# taz.de -- „Weder sind wir Exoten, noch sind es die Deutschen für uns“ | |
> JUGOSLAWIENS ENDE Der bosnisch-kroatische Autor Edo Popovic | |
> veröffentlichte 1987 den Roman „Mitternachsboogie“. Er handelte von | |
> rauschenden Partys und wurde in den letzten Jahren vor dem Zerfall | |
> Jugoslawiens zum Kultbuch aufbegehrender Jugendlicher. Nun liegt es in | |
> deutscher Übersetzung vor | |
taz: Herr Popovic, vor 24 Jahren schrieben Sie Ihr erstes Buch, | |
„Mitternachtsboogie“. Jetzt wurde es ins Deutsche übersetzt und Sie sind | |
damit auf Lesereise in Deutschland. Wie ist es, ein Buch über das Saufen, | |
Vögeln und Kiffen in den achtziger Jahren nun wieder zu lesen? | |
Edo Popovic: Ich lese es ja gar nicht, der deutsche Schriftsteller Clemens | |
Meyer wird das Buch auf unserer gemeinsamen Lesereise vorlesen. Es liegt | |
einfach eine gewisse Logik darin, dass mein deutscher Verlag Voland&Quist, | |
der meine letzten drei Romane publizierte, „Mitternachtsboogie“ nun | |
veröffentlicht hat. Es ist für die Geografie meines Werks wichtig, man | |
verbindet meinen Namen oft mit diesem Buch. Und immer wieder wurde ich | |
wegen ihm gefragt, was ich eigentlich gegen Kroatien habe. | |
Obwohl es doch lediglich um Jugendliche am Ende der Tito-Ära geht, die auf | |
der Suche nach der rauschenden Party sind. Sie wissen, dass der Sozialismus | |
bald stirbt, während ihre Bekannten in Westdeutschland weiter von ihm | |
träumen. | |
Ich selbst habe keine besondere Beziehung zu dem Buch, es ist einfach mein | |
erstes. Allerdings ist mir inzwischen klar geworden, dass es viele | |
poetische Grundelemente meiner folgenden Bücher enthält. | |
Wie viel Bücher stecken denn noch in „Mitternachtsboogie“? | |
So viel, wie ich schreiben kann. | |
Aber wer etwas Neues schreiben will, heißt es in „Mitternachtsboogie“, muss | |
sich eine neue Sprache ausdenken. | |
Ich war jung, was ich damals dachte, war vielleicht nicht immer sonderlich | |
intelligent, und manches würde ich heute sicher auch anders sehen. Außerdem | |
ist „Mitternachtsboogie“ die Summe aus lauter Fragmenten, die ich teilweise | |
schon vorher in kroatischen Zeitungen veröffentlicht hatte. Es ist nicht | |
aus einem Guss, aber es hat mich völlig leer gemacht. Zwölf Jahre lang habe | |
ich nichts mehr geschrieben. | |
Aber Sie waren doch während des Sezessionskriegs in Kroatien Journalist? | |
Ja, aber Kriegsreporter war ich nur, um meinen und den Lebensunterhalt | |
meiner Familie zu verdienen. | |
Also unfreiwillig? | |
Sozusagen, ich hatte nie Ambitionen, Redakteur einer Zeitung oder Reporter | |
zu werden. Das war nur ein Mittel, um zu überleben. Es war immer klar, dass | |
ich früher oder später den Journalismus wieder aufgebe. Vielleicht hätte | |
ich das auch viel früher tun sollen, angesichts dessen, wie sich in dieser | |
Zeit der kroatische Journalismus entwickelte. | |
Aber als literarische Figur spielt der Journalist beispielsweise in Ihrem | |
Roman „Kalda“ durchaus eine Rolle. | |
Ja, ich habe zwar vom Journalismus keine Strategie für das Schreiben | |
gelernt, aber ich habe insofern von ihm profitiert, dass ich ihn später als | |
literarisches Thema benutzen konnte. Journalisten und Schriftsteller nutzen | |
dieselbe Sprache, dieselben Wörter, Kommata, Punkte und dieselbe Syntax und | |
trotzdem haben Journalismus und Literatur jeweils ihre eigenen Gesetze. | |
Gute, also aufrichtige Literatur zu schreiben heißt, alles zu vergessen, | |
vor allem das Interesse. Um das Interesse, das auch immer irgendwie mit | |
Politik verbunden ist, kreist der Journalismus. Die Literatur aber ist | |
ausschließlich dem Leser gegenüber verantwortlich. Der Journalismus in | |
Kroatien ist am wenigsten dem Leser gegenüber verantwortlich, sondern den | |
großen Werbeanzeigen, politischen und anderen Interessengruppen, | |
Kriminellen und sogenannten Businessmen. Und deshalb kann man eigentlich | |
auch nicht guten Gewissens in einer kroatischen Zeitung schreiben. Ich | |
schreibe seit sieben oder acht Jahren nicht mehr für Zeitungen und lese sie | |
nicht einmal. Der Presse in Kroatien glaubt sowieso niemand mehr. | |
Glaubt man stattdessen Literatur wie Ihrer? | |
Man liest ja keine Romane, weil man daran glaubt, sondern weil sie einem | |
gefallen. In Kroatien liest man sowieso sehr wenig. Die Auflage von | |
Bestsellerautoren, von denen ich keinesfalls einer bin, liegt bei etwa | |
2.000, bei einer Einwohnerzahl von vier Millionen. Ich bin aber keine | |
politische Partei, die auf Wählerstimmen aus ist. Ich schreibe nicht, damit | |
es jemandem gefällt, sondern damit ich mit jemandem etwas teilen, jemandem | |
etwas schenken kann, eine Erfahrung austausche. | |
Die Kriegserfahrung? | |
Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ist nicht der Schlüssel, mit dem man | |
meine Prosa versteht. Ich schreibe über das individuelle, nicht das | |
kollektive Schicksal. | |
Täuscht mein Eindruck, oder ist in Deutschland die kroatische und serbische | |
Literatur präsenter als in den Ländern, in denen sie geschrieben wird? | |
Das kann schon sein. Aber es ist auch an der Zeit, dass sich Deutschland | |
für eine Literatur öffnet, die der ihren nicht fremd ist. Es freut mich, | |
dass deutsche Verleger die Literatur aus dem ehemaligen Jugoslawien nicht | |
mehr als exotisch betrachten. Weder sind wir Exoten, noch sind es die | |
Deutschen für uns. | |
INTERVIEW: DORIS AKRAP | |
27 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
DORIS AKRAP | |
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