# taz.de -- Helden in Goldhöschen | |
> „SKOPJE 2014“ Historien-Kitsch und Korruption: Mit einem gigantomanischen | |
> Bauprojekt zementiert der zunehmend autoritäre Premier Nikola Gruevski | |
> seine Macht | |
AUS SKOPJE SONJA VOGEL | |
Den Weg ins Zentrum der mazedonischen Hauptstadt säumt ein Dutzend Statuen | |
und Skulpturen, auf marmornen Sockeln, vergoldet oder aus Bronze. „Ich bin | |
hier in Skopje aufgewachsen, aber wer das da ist, das weiß ich nicht“, sagt | |
der Taxifahrer. Er zeigt auf ein hohes Denkmal, auf einem Pferd sitzt ein | |
Krieger mit Schnauzbart, er zielt mit einer Pistole knapp über die | |
vorbeifahrenden Autos. „Verrückt“, sagt der Fahrer und tippt sich an die | |
Stirn. Wie viele seiner rund zwei Millionen Landsleute würde er Mazedonien | |
am liebsten verlassen, sagt er, so wie viele aus seiner Familie. Das | |
Durchschnittseinkommen liegt bei 350 Euro im Monat, Mazedonien ist das | |
zweitärmste Land Europas. | |
Umso absurder ist da das gigantische Bauprojekt namens „Skopje 2014“, das | |
der mächtige Premierminister Nikola Gruevski und seine konservative | |
Regierungspartei VMRO-DPMNE (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation | |
– Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit) in nur vier | |
Jahren aus dem Boden gestampft haben: ein Skulpturenpark mit 35 Objekten – | |
der römische Kaiser Justinian auf Marmorquadern, Protagonisten des | |
Antifaschistischen Rats der Volksbefreiung Mazedoniens auf einem | |
Bronzepodest, der Triumphbogen Makedonija oder der goldene Prometheus im | |
Komplex der Gefallenen Helden, dem man nach Protesten nachträglich die | |
Scham mit einem Höschen verhüllt hat. Ein wilder Ritt durch 2.500 Jahre | |
europäischer Geschichte. | |
## Alexander der 22 Meter Große | |
Daneben ganze Gebäudekomplexe im Neoklassizismus, die Vorbauten von antiken | |
Säulen getragen: Das Museum des mazedonischen Kampfes für Souveränität und | |
Unabhängigkeit. Das Museum der VMRO. Das Museum der Opfer des | |
kommunistischen Regimes. Das Außenministerium, Hotels. Auf dem zentralen | |
Stadtplatz steht das 22 Meter hohe Reiterdenkmal von Alexander dem Großen, | |
der Sockel von Wasser umspült, beleuchtet in Rot und Grün. Von der anderen | |
Seite des Flusses Vadar grüßt ihn sein Vater, Philipp II. | |
Als das mazedonische Kulturministerium 2009 das Werbevideo für „Skopje | |
2014“ veröffentlichte, glaubte niemand an eine Realisierung. In den | |
vergangenen 50 Jahren hat es kein vergleichbares Bauprojekt auf dem Balkan | |
gegeben. Das Kulturministerium nannte Baukosten von 207 Millionen Euro – | |
das wären 2,68 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. KritikerInnen hingegen | |
schätzen die Ausgaben auf mindestens eine halbe Milliarde. Allein das | |
Mazedonische Museum soll 100 Millionen Euro gekostet haben. | |
Aber „Skopje 2014“ ist mehr als bloß die teuren Bauten. Mit dem | |
Regierungsprojekt wird die Geschichte Mazedoniens neu geschrieben. Eine | |
Geschichte, die weiter zurückreicht als die Gründung der Republik | |
Mazedoniens innerhalb des föderalen Jugoslawiens 1946 und auch weiter | |
zurück als die slawische Besiedlung im Mittelalter: Gruevski und die VMRO | |
haben sich die Antikisierung Mazedoniens zur Aufgabe gemacht. Seit der | |
Regierungsübernahme 2008 knüpft sie demonstrativ an die Tradition des | |
antiken Reichs Makedonien an – des Reichs Alexander des Großen. Für die | |
Partei und die staatsnahen Forschungsinstitute ist das die Wiege der | |
mazedonischen Nation – eine Idee, die von vielen nicht geteilt wird. | |
Exministerpräsident Ljubco Georgievski nannte „Skopje 2014“ eine „große | |
Karikatur“ und „historischen Kitsch“. | |
Auch die albanischen MazedonierInnen fühlen sich diskriminiert. Sie bilden | |
rund ein Viertel der Bevölkerung, doch „Skopje 2014“ basiert auf der Idee | |
einer einheitlichen nationalen Kultur, Ethnie, Religion und Sprache – und | |
zwar der der orthodoxen SlawomazedonierInnen. Daran, dass ihre Geschichte | |
die der neuen mazedonischen Nation sein soll, ändert auch das Denkmal für | |
den albanischen Nationalhelden Gjergj Kastrioti, genannt Skanderbeg, | |
nichts. | |
Vor diesem Hintergrund ist der Stadtumbau durchaus explosiv, schließlich | |
stand das Land vor kaum 13 Jahren am Rande eines Bürgerkriegs. Nur mit | |
internationaler Vermittlung konnte 2001 im Abkommen von Ohrid eine | |
angemessene Repräsentation der albanischen MazedonierInnen in Politik und | |
Verwaltung festgeschrieben werden. | |
„Der historische Diskurs der Regierung steht im Widerspruch zum | |
Geschichtsbild der Bevölkerung“, sagt die Philosophieprofessorin Katerina | |
Kolozova. „Alexander der Große ist in der Alltagskultur überhaupt nicht | |
vorhanden.“ Für das Institute of Social Sciences and Humanities Skopje | |
betreute Kolozova eine repräsentative Umfrage zur Wirkung der Denkmäler. | |
Demnach lehnen zwei Drittel der Befragten „Skopje 2014“ ab – wegen der | |
hohen Kosten, aber auch, weil die neuen Nationalhelden ihnen fremd sind. | |
Für nur 5,8 Prozent ist die Antike prägend für die mazedonische Nation. Zum | |
Vergleich: 20 Prozent halten die staatliche Unabhängigkeit seit 1991 für | |
wesentlich. | |
So bleibt von jenem Rekurs auf die Antike vor allem ein verzweifelter Ruf | |
in Richtung Westen: Schaut her, wir gehören auch zu Europa! Denn Mazedonien | |
hat zwar seit 2005 den Status eines EU-Beitrittskandidaten, doch seither | |
herrscht Stillstand. Nachbar Griechenland blockiert die euroatlantische | |
Integration und verlangt die Änderung des Staatsnamens. Die Begründung: | |
Mazedonien könnte Ansprüche auf die nordgriechische Provinz Makedonien | |
stellen. Der Namensstreit ist beispiellos. Fünfmal hat die EU-Kommission | |
die Empfehlung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ausgesprochen, | |
und fünfmal verweigerte Griechenland seine Zustimmung – zuletzt schloss | |
sich auch Bulgarien dem Veto an. Die Pattsituation nützt wohl vor allem den | |
Konservativen. | |
## Weit weg von der EU | |
„Die Isolation hilft der Regierung, sie baut auf Frustration“, sagt | |
Kolozovas Kollege, der Sozialwissenschaftler Artan Sadiku. Immer weiter hat | |
sich der Premier Gruevski seit 2008 von der EU entfernt – und gleichzeitig | |
auch von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Es gibt eine endlose Reihe von | |
Korruptionsvorwürfen gegen ihn. Und schon nach den ersten | |
Präsidentschaftswahlen vor zwei Wochen wurde über Unregelmäßigkeiten | |
berichtet, über erkaufte Stimmen und nichtexistente WählerInnen. | |
Wie im Sozialismus ist der Staat der größte Arbeitgeber, und die VMRO hat | |
die Zahl der Beamten noch einmal verdoppelt – wer seinen Posten behalten | |
will, weiß, wo er sein Kreuz zu machen hat. Und wer es nicht weiß, bekommt | |
es gesagt: Das Helsinki-Komitee berichtete von Listen, auf denen die | |
Vorgesetzten in der Belegschaft Stimmen für die Regierung sammeln. | |
Die Opposition ist marginalisiert und ständiger Dämonisierung in den | |
regierungstreuen Medien ausgesetzt. Die EU-Kommission beklagt regelmäßig, | |
dass JournalistInnen eingeschüchtert, bedroht oder zu Haftstrafen | |
verurteilt werden. Kritische Stimmen gibt es kaum mehr, seit vor drei | |
Jahren der größte oppositionelle TV-Sender A1 geschlossen wurde – angeblich | |
wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten. Einigen Tageszeitungen erging es | |
ähnlich und unlängst wurden 15 Künstler und Antikorruptionsaktivisten, | |
wegen angeblicher Spionage für Ungarn verhaftet. All dies tut Wirkung: Die | |
Menschen auf der Straße sind vorsichtig geworden, über Politik will kaum | |
mehr jemand sprechen. Auch „Skopje 2014“ ist tabu. „Die Menschen sehen, w… | |
viel Geld an das Innenministerium und an die Polizei geht“, sagt der | |
Sozialwissenschaftler Sadiku. Die Sicherheitsbehörden werden von einem | |
Cousin Gruevskis geleitet. Dass die Menschen sich vor Repression fürchten, | |
sei „nicht nur Paranoia“, sagt Sadiku. | |
25 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
SONJA VOGEL | |
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