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# taz.de -- Badezimmerspiegelkunst
> Drei Jahre nach ihrem Tod bietet sich die seltene Gelegenheit eines
> relevanten Einblicks in das zu Unrecht leider viel zu wenig bekannte Werk
> der österreichischen Künstlerin Birgit Jürgenssen
VON JACQUELINE RUGO
Bedeutende Museumsausstellungen, offizielle Ehrungen und kommerzieller
Erfolg blieben ihr zu Lebzeiten verwehrt. Heute gilt Birgit Jürgenssen als
eine der wichtigen österreichischen Künstlerinnen, die Ende der
Sechzigerjahre damit begannen, gesellschaftliche Dogmen und kulturelle
Konstruktionen von Weiblichkeit zu hinterfragen. Drei Jahre nach ihrem Tod
zeigt die Wiener Galerie Hubert Winter eine subtile Auswahl von
fotografischen Arbeiten aus den Siebzigerjahren und bietet damit die
seltene Gelegenheit eines relevanten Einblicks in ein zu Unrecht viel zu
wenig bekanntes künstlerisches Werk.
Birgit Jürgenssen gehörte zu jenen Künstlern, die prägnant die
Erscheinungsformen des Persönlichen und Individuellen in Hinblick auf den
Rahmen kultureller Normen hin überprüfte. Erstaunlich ist, wie früh sich
die 1949 in Bregenz geborene Künstlerin Methoden zu eigen machte, die heute
der postfeministischen Praxis zugeordnet werden. Ihre frühen Maskeraden und
Rollenspiele, die sie bereits im Alter von 17 Jahre mittels
selbstauslösender Kamera dokumentierte, bleiben themenbestimmend für ihr
gesamtes späteres Werk.
Ende der Sechzigerjahre und parallel zu ihrem Studium an der Hochschule für
Angewandte Kunst in Wien (1968–71) entstanden in ihrer winzigen
Atelierwohnung die ersten Selbstporträts, in den Badezimmerspiegel hinein
fotografiert. Birgit Jürgenssen bezeichnete diese Arbeiten als
Selbstanalysen. „Prinzipiell“, erläuterte sie später, „interessiert mich
die Darstellung der Beziehungen und nicht die Darstellung der Dinge oder
auch anders gesagt: Das natürliche Erscheinen der Dinge wird erst spannend,
wenn die Darstellung der Beziehungen in den Vordergrund gerückt ist.“
Die Wiener Ausstellung präsentiert eine umfangreiche Werkauswahl, vor allem
kleinformatige Fotografien, die als Einzelbild oder in seriellen
Zusammenstellungen Anfang der Siebzigerjahre entstanden. In diese Zeit
fallen auch ihre ersten Einzelausstellungen, zunächst vor allem in privaten
Galerien, wenig später interessieren sich auch einige wenige öffentliche
Institutionen wie die Wiener Albertina (1978) für ihr Werk.
Die derzeit bei Winter präsentierten Arbeiten schuf Birgit Jürgenssen
nahezu alle nach dem gleichen Schema: Stets posiert die Künstlerin in
unterschiedlicher Alltagskleidung und Aufmachung vor dem Spiegel in ihrem
Badezimmer und blickt meist direkt in den Fokus der Kamera. Auf keiner der
Aufnahmen posiert sie für eine andere Person, stets ist sie es selbst, die
den Auslöser der Kamera bedient. Dispositionen, die die Intimität ihrer
Selbstbespiegelungen und damit auch deren Intensität begründen.
Jürgenssen lässt die BetrachterInnen teilhaben an ihren alltäglichen
Ritualen vor dem Spiegel: nach der Dusche, mit Gesichtsmaske und mit
Lockenwicklern. Auf anderen Selbstporträts presst sie sich, gekleidet in
weißer, braver Bluse, gegen eine Glasscheibe, wird ihre Brust zum Bizeps im
angewinkelten Arm, schnürt sie sich einen Feuerlöscher unters Gesäß oder
hält sich ein Fell vor das Gesicht. Bereits diese frühen Arbeiten machen
deutlich, mit welcher Stringenz und gleichzeitigen Ironie Birgit Jürgenssen
versucht, ihren Körper als Projektionsfläche für kulturelle Vereinbarungen
und deren Kritik zu benutzen. In einprägsamen, beißend scharfen und immer
wieder auch humorvollen Bildern gelingt es ihr, die Mechanismen und
Automatismen der Unterdrückung der Frau zu entlarven.
Es sind vor allem diese frühen Werke, die Zeugnis geben von der Erkenntnis,
„stark in Rollenklischees aufgewachsen“ zu sein, und einem Bemühen, mittels
fotografischer Alltagsprotokolle eine adäquate künstlerische Entgegnung zu
finden. Die stilisierten Selbstporträts von Birgit Jürgenssen präsentieren
den Kanon der sozial diktierten Aktivitäten und Funktionen der Frau, die
kocht, bügelt und putzt und gleichzeitig einem Schönheitsideal entsprechen
soll. Peter Weibel bezeichnete ihre Werke 1998 als „Inszenierungen des
alltäglichen Schreckens“, wenn sich die Frau selbst bügelt oder die Küche
Teil ihrer Kleidung wird („Hausfrauen-Küchenschürze“, 1975).
Mit ihren entlarvenden Verkleidungen und Travestien nahm Birgit Jürgenssen
viele Ideen vorweg, die beispielsweise Rosemarie Trockel in den
Neunzigerjahren aufgriff oder Martha Rosler ebenfalls Mitte der
Siebzigerjahre in ihrer gleichnamigen Video-Performance gegen die „Semiotik
der Küche“ revoltieren ließ.
„Jeder hat seine eigene Ansicht“, schrieb Birgit Jürgenssen 1979 auf ihren
eigenen fotografierten Rücken. Es ist eine der letzten Arbeiten, mit der
die Ausstellung den Querschnitt aus dem ersten Drittel des etwa
dreißigjährigen Schaffens der Künstlerin beschließt. Hubert Winter gebührt
das Verdienst, seiner langjährigen Lebensgefährtin, die 2003 im Alter von
nur 54 Jahren nach langer Krankheit starb, eine substantielle Ausstellung
arrangiert zu haben, deren unprätentiöse Form der leisen, nachdenklichen
Stimmung der Werke entspricht.
So wird das fotografische Konvolut, das freilich nur einen kleinen Teil
eines vielschichtigen OEuvres dokumentiert, zu einem bildnerischen Reigen,
der nicht allein die vielen Gesichter von Birgit Jürgenssen vorführt und
das reiche Inventar ihrer Gemütszustände, sondern auch das vorsichtig
Tastende, Suchende einer ständig um sich selbst Kreisenden sehr
eindringlich, doch ohne es irgendwie zur Schau zu stellen, vorstellt.
Bis 13. Januar, [1][www.galeriewinter.at]
2 Jan 2007
## LINKS
[1] http://www.galeriewinter.at
## AUTOREN
JACQUELINE RUGO
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