| # taz.de -- Aufbruch ist seine Signatur | |
| > FOTOGRAFIE UND FILM Der Blick, der die ganze Welt umarmt: László | |
| > Moholy-Nagy und seine „Kunst des Lichts“ im Martin-Gropius Bau | |
| VON KATRIN BETTINA MÜLLER | |
| Diese Kunst lächelt uns an. Optimismus und Lebenslust spricht aus den | |
| Fotografien und Konstruktionen. Es scheint nur noch eine Frage der Technik, | |
| bis alles schön und sinnvoll geordnet ist. So kommt uns Lászlo Moholy-Nagy | |
| entgegen in den rund 200 Arbeiten, die für die Ausstellung „Kunst des | |
| Lichts“ im Martin-Gropius-Bau zusammengetragen wurden. | |
| Das könnte erstaunen, weiß man doch, dass das Leben des Bauhaus-Meisters | |
| aus Ungarn wie das vieler seiner Kollegen von Berufsverbot unter den | |
| Nationalsozialisten, von der Bedrohung als Jude und der Emigration in die | |
| USA geprägt war. Er hat eine Zeit erlebt, die wir heute als großen Bruch in | |
| das Vertrauen in den Fortschritt, in den Glauben an die Verbesserung des | |
| Menschen erinnern. In seinem Werk findet sich davon kaum eine Spur, es sei | |
| denn in den Orten ihrer Entstehung. Aber ihr Schwung bleibt ungebrochen, | |
| Aufbruch ist immer seine Signatur, ob die Werke nun aus seiner Zeit als | |
| Bauhaus-Lehrer (1923–1928), als Gestalter in Berlin (1929–1933) oder aus | |
| den wenigen Jahren stammen, die ihm in Chicago blieben, um eine neue | |
| „School of Design“ nach dem Bauhaus-Vorbild zu gründen. 1946 starb er, mit | |
| 51 Jahren, an Leukämie. | |
| Es geht immer aufwärts, das behauptet gleich das erste Motiv der | |
| Ausstellung, ein „Kinetisch-konstruktive System“ von 1922. Moholy-Nagy | |
| lebte da gerade zwei Jahre in Berlin, der Stadt, die ihm vielversprechender | |
| als seine Heimat Budapest erschien, auch weil er hier mit russischen | |
| Konstruktivisten und Berliner Dadaisten zusammenkam. Er zeichnet einen | |
| Turm, mit auf und absteigenden Bahnen, als „bewegungsbühnen für spiel“ | |
| ausgewiesen. Kleine Figuren, fotografiert und einmontiert, folgen der | |
| Spirale nach oben. | |
| Der Blick von oben, auf sonnenbeschienen Flächen, auf Wasser und Boote | |
| unter der Brücke, auf leuchtende Matrosenmützen, auf Bauarbeiter, Liegende | |
| am Strand, und auf die Schatten, die Passanten auf der Pflaster werfen, | |
| prägt viele seiner Fotografien. Da ist die Begeisterung für die Technik zu | |
| spüren, die Konstruktionen von Schiffen, Brücken, Straßenbahnen und für | |
| eine Perspektive, die Gewicht aus allem nimmt. Das Leben verkleinert sich | |
| wie im Modell in den steilen Auf- und Untersichten seiner Fotografie, es | |
| ist immer von Bewegung erfüllt. | |
| Es gibt in der Ausstellung eine Wand, die Moholy-Nagys Teilnahme an der | |
| berühmten Ausstellung „Film und Foto“, die 1929 in Stuttgart und im | |
| Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen war, rekonstruiert. Szenen aus dem | |
| Bauhaus, vom Wannsee, aus Ascona verdichten sich zu einem sonnenbeschienen | |
| Kontinuum, Blicke aus Porträts verknüpfen die Szenen, alles ist leicht, | |
| luftig, schwebend. Es scheint alles so selbstverständlich, so offen. | |
| Die Ausstellung „Film und Foto“, organisiert vom Deutschen Werkbund, setzte | |
| sich erfolgreich für die Anerkennung der neuen Medien als Kunstformen ein. | |
| Die Gleichberechtigung unterschiedlicher Medien und Genres, aber auch von | |
| Kunst, Handwerk, und Technik war Teil eines Ideals von ganzheitlichem | |
| Denken, das Moholy-Nagy mit vielen Mitstreitern am Bauhaus teilte. Dazu | |
| gehörte, dass er selbst Bühnenbilder entwarf, Zeitschriften gestaltete, | |
| Filme drehte, malte, zeichnete und Lichtskulpturen entwarf, deren | |
| Beweglichkeit durch den Film noch einmal gesteigert wurde. In seinen Ideen | |
| ging er noch weiter, stellte sich ein Polykino vor, mit bewegten und aus | |
| dem Rechteck ausgebrochenen Projektionsflächen vor. | |
| Heute ist es einfach, ihn als Vorreiter zu begreifen und viele | |
| zeitgenössische Videoinstallationen nehmen seine Konzepte beim Wort. | |
| Dennoch wirken gerade die Bilder, mit denen er sich der Zukunft am nächsten | |
| glaubte, am engsten an den Horizont seiner Zeit gebunden: die Fotogramme | |
| und die abstrakten Gemälde. Ja, ja, denkt man womöglich beim Anblick von | |
| Kreissegmente, die von Stäben gekreuzt werden auf Papier, luzidem Plastik | |
| oder Leinwand, diese Ablösung vom Gegenstand war eine Befreiung in der | |
| Malerei. Und ja, die Fotogramme, diese Lichtskelette der Dinge, die Natur | |
| und Kunst, Physik und Metaphysik durch das Licht so spielerisch verbanden, | |
| waren eine große Entdeckung. | |
| Aber mit größerer Lust sieht man doch heute seine Fotografien und Filme an, | |
| gerade auch wegen ihres dokumentarischen Charakters. Neun Filme sind in der | |
| Ausstellung zu sehen, darunter „berliner stilleben“ (1931), „Die neue | |
| Architektur und der Londoner Zoo“ (1936), und in Farbe „Nicht stören“ von | |
| 1945, an dem er mit seinen Schülern in Chicago gearbeitet hat. In diesen | |
| Bilderessays wird die Idee des Ganzheitlichen und der Enthierarchisierung | |
| der Dinge noch einmal anders wahr: Es gibt in ihnen ein wunderbares | |
| Nebeneinander des Narrativen und des grafisch Komponierten, des Abstrakten | |
| und des Lustigen, der Geste und der Form, des Kindlichen und des | |
| Kalkulierten. Das ist es, womit Moholy-Nagy uns auch heute noch berührt. | |
| Lászlo Moholy-Nagy ist kein Unbekannter, in Berlin schon gar nicht, wo das | |
| Bauhaus-Archiv, die Berlinische Galerie, die Neue Nationalgalerie und | |
| private Sammler Arbeiten von ihm besitzen. Für die Ausstellung hat der | |
| Martin-Gropius-Bau mit Museen in Den Haag und Madrid zusammengearbeitet, | |
| auch dort ist das Interesse an diesem Modernen groß. Tatsächlich gelangen | |
| teilweise Wiederentdeckungen, Vintage-Prints wurde in Pariser Archiven oder | |
| einem Pressearchiv der Niederlande gefunden. Und auch von seinen Filmen | |
| wurden noch nie so viele an einem Ort gezeigt. Schon deshalb lohnt der | |
| Besuch. | |
| ■ Im Martin-Gropius-Bau, bis 16. Januar 2011, Mi–Mo 10–20 Uhr. Katalog 29 | |
| Euro | |
| 6 Nov 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| KATRIN BETTINA MÜLLER | |
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