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# taz.de -- Das Silber der Hölle
> AUSBEUTUNG „Das Potosí-Prinzip“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt
> stellt Gemälde des andinen Barock vor, überlagert von
> kapitalismuskritischen Thesen
VON CRISTINA NORD
Potosí ist eine vergessene Stadt im bolivianischen Hochland, 4.000 Meter
hoch. Knapp 170.000 Menschen leben hier, umgeben von einer kargen,
steppenartigen Landschaft, in der kaum etwas wächst. Wer aus dem Tiefland
anreist, muss beständig um Luft ringen. Im Süden der Stadt ragt ein Berg
namens Cerro Rico auf, reicher Berg. Einst war er voller Silber und Zinn,
heute ist er voller Schächte und Gänge, Leitern, ungenutzter
Schienenstränge, stillstehender Aufzüge. Vor 400 Jahren bildete das Silber
die Grundlage eines sagenhaften Reichtums. Potosí war eine der größten
Städte der Welt, der Legende nach wurden die Straßen versilbert, wenn der
Vizekönig zu Besuch kam. Die spanischen Kolonialherren etablierten ein
„mita“ genanntes System der Zwangsarbeit, Indígenas wurden nach Potosí
verschleppt und dort zur Fron in den Minen gedungen.
Damals entstand die „Escuela de Potosí“, die Schule von Potosí. Indem sie
spanische Vorbilder wie Lucas Valdés nachahmten, malten indigene Maler
religiöse Motive, Jungfrauen, Heilige, Mönche, die Hölle, Christus. Das war
ein bildpolitischer Vorstoß im Zug der Gegenreformation; sein Ziel war es,
die Indígenas zum Katholizismus zu bekehren. Doch ganz so einfach ließ sich
die Legitimation von Herrschaft auf dem Weg der Kunst nicht
bewerkstelligen; in zahlreiche Arbeiten flossen Motive der andinen
Kosmologie ein. Zum Beispiel in „Virgen del Cerro“ eines anonymen Malers
aus dem Jahr 1720: Er zeigt die Jungfrau Maria, die in den Cerro Rico
eingelassen ist, als sei der Berg Körper und Gewand in einem. Eine
Erdgöttin, der Pachamama des indigenen Glaubens, ist sie nicht fern. Der
Synkretismus ist unübersehbar, dem missionarischen Zweck des Bildes steht
er im Weg.
Die Ausstellung „Das Potosí-Prinzip“, die nach Madrid und nun im Berliner
Haus der Kulturen der Welt zu sehen ist, nimmt die in Europa kaum bekannten
Gemälde des andinen Barocks zum Ausgangspunkt für eine thesenstarke, sich
verzweigende Recherche. Von Potosí springt sie ins China der Gegenwart,
nach Dubai, Südspanien oder auf den Berliner Schlossplatz. Die erste These
ist, dass die Zwangsarbeit in den Minen Potosís und das dabei akkumulierte
Kapital die Grundlage des modernen Welthandels bildeten und damit auch die
Grundlage der modernen kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Das mit der
„mita“ etablierte Ausbeutungsverhältnis setzt sich in den Machtasymmetrien
des globalisierten Kapitalismus fort.
Die zweite These lautet, dass sich die Kunstproduktion von diesem
Machtgefüge nicht abspalten lässt. So wie die „Escuela de Potosí“ mit dem
durch Zwangsarbeit generierten Reichtum verbunden ist, so entfaltet sich
auch der heutige globalisierte Kunstbetrieb vor dem Hintergrund von auf
Ausbeutung beruhender Kapitalakkumulation. Die Kuratoren, Alice Creischer,
Max Jorge Hinderer und Andreas Siekmann, stellen sich zwar durchaus die
Frage, von welcher Position aus sie diese radikale Kritik formulieren
(immerhin sind sie selbst Teil des Kunstbetriebs), dieser leise
Selbstzweifel bringt sie aber nicht dazu, von klaren, fast autoritären
Vorgaben für den Ausstellungsparcours abzulassen.
Den überaus sehenswerten Gemälden des andinen Barock stellen sie Arbeiten
zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen zur Seite und geben vier
Rundgänge vor. Dem Besucher bleibt dabei umso weniger Raum für
Abschweifungen und eigenständige Beobachtungen, je mehr die Kuratoren die
Exponate in den Dienst ihrer Thesenproduktion stellen.
Stellenweise ist das instruktiv – etwa wenn Gaspar Miguel de Berríos
Stadtansicht „Descripción del Cerro Rico e Imperial Villa de Potosí“ aus
dem Jahr 1758 um eine Doppelfilmprojektion von Harun Farocki ergänzt wird.
Farockis „Das Silber und das Kreuz“ bietet ein Close Reading von de Berríos
detailreichem Gemälde. Auffällig zum Beispiel ist, dass die Arbeit, die im
Silberabbau steckt, fast unsichtbar bleibt. Die Metallscheidemühlen, in
denen die Indígenas das Silber unter Verwendung von Quecksilber gewinnen,
liegen am Rand der Stadt und am Rand des Bildes, die Arbeiter sind nur als
schwarze Striche zu erkennen.
Der argentinische Künstler Eduardo Molinari bezieht sich auf ein Bild eines
anonymen Malers aus dem 17. Jahrhundert, in dem Mönche die Pflanzen der
Neuen Welt inspizieren. In einem Archiv versammelt Molinari Material, das
sich mit dem Anbau transgenen Sojas in Argentinien befasst. Dokumentiert
werden die Proteste in den Kommunen, die unter dem Einsatz von Glyphosat
leiden, zugleich präsentiert Molinari düstere Schwarz-Weiß-Aufnahmen vom
Boden der Felder, in die er Frankensteins Monster hineinmontiert hat. Der
Modus freilich bleibt so dokumentarisch-aktivistisch wie bei zahlreichen
anderen Exponaten auch.
Da war das 1739 fertiggestellte, großformatige Höllenbild aus der Kirche
von Caquiaviri weiter, das eine Silberstiftzeichnung von Quirin Bäumler im
Eingang der Ausstellung wiedergibt. Teufel ziehen die Menschen in die Hölle
hinab und unterwerfen sie dort der Folter. „Wehe mir, der ich für immer
brenne“, zieht sich ein Schriftband von links nach rechts. Man kann in
„Infierno“ eine Drohung an die Indígenas erkennen, die nicht konvertieren
wollen. Man kann darin aber auch eine schlagende Analogie sehen: Die Mine,
das ist die Hölle.
12 Oct 2010
## AUTOREN
CRISTINA NORD
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