# taz.de -- Der Schnitt durch die Oberfläche | |
> TEXT/BILD/ZITAT/KOMMENTAR Die Künstlerin Barbara Kruger hat die Rotunde | |
> der Frankfurter Schirn ausgestaltet. Bei „Circus“ ersetzt die Helvetica | |
> die gewohnte Futura. Ein Gespräch über den Ursprung ihrer künstlerischen | |
> Arbeit | |
INTERVIEW ULF ERDMANN ZIEGLER | |
taz: Frau Kruger, Ironie heißt, etwas zu sagen, wenn das Gegenteil gemeint | |
ist. Ist Ihre Arbeit ironisch? | |
Kruger: Manches davon. | |
Wie stellen Sie sich die Wirkung vor, wenn man Ihre Installation betritt: | |
laut oder leise? | |
Hier sind es sehr große Buchstaben. So deute ich den Raum. | |
Und sind große Buchstaben: laut? Im Sinne von gerufen, geschrien? | |
Nein. Es liest sich: „believe + doubt = sanity“. Darüber können die Leute | |
dann nachdenken. Wie kommt es, dass Sie sich die Arbeit als Klang | |
vorstellen? | |
Ich versuche, künstlerische Arbeiten möglichst nicht wörtlich zu nehmen. | |
Weil wörtlich zu offensichtlich ist, langweilig. | |
Ja. Sehen Sie eine Installation wie diese als Bild an oder als Ansammlung | |
sprachlicher Äußerungen? | |
Muss es „entweder oder“ sein? Ich sehe meine Arbeit als Reihe von | |
Versuchen. Es gibt da keinen Anspruch … auf Meisterschaft, „auf meine | |
eigene Größe“. Es ist einfach ein Versuch, einen Kommentar zu schaffen, so | |
wie Filmemacher und Musiker es auch tun. Tatsächlich interessiert mich der | |
Zweifel und nicht Anspruch. | |
Bezieht sich der Kommentar auf die Gesellschaft ausschließlich oder auf die | |
Kunstgeschichte gleichermaßen? | |
Es gäbe ja keine Kunstgeschichte, wenn es die Gesellschaft nicht gäbe. Ich | |
würde sagen, meine Arbeit handelt davon, wie wir uns zueinander verhalten. | |
Sie haben vor allem mit Schwarzweiß gearbeitet, plus Rot. | |
Bei den frühen Arbeiten habe ich schon so gearbeitet, und in der Tat, bei | |
dieser auch. Aber meine Videoarbeiten sind in allen möglichen Farben. | |
Hätten Sie die Rotunde der Schirn statt mit sehr großen Buchstaben auch mit | |
einer Videoarbeit bespielen können? | |
Ich hatte vor, drei große Projektionen auf die Außenwand der Schirn zu | |
werfen. Dann kam der Weihnachtsmarkt dazwischen: schlechtes Timing! Der | |
vorgefundene Raum ist immer entscheidend, er ruft geradezu nach einer | |
Lösung, und man sieht sofort, was nicht geht. | |
Wie kam es zu dem Gebrauch von Schwarzweiß plus Rot: eher russische | |
Revolution oder eher Bild -Zeitung? | |
Das habe ich entwickelt, als ich neunzehn war und meinen ersten Job als | |
Designer bekam, die Nummer zwei in dieser Funktion bei Condé Nast. Daher | |
stammt die ganze Flüssigkeit im Visuellen, sofern ich sie habe. Ich machte | |
das nur wegen des Geldes, ich hatte keinen Collegeabschluss – aber | |
natürlich habe ich dabei gelernt, Worte in Bilder zu montieren. Die Worte | |
waren die der Redaktion, und später waren es meine eigenen. Vom | |
Konstruktivismus wusste ich nichts. | |
Sie waren in der Redaktion beschäftigt? | |
Ja, bei House and Garden, Mademoiselle, Vogue. | |
Aber nicht im Anzeigengeschäft? | |
Nie. | |
Sie haben lange mit einer ultra-europäischen Schrift gearbeitet, der | |
Futura. | |
Die Geburt der Moderne, natürlich! Das war der Schnitt durch die | |
Oberfläche. Das kam aus der Illustriertenarbeit. Aber hier ist es die | |
Helvetica. | |
Über die es einen langen Dokumentarfilm gibt. Dabei stellt sich heraus, | |
dass dies die absolute Lieblingsschrift der Anzeigenbranche gewesen ist. | |
Ja, aber die Franklin Gothic und die Futura auch, die ja die ältere Schrift | |
ist. Hier, in der Rotunde, läuft die Schrift eng, aber relativ fett, und da | |
ist die Helvetica besser geeignet. Solche Schnitte gibt es für die Futura | |
nicht. Das ist eine Frage der Anwendung. | |
Das heißt, Sie arbeiten immer noch wie eine Grafikerin, nur im | |
architektonischen Raum? | |
Nein, denn die Grafik arbeitet immer im Auftrag. Genau den habe ich als | |
Künstlerin nicht. | |
Was Fotografie betrifft, wie wichtig sind für Sie Korn und Raster? | |
Wichtig, weil es darauf ankommt, was in der Vergrößerung damit passiert. | |
Die Hand, die Ihren berühmten Satz hält: „I shop therefore I am“, sieht so | |
aus, als wäre sie von einem Bildschirm abfotografiert. Kann das sein? | |
Das kommt von der Reproduktion, es ist ein Moirée. | |
Wo haben Sie das Bild gefunden? | |
Das ist so lange her, ich kann mich nicht erinnern. Ich habe ein Bildarchiv | |
… Nur die Videos, die drehe ich weitgehend selbst. Vor allem war ich erst | |
einmal Schreibende, Film- und Fernsehkritik für Artforum, zum Beispiel. Ich | |
gebe nicht vor, Expertin zu sein, aber ich interessiere mich für Worte und | |
ihre Bedeutung. Auch da gibt es, wie bei den Fotografien, Zitate, aber das | |
meiste ist selbst verfasst. | |
Hier zitieren sie Mary McCarthy: „Gewalt lässt uns vergessen, wer wir | |
sind!“ | |
Ja. | |
Gehört sie zu ihren Lieblingsschriftstellerinnen? | |
Nein, das nicht. Als ich kurz am College war, sagte meine Lehrerin, Diane | |
Arbus, ich solle unbedingt schreiben, denn ich rede wie Dorothy Parker. Ich | |
wusste noch nicht einmal, was das bedeuten sollte! Wichtige Schriftsteller | |
für mich wurden dann Roland Barthes und Walter Benjamin. | |
Gute Quellen? | |
Nein, Schriftsteller. Ich war Autodidaktin, müssen Sie bedenken. | |
Immerhin waren Sie an der Parsons School of Design, Diane Arbus war Ihre | |
Lehrerin – was haben Sie, außer dass Sie schreiben sollten, von ihr | |
gelernt? | |
Sie war mein erstes Vorbild, eine Frau, die nicht sechsmal am Tag den Boden | |
schrubbte. Sie definierte sich durch ihre Arbeit. | |
Darf man Sie sich damals als hoffnungsvolle junge Fotografin vorstellen? | |
Nein, ich hatte sogar ziemliche Probleme mit Arbus’ Arbeit. Ich fand das | |
ausbeuterisch, ihr Verhältnis zu anderen Menschen, das fand ich sogar als | |
junges Mädchen. Sie hat Leute in die Ecke gedrängt, ich fand das brutal, | |
Ausdruck ihrer Verwirrung, Verachtung und des Selbsthasses. | |
Was Ihre Ästhetik betrifft, empfinden Sie eigentlich eine gewisse Nähe zu | |
Gilbert und George? | |
Ich fühle mich schon Künstlern nah, bisweilen, aber nicht näher als anderen | |
Leuten. | |
Oder wie steht es mit Laurie Anderson? Sie hat so eine bestimmte Art, Worte | |
in den Raum zu stellen, in ihren Performances – gefällt Ihnen das? | |
Seit Jahren nichts mehr gesehen! | |
Wenn Ihre Sätze in anderen Sprachen erscheinen, wer übersetzt sie? | |
Leute vor Ort, die vor allem den Alltagsgebrauch der Sprache begreifen | |
müssen. | |
Sie geben das nicht an literarische Übersetzer? | |
Doch, das ist in Frankreich geschehen, als es um die Synchronisation eines | |
Videos ging. Wir hatten erst eine akademische Übersetzung, die den lockeren | |
Umgang mit der Sprache überhaupt nicht eingefangen hat. Dann kam ein | |
anderer Übersetzer ins Spiel und es wurde gelöst – mein Französisch ist | |
gerade gut genug, um den Unterschied mitzukriegen. | |
Hier benutzen sie Deutsch und Englisch parallel. | |
Das wurde erwartet. Von mir aus hätte es auch nur auf Deutsch sein können. | |
Aber es gibt ja in Frankfurt auch ausländische Gäste. | |
Was bedeutet für Sie der Übergang ins digitale Zeitalter? | |
Ich wollte immer in den Raum hinein; Architektur ist meine große | |
Leidenschaft. Solange man für große Arbeiten den Siebdruck brauchte, war es | |
monströs teuer. Mit den digitalen Techniken sind die Preise gefallen, auf | |
etwa ein Viertel, und erst dann war es möglich. Dasselbe gilt für die | |
bewegten Bilder. Ich habe nie Film geklebt – mit dem digitalen Schneiden | |
ging es los. | |
Sie waren zuletzt in Frankfurt zur Schirn-Ausstellung „Shopping“ (2002) mit | |
einer riesigen Installation zweier Augen vor der Fassade des Kaufhofs. | |
Mein größtes Projekt jemals. Das ist eben Frankfurt: dass ein Museum, die | |
Stadt und ein Kaufhaus sich zusammentun. Unvorstellbar in den Vereinigten | |
Staaten. | |
Ich dachte damals: Wie kann das Kaufhaus Ihnen das nur erlauben: „Du willst | |
es – du kaufst es – du vergisst es“! Das ist ja geradezu | |
geschäftsschädigend. | |
Für mich war das einfach toll, dass es möglich war. Aber groß ist nicht | |
unbedingt besser als klein, oder – um Ihren Ausdruck zu gebrauchen – leise. | |
20 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
ULF ERDMANN ZIEGLER | |
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