Introduction
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# taz.de -- Die Bremer Affenliebe
> Erst wurden Andreas Kreiners Makaken-Experimente von der Universität
> Bremen gehätschelt, jetzt will die Politik sie einstellen: Seit der
> Tierschutz im Grundgesetz verankert ist, werden Versuche mit Primaten
> kaum noch genehmigt
von BENNO SCHIRRMEISTER
Da wäre zum Beispiel das Schnitzel-Argument. Ein Schnitzel zu essen, sagt
Andreas Kreiter, sei schwieriger zu legitimieren, als seine Versuche. Kein
Mensch braucht Schnitzel, oder Braten, oder Wurst. Oft ist deren Verzehr
sogar ernährungsphysiologisch bedenklich. Nur hat die Bremische
Bürgerschaft nicht den Verkauf von Tierfleisch untersagt. Sondern „die
Zielsetzung eines geordneten Ausstiegs aus den invasiven Tierversuchen an
Makaken“ bekräftigt. Und zwar „mit Ablauf der Genehmigungsperiode im Jahr
2008“.
Zugleich hat sie den Senat gebeten, auf Grundlage des Berichts einer
Expertenkommission zu erläutern, „wie der Ausstieg erfolgen kann“. Das war
am 22. März 2007, der Beschluss fiel einstimmig, eine politische
Willensbekundung, schließlich ist laut Tierschutzgesetz die
Gesundheitsbehörde zuständig. Der angeforderte Bericht liegt jetzt vor.
Seit zehn Tagen brütet man in der Wissenschaftsbehörde darüber. Öffentlich
ist er noch nicht. Vielleicht, weil auf Basis des Gutachtens die Senatorin
ehrlicherweise nur ans Rednerpult treten kann und sagen: Ist nicht. Es ist
wissenschaftlich erwiesen, dass es kein Ersatzverfahren für die invasiven
Makaken-Versuche gibt. Und: Professor Kreiters Forschung kommt laut
Expertise grundlegende Bedeutung zu. Unangenehm. Schließlich steht im neuen
Koalitionsvertrag: „Der Bürgerschaftsbeschluss zur Beendigung der
Primatenversuche wird umgesetzt.“ Und das Gutachten sollte beim Ausstieg
helfen.
## Organisch geformte Hütchen
Ein großes Metalltor mit Sicherheitscodierung: Der Eingang zu den Labors
wird videoüberwacht. Die Affen leben in Gruppen, reine Männergruppen, das
kommt in der Natur häufig vor – und ist günstig, weil blutige Kämpfe
ausbleiben. Die Gehege sind mit Holzspänen ausgestreut. Einige Tiere sitzen
am Boden und pulen Sonnenblumenkerne aus den Häckseln: In den asiatischen
Steppen ernten sie Grassamen und Beeren. Andere testen den Kletterparcours,
hangeln am Gitter, einer hat sich nach draußen verabschiedet, obwohl es
recht kühl ist und dunkel. Ein Affe ist neu, ihm fehlt der Aufbau auf dem
Kopf noch. Die anderen haben ihn alle: Ein Bolzen, er erinnert an einen
Handgriff, und eine metallische Buchse ragen aus roséfarbenen, organisch
geformten Hütchen. Die sind aus Zement. Zement wird in der Humanmedizin
eingesetzt, weil er sich optimal der Knochen-Struktur anpasst. Er dient zum
Fixieren von Implantaten. Manche Besucher haben vermutet, der gesamte
Makakenschädel sei geleert und dann von Kreiter und seinem Team
einzementiert worden. Andere haben die Aufbauten für herausquellendes Hirn
gehalten. Schließlich hatte sich die öffentliche Meinung schon 1996 dafür
entschieden, den Zoologen für einen Affenfolterer zu halten – ein Jahr
bevor der erste Makake in Bremen operiert wurde.
## Versace schlägt auf den Knopf
Im 19. Jahrhundert hat man begonnen, das Hirn zu kartografieren. Als
gesichert gilt: Sein Aufbau ist bei Wirbeltieren immer fünfteilig, von
Vorderhirn bis Nachhirn. Dass dort etwas passiert, liegt an den Neuronen,
also Nervenzellen, die Erregung weiterleiten. „Die Zellen“, sagt Kreiter,
„sind relativ gut verstanden.“ Was fehle sei „eine zentrale Leittheorie,
die erklärt, wie aus ihrem Zusammenwirken Wahrnehmungen, Aufmerksamkeit
oder Erinnerungen entstehen“. Man fühlt sich auf gutem Weg dorthin.
Der Affe heißt Versace. Er hockt in einem kleinen Behältnis aus Plexiglas.
In der Hand hat er einen Schaltkasten, der einer Fernbedienung ähnelt.
Versace ist neu hier. Er trainiert. Eben hat er den Experimentator im
Nebenraum dazu gebracht, die Apfelsaftdosis zu erhöhen. Versace hat die
Schaltbox rumgeschlenkert und wild auf den Knopf geschlagen. Sein Kopf ist
fixiert, dafür ist der Bolzen da, der Metallzylinder dient zur Verdrahtung
der Elektroden: Dünn wie ein Haar sind ihre Spitzen im Hirn versenkt. Das
ist schmerzunempfindlich. Jetzt macht Versace die Übung wieder mit. Er
schaut auf den Bildschirm, nebeneinander erscheinen zwei Objekte, klack,
Versace drückt den Knopf, es war der richtige Moment, er bekommt einen
Schluck Saft. Klack, das Arbeitstempo nimmt zu, klack. Versace konzentriert
sich. Die Trainingsphase dauert ein Jahr: Es muss klar sein, dass die Affen
das entscheidende Objekt erkennen. An Dressurtagen bekommen sie nur während
des Trainings zu trinken. Makaken stammen aus trockenen Regionen: Sie
können bis zu zwei Wochen ohne Wasser leben.
## Das Ziel: Erkenntnis
Der Bereich, an dem Kreiters Arbeitsgruppe die Stimulation von Neuronen
beobachtet, ist das Großhirn, hauptsächlich jene sensorischen Felder, die
als V 4 bezeichnet werden. Damit ein bestimmtes Objekt erkannt wird, muss
das Gehirn die Sinneseindrücke sortieren – sie kommen alle in derselben
Form, als elektrische Impulse an. Was Kreiter entdeckt hat, lässt sich
ungefähr so zusammenfassen: Reagieren V 4-Zellen auf ein Objekt auf dem
Bildschirm, während der Makake sich für etwas anderes interessiert, feuern
sie ohne erkennbare Regel. Anders, wenn das Tier versucht, das Objekt zu
erkennen: Dann feuern die beteiligten Neuronen in synchronen
oszillatorischen Mustern. „Das sind stabile Muster“, so der Hirnforscher,
„aber keine stabilen Netzwerke.“ Wenn das Interesse dem linken Gegenstand
gilt, funken andere Neuronengruppen im Gleichtakt, als beim rechten. „Es
ist eine Teiltheorie“, sagt Kreiter. Den Gesamtzusammenhang offenbaren kann
sie nicht. Allerdings gelten die Synchronisationstheorien als bislang
größter Schritt dorthin.
Grundlagenforschung nennt man das. Ihr Ziel ist: Erkenntnis. Man kann sich
vorstellen, in welcher Richtung ihre Anwendungen liegen. Abschätzen lässt
sich, dass sie zahlreich sein werden. Schon 2004 haben
Schizophrenie-Forscher festgestellt, dass bei PatientInnen die von Kreiter
beobachteten oszillatorischen Muster der Neuronen-Impulse verändert sind.
Die wegen des demografischen Wandels boomende Alzheimer-Therapie vermutet
wertvolle Hinweise in den Bremer Erkenntnissen. Prothesen, die Blinden ein
wenigstens rudimentäres Sehvermögen schenken, werden denkbar. Lauter
keimende Hoffnungen. Die Uni hat sie gern befeuert. In der Debatte fielen
sie dann schnell auf Kreiters Forschungen zurück – polemisch gewendet: „Das
ging ja bis zur Katastrophenprophylaxe, was damit alles möglich sein
sollte“, wetterte Grünenpolitikerin Silvia Schön im Mai 2005 in der
Bürgerschaft. Im Februar 2007, kurz vor der Wahl, erklärte
CDU-Spitzenkandidat Thomas Röwekamp Kreiters Ergebnisse für zu dünn, und
eine Fortsetzung der Versuche für lässlich. Schließlich war Schizophrenie
noch nicht heilbar geworden.
## Das Bremer Wachsmodell
Der Wunsch nach unbedenklichen Ersatzverfahren ist in den
Naturwissenschaften nicht neu. 1771 zum Beispiel überzeugte der Florentiner
Felice Fontana Kaiser Leopold II., dass seine Wachsmodelle von Körper und
Organen die anrüchige Untersuchung von Leichen überflüssig machen könnten.
Der Kaiser gab ihm einen Auftrag. Noch heute kann die Kollektion von 800
Wachsplastiken bewundert werden. Hilfreich waren sie nicht.
Auch Bremen hat so sein Wachsmodell. Es heißt 3-Tesla-Kernspintomograph und
hat in Bremen eine geradezu messianische Rolle erhalten. „Das
Drei-Tesla-Gerät“, so die tierschutzpolitische Sprecherin der SPD, Carmen
Emigholz am 22. März in der Bürgerschaft, „ist nicht erst gestern
angeschafft worden.“ Damit könne Kreiter ja weiter arbeiten, „und laut
Meinung aller Fraktionen haben sich damit die invasiven Versuche erübrigt“.
Tatsächlich zeichnet ein Kernspintomograph Gehirn-Aktivitäten auf: Die
Messgenauigkeit liegt bei fünf Kubikmillimetern. Die elektrophysiologische
Messung dagegen erfasst die Signale eines Neurons. Der Zellkörper hat ein
durchschnittliches Volumen von 0,000014 Kubikmillimetern. Der Sinn des
Kernspintomographen ist es, einen Überblick darüber zu gewinnen, an welchen
Stellen im Hirn sich gleichzeitig etwas tut. Dadurch wird die Suche nach
interessanten Nervenzellen verkürzt. Für andere Ergebnisse ist das Gerät so
gut geeignet, wie eine Europakarte zur Orientierung in der Bremer City.
Seit zehn Jahren laufen Kreiters Versuche. Die Genehmigung nicht zu
erneuern – damit würde Bremen juristisches Neuland betreten. Die Diskussion
darum erregt Aufsehen: Man betrachte „mit Sorge den Versuch der Bremischen
Bürgerschaft, die Forschung einzuschränken“, ließ die Deutsche
Forschungs-Gemeinschaft (DFG) wissen. Und feinsinnig gab der wichtigste
Geldgeber für akademische Projekte seiner „Hoffnung“ Ausdruck, dass sich
„der Wissenschaftsstandort Bremen“ dennoch „weiterhin als zuverlässiger
Partner in der Forschung erweist“.
## Forscher klagen nicht
Früher war die Ablehnung eines Antrags kaum möglich: Die Behörde durfte nur
prüfen, ob „Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit wissenschaftlich
plausibel dargelegt“ waren. Andernfalls hätte sie die Freiheit von
Forschung und Lehre verletzt – ein Grundrecht, das nicht von allgemeinen
Gesetzen beschränkt wird. Doch seit 2002 ist Tierschutz als Staatsziel im
Grundgesetz verankert. Das erst hat die beiden Rechtsgüter konkurrenzfähig
gemacht. „Neue Primatenversuche“, sagt eine Sprecherin des zuständigen
Bundesministeriums für Landwirtschaft, „werden kaum noch genehmigt.“ Man
erwartet Auswirkungen auf die Rechtsprechung. Aber wie die Gerichte
entscheiden würden, weiß niemand. Die Wissenschaftler klagen nicht. So hat
die Berliner Gesundheitsbehörde kürzlich einen Antrag von
Kognitionsforscher Andreas Thiele abgelehnt. Das Experimentdesign:
Vergleichbar mit dem Kreiters. Als Versuchstiere vorgesehen: Rhesusaffen.
Letztlich attestierte ihm die Behörde, dass Schmerzempfinden und akute
Angstzustände der Tiere nicht besonders hoch seien – aber „Versuche mit
Primaten in der ethischen Abwägung nicht wie andere Tierversuche nach
Belastungskriterien zu bewerten“ seien. „Der ablehnende Bescheid erfolgte
im Januar“, heißt es aus Berlin. Von der Möglichkeit des Widerspruchs sei
„kein Gebrauch gemacht“ worden. So wichtig war Thiele die Rückkehr nach
Deutschland nicht: Er hat Professur und Labor in Newcastle.
Ist es historischer Zufall oder logische Verknüpfung? Je stärker der
Tierschutzgedanke auftritt, desto intensiver wird über Versuche an Menschen
und Euthanasie nachgedacht: 2005 hat der nationale Ethikrat für nötig
befunden, zu klären, ob „Medizinische Forschung an einwilligungsunfähigen
Menschen“ nun „Heilversuch oder Humanexperiment“ heißen soll. Vom Leiden
ausgehend argumentiert der Schweizer Philosoph Jean-Claude Wolf in seiner
„Tierethik“ (2005): Jedem vertretbaren Tierversuch stehe „ein moralisch
akzeptables und aussagekräftigeres freiwilliges Humanexperiment“ gegenüber.
Erstmals in Deutschland verboten wurden Tierversuche durch Hermann Göring,
im August 1933. Schließlich war der Führer „schärfster Gegner der
Vivisektion, der wissenschaftlichen Tierfolter“, informierte damals der
Tierfreund.
Fritz ist nur noch auf Wasser. Der Affe hat das gesegnete Alter von 13
Jahren erreicht: Er ist schon 1997 im Labor angekommen. Er hat Speck
angesetzt. Deshalb haben die Kreiter-Leute ihm den Apfelsaft gestrichen.
Seine Aufgabe ist schwer: Er muss in einer Art Elektro-Wimmelbild aus
Strichmustern kurz auftauchende S- und U-Kurven erkennen. Die Figuren
erscheinen mal links oben, mal rechts unten. Klack, Fritz drückt den Knopf,
das wirkt routiniert, klack, er trinkt einen Schluck. Erfüllt ihn die
Arbeit? Wir wissen es nicht. Fest steht nur: Sollte Kreiters Genehmigung im
Herbst 2008 nicht verlängert werden, freut das die Tierschützer. Und die
Affen, Fritz und Versace und die anderen – die würden eingeschläfert.
13 Aug 2007
## AUTOREN
BENNO SCHIRRMEISTER
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