Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- PRESS-SCHLAG: Das Wahl-Experiment
> Grant Wahl kennt sich aus mit Fußballgeschäften. Sein Beckham-Buch belegt
> das. Ein Herausforderer für Sepp Blatter also?
Grant Wahl ist Amerikaner, Sportjournalist, und er ist definitiv kein
Martin Sonneborn des Weltfußballs. Anders als der frühere
Titanic-Chefredakteur hat Wahl keine „Partei“ gegründet, um den Weltverband
Fifa aufzumischen und bloßzustellen, sondern: Wahl will’s wirklich wissen.
Er bewirbt sich Mitte dieses Jahres darum, anstelle von Sepp Blatter zum
Fifa-Präsidenten gewählt zu werden.
Wissen wollte Wahl es schon vor zwei Jahren: Da legte er „The Beckham
Experiment“ vor, das erste Fußballbuch, das zum bestverkauften Sporttitel
der USA wurde. Untertitel des Bestsellers: „Wie der berühmteste Sportler
der Welt versucht hat, Amerika zu erobern“.
Wie bald Sepp Blatter, so hat er damals David Beckham getriezt. Und
irgendwie auch demontiert. 16 Monate lang hat Wahl den englischen
Fußballstar David Beckham begleitet, der 2007 vom Weltklasseverein Real
Madrid in die als unterklassig geltende US-amerikanische Major League
Soccer (MLS), genauer: zu LA Galaxy, wechselte. Detailliert weist er nach,
wie die Geldgeber, die Anschutz Entertainment Group (AEG) des
US-Milliardärs Philipp Anschutz und die Produktionsfirma 19 Entertainment,
die David Beckham vermarktet, auf die Idee kamen, mit dem kickenden
Superstar den US-Markt zu erobern. Der wenn vielleicht nicht beste, so doch
lukrativste Fußballer der letzten zehn, 15 Jahre, wurde in eine Mannschaft
gestellt, wo er im Jahr 4,5 Millionen US-Dollar verdiente (plus
Werbeeinnahmen), während andere Teamkollegen 12.000 Dollar im Jahr
erhielten. Soll heißen: Auf dem Platz standen Spieler, denen von der
Geschäftsführung signalisiert wurde, dass sie 375-mal weniger wert sind als
ihr Kollege, der die Freistöße von rechts tritt.
Grant Wahl hat beeindruckend beschrieben, wie AEG und 19 Entertainment, je
mehr der sportliche Erfolg ausblieb – LA Galaxy spielte mit Beckham so
schlecht wie nie zuvor in der Vereinsgeschichte –, sich stets noch mehr auf
Beckham konzentrierten: Als der bisherige Trainer gefeuert wurde, war es
nicht der Club LA Galaxy, der einen Nachfolger verpflichtete, sondern
Beckhams bester Freund, persönlicher Berater und
19-Entertainment-Angestellter Terry Byrne, der Ruud Gullit holte. Der
frühere niederländische Weltklassespieler kannte sich aber überhaupt nicht
mit den besonderen Bedingungen der MLS aus und lernte diese in den neun
Monaten seiner Tätigkeit auch nicht. Gullits Präsentation erfolgte dann
passenderweise auch gleich in der Mannschaftskabine durch Beckham-Kumpel
Byrne, den die Galaxy-Spieler bis dahin gar nicht kannten. In Wahls Buch
ist weiter zu erfahren, wie, als die Galaxy-Erfolge unter Gullit noch
weiter ausblieben, die Finanziers immer mehr auf Beckham setzten, ihn sogar
zum Kapitän machten und ihm jede PR-Reise während der Meisterschaft
nachsahen und wie niemand auf die Idee kommen wollte, dass die mangelnde
Teamintegration des Weltstars der Grund fürs Scheitern sein könnte.
Grant Wahl hat den mit gigantischem Aufwand unternommenen Versuch
analysiert, den europäischen Soccer im lukrativen US-Fernseh- und
Werbemarkt zu etablieren. Dabei hat er sich Wissen angeeignet, das einem
Fifa-Präsidenten Wahl zupass kommen sollte. Schließlich ist es die offen
erklärte Politik der Fifa, immer mehr Märkte fußballerisch zu erschließen:
zuletzt 2010 mit der erstmals auf diesem Kontinent ausgetragenen WM den
afrikanischen Markt. Vier Jahre später wird mit der WM in Brasilien die
große lateinamerikanische Fußballbegeisterung in den Verwertungszyklus der
Fifa überführt. Dann, 2018, werden die mit dem Geld russischer Oligarchen
langsam auch sportlich stark werdenden russischen Fußballmärkte
erschlossen. Bis hin zu Katar, der 2022er-WM im Miniwüstenstaat.
Was Grant Wahl also macht, ist das, was Karl Marx als Umgang mit der
bürgerlichen Gesellschaft empfahl: „Man muss diese versteinerten
Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie
vorsingt!“ Wahls Problem aber dürfte sein, dass die Verhältnisse im
Weltfußball noch tauber sind als in der Weltpolitik. Der Titel seines
nächsten Buches könnte also lauten: „The Wahl Experiment. Wie einer der
unbekanntesten Fußballjournalisten der Welt versucht hat, die Fifa zu
erobern“. MARTIN KRAUSS
■ Grant Wahl: „The Beckham Experiment. How the World’s Most Famous Athlete
Tried to Conquer America“. Three Rivers Press, New York 2009. 307 Seiten,
ungefähr 15 Euro
26 Feb 2011
## AUTOREN
MARTIN KRAUSS
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.