# taz.de -- „Diese grausige Seite von Hollywood“ | |
> Heute wird Kenneth Anger 80 Jahre alt. Ein Gespräch mit dem | |
> sagenumwobenen amerikanischen Underground-Filmemacher und Gossip-Künstler | |
> über Okkultismus, die Arbeit am dritten Teil seiner Klatsch-Chronik | |
> „Hollywood Babylon“ und die eigenartige Faszination der Grabstätten | |
> vergessener Stars | |
INTERVIEW STEFAN GRISSEMANN | |
taz: Herr Anger, Ihre legendären Kinoarbeiten – von „Fireworks“ bis | |
„Scorpio Rising“ – liegen Jahrzehnte zurück. Unlängst haben Sie wieder | |
begonnen, Filme zu machen. Was hat Sie zu diesem Neustart bewogen? Zwischen | |
1976 und 2000 sah es aus, als hätten Sie mit dem Kino abgeschlossen. | |
Kenneth Anger: Das ist nicht wahr. Ich mache ständig Filme, nur | |
veröffentliche ich viele davon nie. Und ich arbeite eben sehr langsam. | |
Zudem geht mir dabei immer wieder das Geld aus. | |
Sie veröffentlichen Filme inzwischen vor allem auf DVD – um sie besser in | |
Museen und Galerien unterzubringen? | |
Die Kunstszene interessiert sich für meine Filme heute mehr als die | |
Filmbranche. „Mouse Heaven“ hatte seine Premiere im New Yorker Museum of | |
Modern Art – und ich verkaufe DVD-Kopien meiner Arbeit in streng | |
limitierten Auflagen an Museen ebenso wie an Privatsammler. | |
Einer Ihrer jüngsten Filme, „The Man We Want to Hang“, setzt sich mit der | |
Kunst des britischen Okkultisten Aleister Crowley auseinander. Er ist | |
offenbar eine Schlüsselfigur für Sie. | |
Er ist mir wichtig, ja. Ich finde, Crowley sollte viel mehr gelesen werden: | |
Sein Stil, sein Witz, seine Ideen sind brillant. | |
Luzifer, sagten Sie einst, sei der Schutzheilige der visuellen Künste. | |
Inwiefern? | |
In den alten Texten ist Luzifer keineswegs der Teufel, sondern der Engel | |
der Schönheit im Himmel; seine Domäne sind die Farben, die Kunst, die | |
Verfeinerung. Natürlich ist das eine Allegorie, aber es ist auch eine | |
geheime atomare Formel. Gott ärgerte sich also über seinen Sohn, dessen | |
Schönheit alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Schließlich verwies Gott ihn | |
aus dem Himmelreich. Als seine Groupies sahen, dass ihr Held auf die Erde | |
verbannt worden war, gingen sie mit ihm. So wurden sie, als sie die Erde | |
erreichten, zu Teufeln; seit damals ist das Menschengeschlecht nur noch mit | |
Vorsicht zu genießen. | |
Wie würden Sie denn Ihre Beziehung zum Okkultismus beschreiben? | |
Ich fühle mich damit absolut wohl. Das hat nichts mit Schwarzer Magie oder | |
Satanismus zu tun. Okkultismus ist etwas für Intellektuelle. Wir feiern | |
weder Hexensabbate noch Schwarze Messen – ich meine, wir schlachten ja | |
keine Babys, das ist alles nur Propaganda. Okkultismus setzt sich | |
philosophisch mit Natur, Leben, Zeit und Raum auseinander. | |
Sie haben Ihre Kinokarriere 1935 als Kinderdarsteller in Max Reinhardts | |
„Sommernachtstraum“ begonnen. Das Hollywood-Universum scheint Sie seit | |
damals nicht mehr losgelassen zu haben. | |
Ich habe mehr Beziehung zu Hollywood als die meisten, wenn nicht alle | |
unabhängigen Filmemacher – weil ich da drin aufgewachsen bin. Ich hätte im | |
Zentrum der Industrie arbeiten können, wenn ich gewollt hätte. Aber als ich | |
die Beverly Hills High School abgeschlossen hatte, begann McCarthys absurde | |
Kommunistenhatz; das war so unangenehm, dass ich Hollywood sofort hinter | |
mir lassen wollte. Ich ging 1950 nach Paris, um an der Cinémathèque | |
Française für deren Gründer Henri Langlois zu arbeiten, zwölf Jahre lang. | |
Dort schrieben Sie auch den berüchtigten ersten Teil Ihres Buches | |
„Hollywood Babylon“. | |
Ja, während der Fünfzigerjahre, auf Französisch, für einen Pariser | |
Verleger. | |
Haben Sie damals nicht auch eine Fassung des legendären Eisenstein-Films | |
„¡Que viva México!“ geschnitten? | |
Natürlich. Für Langlois. In den frühen Fünfzigerjahren gab er mir all das | |
Material, das er von Eisensteins unvollendetem Unternehmen hatte; er besaß | |
zudem eine Kopie des Originalszenarios. Dieses las sich sehr poetisch, sehr | |
klassisch, wie eine Beethoven-Symphonie. Langlois bat mich, die wunderbaren | |
Fragmente, die wir hatten, in Eisensteins Sinn neu zu arrangieren. Meine | |
Arbeit erregte schon im Vorfeld Kontroversen, eine Menge antiamerikanischer | |
Ressentiments. Leute wie Godard hassten mich sowieso von Anfang an, obwohl | |
sie nichts von mir wussten. Sie verstanden einfach nicht, warum Langlois | |
einen Amerikaner für solche Arbeiten anheuern musste. Mit Jacques Rivette | |
allerdings freundete ich mich an, auch mit Jacques Doniol-Valcroze, der die | |
Cahiers du cinéma führte – und mit Truffaut, als der bloß Kritiker bei den | |
Cahiers war. | |
Wurden Ihre eigenen Filme im Paris jener Jahre nicht gezeigt? | |
Doch, in der Cinémathèque. Langlois hatte sogar eine Vorführung anlässlich | |
meiner Ankunft arrangiert; unter den Leuten, die er eingeladen hatte, war | |
Jean Cocteau, der meine „Fireworks“ schon kannte; Jean Genet und Marcel | |
Carné waren auch da – und eine wunderbare Surrealistin namens Leonore Fini. | |
Ich wusste, dass all diese Leute bedeutende französische Künstler waren, so | |
fand ich ihre Anwesenheit ziemlich überwältigend; ich war ja nichts als ein | |
Junge, frisch aus der High School. Ich sprach allerdings Französisch, denn | |
die Franzosen, das wusste ich, sind der Überzeugung, es gebe nur eine | |
Sprache auf diesem Planeten: ihre eigene. Cocteau sagte niemals auch nur | |
ein Wort auf Englisch. Stattdessen machte er ununterbrochen diese | |
stichelnden kleinen Scherze, die ich glücklicherweise verstehen konnte. | |
Wie lang haben Sie am Original von „Hollywood Babylon“ geschrieben? | |
Ich begann schon als Kind, Material dafür zu sammeln, zunächst nur als | |
Hobby: Ich trug Bilder von Hollywoodstars zusammen, legte ein Notizbuch an, | |
in dem ich seltsame Selbstmordgeschichten festhielt, wann immer Stars wie | |
die Komikerin Thelma Todd jung aus dem Leben schieden. Ich sammelte auch | |
jene Originalschlagzeilen, die reißerisch von glamourösen Schauspielerinnen | |
berichteten, die tot in ihren Garagen gefunden worden waren, von | |
Autoabgasen vergiftet. Diese grausige Seite Hollywoods faszinierte mich. | |
Sie scheinen da nicht der Einzige zu sein, wie der Welterfolg Ihrer beiden | |
„Hollywood Babylon“-Bücher andeutet. | |
Ich habe übrigens einen dritten Teil der Serie fertiggestellt. Ich konnte | |
ihn nur noch nicht veröffentlichen. Vielleicht werde ich das demnächst in | |
Deutschland tun; in Amerika scheint es nicht zu gehen. | |
Warum? Wegen rechtlicher Schwierigkeiten? | |
Ja, in den USA herrschen andere Publikationsgesetze, da wird man allzu | |
schnell wegen Verleumdung geklagt. | |
Kündigen Sie „Hollywood Babylon III“ nicht schon seit Jahren an? | |
Na ja, ich füge auch ständig Dinge hinzu. Der Hauptstreitpunkt ist ein | |
sorgfältig recherchiertes Kapitel über Hollywoods Verstrickung mit | |
Scientology: Ich habe es „Die falsche Kirche“ genannt, denn Scientology ist | |
eine Kirche von Vampiren, die dein Bankkonto aussaugen und dich ruiniert | |
fallen lassen. Sie übernehmen die Kontrolle über dein Geld; eine stattliche | |
Zahl an Menschen wurde so bestohlen. | |
Warum, glauben Sie, agieren Filmstars wie John Travolta oder Tom Cruise als | |
Aushängeschilder für Scientology? | |
Travoltas Karriere ist so kaputt, dass er nicht mehr viel ausrichten kann. | |
Aber Cruise hat sich erst unlängst so sehr zum Idioten gemacht, dass ihn | |
Paramount Pictures fristlos entlassen musste, weil er unentwegt für | |
Scientology warb. Natürlich warfen sie ihn auch raus, weil er langsam zu | |
alt wird, um noch Actionhelden spielen zu können – genau wie Arnold | |
Schwarzenegger. | |
Das ist ein Filmstar-Dilemma. Schwarzenegger hat die Politik gewählt. | |
Tom Cruise wird demnächst 45, wissen Sie? Und obwohl er noch immer sein | |
großartiges Lächeln hat und herrliche Zähne, wird er wohl ohne digitale | |
Special Effects nicht mehr lange herumspringen können. Aber gut, das ist | |
sein Problem. Jedenfalls hat Cruise einen ungeheuren Narren aus sich | |
gemacht, als er im US-Fernsehen auf der Couch von Oprah Winfrey | |
herumgesprungen ist, als wäre er auf Drogen. Vielleicht war er das ja auch, | |
wer weiß? Er benahm sich wie ein Affe. Also zogen die Leute von Paramount | |
die Notbremse. | |
Hat Ihnen das gegenwärtige Hollywood denn noch genug Stoff zu bieten? Ist | |
es nicht auch langweiliger, klinischer geworden als in der klassischen Ära? | |
Schon. Manches gefällt mir noch, aber ich schreibe lieber über die | |
Vergangenheit. Ich hege etwa große Faszination für Tier-Filmstars – für die | |
Frage, wie Benji ein Kassenhit werden konnte; warum Leute ins Kino gehen, | |
weil sie dort einen Hund zu sehen kriegen. Der erste Superstarhund war Rin | |
Tin Tin, ein hochintelligenter Deutscher Schäferhund der Zwanzigerjahre. Er | |
war sich seiner Rolle absolut bewusst: Rin Tin Tin war praktisch ein | |
Mensch. | |
Eines Ihrer Kindheitshobbys war der Besuch von Hollywood-Friedhöfen. Tun | |
Sie das noch? | |
Ja, jeden 23. August lege ich eine Rose auf das Grab von Rudolph Valentino | |
am Hollywood Forever Cemetery. Aber da bin ich nicht allein: Meist stehen | |
schon eine Menge Frauen sehr verschiedenen Alters herum, alle in Schwarz. | |
Valentino zu besuchen ist ein bisschen modisch geworden; aber warum soll | |
man nicht ein wenig makabren Spaß haben? Ich glaube, die Goth-Szene ist da | |
inzwischen auch eingestiegen. | |
Als Friedhofsflaneur sind Sie aber auch an anderen Tagen unterwegs, oder? | |
Schon. Ich habe viele Gräber von Leuten gefunden, die einst berühmt waren, | |
aber längst vergessen sind. Viele sind an merkwürdigen Orten wie Palm | |
Springs begraben, weil sie dort ihren Alterssitz hatten: die wunderschöne | |
Billie Dove etwa, die eine der Geliebten von Howard Hughes war, ein | |
Stummfilmstar, den heute keiner mehr kennt. Es ist doch erbaulich, die | |
Ruhestätten solcher Leute aufzuspüren. | |
3 Feb 2007 | |
## AUTOREN | |
STEFAN GRISSEMANN | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |