
spirituellen Heimat geworden. Einmal im Vierteljahr bekommt jeder
Ölrechteinhaber knapp 6.000 Dollar ausgezahlt – so erträglich sind die
knapp 13.000 Osage-Ölbrunnen heute noch.
Knapp vier Generationen nach der fast vollständigen Vernichtung sind vor
dem Osage-Rathaus in Pawhuska, der Hauptstadt der Nation, Partyzelte
aufgebaut. Maisgerichte und Gegrilltes werden gereicht. Es wird gelacht und
über Politik diskutiert. Menschen mit Krawatte oder in Shorts begrüßen
sich, gehen zur Wahlurne, werfen ihre Stimmzettel ein und fahren wieder zur
Arbeit. Einige sind extra aus Texas oder dem fernen Kalifornien angereist,
wo ein großer Teil des Stammes lebt.
Im Rathausfoyer hängt, auf einem großen Transparent mit Wappen gedruckt,
die neue Verfassung der „Wazhazhe“, wie sich die Osages in ihrer alten
Sprache nannten. Nur noch wenige alte Menschen sprechen sie. Das Wappen mit
Pfeilspitze und Pfeife steht für das Gute der Vergangenheit und den Kampf
um die Zukunft.
„Wir werden unser Schicksal endlich in die eigenen Hände nehmen“, freut
sich Jodie Revard Satepauhoodle. Die 34-Jährige trägt an diesem
historischen Wahltag lange Haare und Chanel-Sonnenbrille. Sie hat in New
York ein Wirtschaftsdiplom gemacht und ist seit drei Jahren das jüngste
Ratsmitglied des Pawhuska-City-Council. Sie ist auch die jüngste
Osage-Frau, die jemals im Stamm etwas zu sagen hatte. Jodie war sogar
Mitglied der Delegation, die im Frühjahr 2004 nach Washington reiste, um
das zu erreichen, was sie „wir selbst werden“ nennt. „Nachdem wir, der
ganze Stamm, in monatelangen Abstimmungen die Verfassung geschrieben
hatten, bin ich mit nach Washington, um Kongressabgeordnete davon zu
überzeugen, dass man in Pawhuska gerne wieder selber entscheiden möchte“,
erzählt sie. Die weißen Kongressleute aus Oklahoma seien fast vom Stuhl
gefallen. „Sie wussten nicht einmal, dass wir seit 1906 keine
Selbstverwaltung mehr haben, die haben sie uns doch damals weggenommen.“
Die Parlamentarier machten prompt einen Gegenbesuch und schauten nach, ob
tatsächlich die Mehrheit des Stammes hinter dem Emanzipationsakt stehe.
Dann gab es grünes Licht aus Washington.
„Nachdem man uns jahrzehntelang bevormundet und unser Eigentum weggenommen
hat, werden wir jetzt unsere vollen Rechte einklagen“, kündigt Jodie an.
Zwar habe der Staat die Öleinnahmen an den Osage-Fonds ausgezahlt, doch
Wasser werde weiterhin ohne Gegenleistung in die Städte der Weißen und nach
Oklahoma City geleitet. Man brauche ein eigenes Kraftwerk, „denn
jahrzehntelang haben uns die anderen Werke völlig überteuerte Gebühren
berechnet. Angeblich weil wir keine Steuern bezahlen.“
Auch in der Außenpolitik soll mitgeredet werden, mein Allen, ein Mann mit
Krawatte und Pferdeschwanz. Er ist pensionierter Polizist und Kandidat für
den Osage-Kongress. „Wir spüren hier keine Terrorgefahr. Mit den Irakern
würden wir keinen Krieg anfangen, sondern Handel betreiben“, meint er. Es
sei überhaupt ein Unding, dass die US-Armee ihren Kampfhubschraubern Namen
wie Black Hawk, Komanche und Apache verpasst, „das muss aufhören“, fordert
er und nennt sich dann selbst lachend einen Radikalen.
„Ach Amerika“, sagt nachdenklich Bob Block, 64. Er ist ein weitgereister
Mann, der heute in Pawhuska mit Kunsthandwerk handelt. Er hat viele Jahre
in der US-Armee gedient und erinnert sich am liebsten an Erlangen zurück,
wo er stationiert war. „Amerika. Da wurden viele Fehler gemacht.“ Ob er
Ressentiments habe? Ach nein, Amerika sei eine junge Nation, da müsse nach
vorne geschaut werden. „Aber es ist Zeit für unsere eigene Regierung. Wir
müssen aufräumen mit dem Wahnsinn der Stimmrechte, unserem vermauschelten
Öl-Rat, den ungeklärten Abrechnungen“, sagt auch er. „Wir müssen lernen,
uns wieder zu behaupten, schließlich sind wir doch jetzt wieder eine echte
Nation mit allem, was dazugehört, Kongress, Ausschüssen, einer Verfassung.“
Jodie ist überzeugt, dass ihre Generation dem Stamm jetzt den Weg in die
Moderne weisen muss. Für sie gilt ab heute so etwas wie eine neue
Zeitrechnung. Es ist der Tag, an dem die Osage-Nation nach genau 100 Jahren
wieder eine eigene Regierung wählen darf. „Ich weiß nicht, wer da drüben
Bürgermeister ist“, sagt sie und zeigt auf das nur 600 Meter entfernte
„normale“ Rathaus in Pawhuska. „Es interessiert mich nicht, das ist nicht
mein Staat. Ich bin zwar Amerikanerin, aber zuerst eine Osage.“
5 Sep 2006
## AUTOREN
ADRIENNE WOLTERSDORF
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