# taz.de -- Ein Preis für alle Klänge | |
> Erfolg ist keine Hexerei: Zum ersten Mal wurde in Dortmund der | |
> „Creole“-Musikpreis verliehen. Der bundesweite Wettbewerb soll Weltmusik | |
> als eigenem Genre mehr Aufmerksamkeit verschaffen | |
VON NATALIE WIESMANN | |
Mariana Sadovska hat ihr dunkelblondes Haar zu einem Kranz nach hinten | |
geflochten; ihr schwarz-grünes Kleid wirft Falten. Die Ukrainerin hat | |
zwanzig Minuten Zeit, um mit ihren Hexengesängen überzeugen. Sie will im | |
Dortmunder Jazz-Club domicil den ersten bundesweiten Wettbewerb um die | |
beste Weltmusik-Band gewinnen, und am Ende die „Creole“-Trophäe in ihren | |
Händen halten. | |
Ihr Instrument ist ein Harmonium, ein indischer Verwandter des Akkordeons. | |
Harmonie strahlt ihr Auftritt allerdings eher wenig aus: Sadovska | |
interpretiert ukrainische Traditionsweisen über Liebe und Sehnsucht auf | |
extrem schräge Weise: In einem Moment singt sie herzzerreißend wie eine | |
Roma-Sängerin, im nächsten wieder düster wie eine Grufti-Chanteuse, um dann | |
eine kleine Operneinlage zu geben. „Every woman has the potential for being | |
a witch“, raunt sie ins Mikro. | |
Geschickt spielt Sadovska mit dem Image von Hexen, von Minute zu Minute | |
schlüpft sie in eine andere Frauenrolle. Die ausgebildete Schauspielerin | |
fleht, schreit und jodelt sich hemmungslos in Ekstase – begleitet von | |
jazzigen Piano-Tönen, Kontrabass und Percussion. Die etwa 500 Zuhörerinnen | |
und Zuhörer wirken zunächst erschlagen, um schließlich vor Begeisterung zu | |
johlen. | |
Für den Geschmack der fast ausschließlich männlich besetzten Jury war der | |
Hexengesang dann wohl doch eine Nummer zu gewagt. Es waren drei andere | |
Teilnehmer, die das international besetzte Gremium am Ende der drei | |
Wettbewerbstage mit 3.000 Euro prämierte: Ein Preis ging an Ahoar aus | |
Nordrhein-Westfalen, eine Band mit irakisch-belgisch-deutschem Hintergrund, | |
die irakische Klassik und westlichen Jazz zu einem meditativen Sound | |
mischten. | |
Eine weitere „Creole“ erhielt die Leipziger Gruppe Ulman: Die Jury war | |
angetan von der virtuosen Spielweise der Drehleier, sagte sie in ihrer | |
Begründung, auf der Musiker Till Uhlmann auch scratchen kann wie ein DJ; | |
und auch die selbst erfundene, durchsichtige „Ulman“-Trommel, die sich der | |
Percussionist auf den Bauch gebunden hatte, gefiel den Juroren. Gleich | |
zweifacher Sieger wurde die Band Äl Jawala aus Freiburg: Zur Creole gab es | |
für ihren mit Elektro-Rhythmen unterlegten „Balkan-Brass“, der zunehmend | |
die Clubs erobert, auch den Publikumspreis. | |
Von Donnerstag bis Samstag traten in Dortmund 21 Gruppen vors Publikum. Aus | |
sieben Landeswettbewerben sind sie als Sieger hervorgegangen. Insgesamt | |
bewarben sich in den Bundesländern 1.300 Bands. Ein solch gigantischer | |
Wettkampf in einer Sparte, die in Deutschland noch ein Nischenpublikum | |
bedient, ist bisher einmalig. Ist das vielleicht die Chance, die Musik, die | |
niemand genau definieren oder gegen andere Stile abgrenzen kann, an die | |
Massen zu bringen? | |
Organisatorin Barbara Ellinghaus ist davon überzeugt. Dennnoch hatte sie | |
als Ausrichterin des Landeswettbewerbs in Nordrhein-Westfalen Mühe, | |
genügend Bewerber zu finden: „Wir haben die Bands in ihren Proberäumen | |
aufgesucht, sie aus Bunkern und Fabrikhallen herausgeholt.“ Aber wenn sich | |
der Wettbewerb erst einmal herumgesprochen habe, so ihre Hoffnung, würden | |
sich beim nächsten Mal mehr Gruppen bewerben. | |
François Bensignor, französischer Musikjournalist und Mitglied der Jury, | |
hält das Potenzial zwar für steigerbar, aber auch für begrenzt: „Die Creole | |
wird auch in Zukunft nicht die Massen anlocken“, sagt er. In seinem | |
Heimatland Frankreich stagniert der Marktanteil der Weltmusik seit vielen | |
Jahren bei etwa fünf Prozent – traumhafte Quoten im Vergleich zu | |
Deutschland, wie Bernhard Hanneken findet, der künstlerische Leiter des | |
größten deutschen Weltmusik-Festivals im thüringischen Rudolstadt. „In | |
Deutschland ist der Marktanteil verschwindend gering.“ Franzosen hätten | |
aufgrund ihrer Kolonialgeschichte die Klänge aus Übersee oder Nordafrika | |
viel stärker in ihre Musikszene integriert; eine vergleichbare Tradition | |
fehle in Deutschland. Für ihn bietet der Dortmunder Wettbewerb vor allem | |
die Möglichkeit, Netzwerke zu schaffen, aber auch dem Publikum, das Ganze | |
als eine eigenständige Musikrichtung begreifbar zu machen. | |
Mehr mediale Aufmerksamkeit, mehr Weltmusiker, mehr Networking: Ob das | |
schon reicht, um die Weltmusik künftig stärker in den Mittelpunkt der | |
öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken? Die 125.000 Euro, die der | |
Bundeswettbewerb gekostet hat, konnten jedenfalls durch Eintrittsgelder | |
allein nicht abgedeckt werden. Finanzielle Unterstützung kam vom | |
Bundesbeauftragten für Kultur und vom Land Nordrhein-Westfalen sowie vom | |
Kultursender WDR 3 und lokalen Akteuren. | |
Wenn es die nicht gebe, hätten die Fans in Dortmund allerdings einige | |
skurrile Auftritte verpasst: etwa eine Hippie-Kommune aus Niedersachsen, | |
die zu norddeutschem Folk über vergessen geglaubte Exfreunde singt („Du | |
Schuft“). Oder die persische Boygroup Tapesh 2012 aus Bochum, die sich mit | |
ihrem Namen ein ehrgeiziges Ziel gesetzt hat: In fünf Jahren will sie mit | |
ihrem persischen Crossover in Teheran auftreten. | |
So verschieden die Musikstile, so heterogen war auch das Publikum. In den | |
Stuhlreihen lauschten gesetztere Gäste, wie man sie sonst bei Klassik- oder | |
Jazz-Konzerten antrifft, regungslos und aufmerksam. Von diesen Stuhlreihen | |
fühlte sich ein eher junges Publikum in seiner Tanzlaune ausgebremst. Ihm | |
hätte auch Ulman-Trommler Uli Stornowski gerne mehr Raum gegeben: „Wenn | |
jemand unauffällig die Stühle an den Rand räumt, sagen wir es keinem | |
weiter.“ | |
22 May 2007 | |
## AUTOREN | |
NATALIE WIESMANN | |
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