# taz.de -- Der Schnitt ins Tüllkleid mit der Kettensäge | |
> OBJEKTE UND MODE Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt die Ausstellung „Art & | |
> Fashion. Zwischen Haut und Kleid“. In ihr finden Kunst und Mode dort | |
> zusammen, wo bisher ungewohnte visuelle Entdeckungen gemacht und die | |
> eigenen Standards hinterfragt werden | |
VON BRIGITTE WERNEBURG | |
Nur Kunstphilister werden es nicht sehen: Der Schnitt ins Tüllkleid mit der | |
Kettensäge von Viktor & Rolf im ersten Stock des Kunstmuseums Wolfsburg | |
behandelt nicht anders als Alberto Giacomettis weitausschreitende | |
Magermodels im Stock darunter das raumbildnerische Vermögen der | |
bildhauerischen Plastik, ihren Anspruch, nicht so sehr Objekt- als vielmehr | |
Raumkunst zu sein. Die kreisrunden Durchstiche rücken den feuerroten | |
Tülltraum von einer Abendrobe aus der Sphäre des Kostüms, das seiner | |
Trägerin jederzeit an jedem Ort der Welt gehörigen Platz verschaffte, in | |
die Sphäre der abstrakten Plastik, deren raumschaffende Wirkung eine | |
deutlich subtilere und diffizilere Herausforderung darstellt. | |
Schade also, dass die Giacometti-Ausstellung bei der Eröffnung der | |
Ausstellung „Art & Fashion“, die in modifizierter Form vom Rotterdamer | |
Bojimans Van Beuningen Museum übernommen wurde, schon an ihr Ende gelangt | |
ist. Denn seine „Retrospektive des reifen Werks“ erklärt ohne Weiteres, | |
warum der Mode im modernen Kunstraum fraglos ein wichtiger Platz zukommt: | |
Schließlich gilt ihre Entwurfskunst weiterhin dem raumgreifenden Auftritt | |
der menschlichen Figur. Wo sonst können wir unserer Lust an der | |
zeitgenössischen Interpretation dieser Figur, ihrer Gestik und ihren Posen, | |
ihren biologisch gegebenen wie künstlich überformten Proportionen so | |
uneingeschränkt frönen wie im Umgang mit Kleidern, beim Studium von Schnitt | |
und Faltenwurf, beim Inspizieren der Materialien und deren konstruktiver | |
Verwendung? | |
Dazu untersucht die Mode, nicht anders als die zeitgenössische Kunst, | |
inzwischen vor allem ihr eigenes Betriebssystem. Und nicht anders als die | |
Kunst spürt gerade sie den Ansprüchen nach, die die Industrie- und | |
Informationsgesellschaft an den heutigen Menschen stellt; den Forderungen | |
nach stetiger Optimierung seines Lebensstils (nach Vorgaben der | |
Gesundheits- und Sozialpolitik, aber auch des Konsumklimaindex) und seines | |
Körpers, an dem dieser Lebensstil repräsentativ werden soll. | |
Das 2010 entstandene Kettensägenmassaker von Viktor & Rolf zum Beispiel ist | |
nicht nur skulpturales Ereignis, sondern auch einer von einer ganzen Reihe | |
von Entwürfen, die sich die Modenschau als Performance vorknöpfen. „Hana, | |
Gutenachtgeschichte“ (2005/06), ein anderes Viktor-&-Rolf-Kleid, berichtet | |
dann vielleicht vom Traum des Models, nach der Schau endlich in die Federn | |
zu kommen. Ebenso aber berichtet es von der Rolle, die Kleidung beim Leben | |
auf der Straße spielt. Und da macht es nichts aus, dass es in der denkbar | |
luxuriösesten Variante geschieht. Denn als der Modefotograf David | |
LaChapelle das Model nicht ins Bett entließ, sondern es vielmehr in seinem | |
verrückten Mantel aus einer roten Daunensteppdecke, einer weißen | |
Daunenkissenkapuze und einem Daunenkissenkragen vor ein hurrikanverwüstetes | |
Haus stellte, da war das Arrangement nachgerade zur Dokumentation geworden | |
– erschien es doch just zu dem Zeitpunkt in der Vogue, als New Orleans | |
gerade in den Fluten von „Katrina“ untergegangen war. | |
Schade, dass es diese Fotografie in Wolfsburg nicht gibt. Denn sie | |
widerspricht dem Eindruck, die Selbstreferenzialität der Mode ende nur | |
allzu gerne in einem tautologischen Surrealismus, wie ihn der „Körperhut“ | |
(2004) und das „Rehcape“ (2005) von Christophe Coppens oder die | |
„Haarbürste“ (2003) von BLESS repräsentieren. Allesamt Objekte, die genau | |
das zeigen, was ihr Name sagt. Dabei gewinnt die Wolfsburger Schau durch | |
einen Alltagssurrealismus der handfesteren, geradezu dokumentarischen Art. | |
Angesichts von Walter Van Beirendoncks 2009 entstandener Installation „2357 | |
– Die Fortsetzung (Rekonstruktion des Tempels in dem sich im Jahr 2357 der | |
Sarkophag von Walter Van Beirendonck befinden wird)“ fühlt man sich zum | |
Beispiel sofort auf einem amerikanischen Highway. Denn Beirendoncks | |
farbenfrohes, von Sonne, Mond und einem aus der Wolke fahrenden Blitz | |
gekröntes Tempelportal, aus dem er auf einem braunem Bären herausgeritten | |
kommt, bevor er in dem – seinen deftigen Körpermaßen inklusive erigiertem | |
Penis nachempfundenen – Sarg verschwindet, erinnert stark an die | |
Reklamebauten, wie sie irgendwo in Nevada für Motels, Kirchen oder | |
Vergnügungsparks werben. | |
Dass der Pate der Antwerp Six (Ann Demeulemester, Dries van Noten, Dirk Van | |
Saene, Dirk Bikkembergs und Marina Yee), die den Ruhm der Belgischen | |
Modeavantgarde begründeten, ausgerechnet den Tod und seine Rituale zum | |
Thema macht, ist insofern stimmig, als die Mode, wie die | |
Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken meint, heute der Bereich ist, in | |
dem das moderne Subjekt seine eigene Sterblichkeit untersuche. Dabei wird | |
der Körper noch einmal ganz neu und anders entdeckt wie in der Installation | |
„Keine Referenzen“ (2008), in der Hutdesigner Christophe Coppens die | |
unwahrscheinlichsten Accessoires für so unwahrscheinliche Körperteile wie | |
die Kniekehlen vorstellt und ganz nebenbei noch einmal die Grammatik der | |
verschiedenen Couturetechniken aufblättert und analysiert. | |
Wüsste man es nicht besser, man würde seine merkwürdigen Gerätschaften | |
jederzeit der Kunst, aber gewiss nicht der Mode zurechnen. Das gilt auch | |
für Dai Rees grandiose Lederhäute, plastische Objekte, die nur noch in | |
ihren menschlichen Maßen und ihrer raffinierten Intarsientechnik auf Mode | |
im herkömmlichen Sinne Bezug nehmen. Ohne Referenzen ist die in Wolfburg | |
gezeigte Mode als theoriegeleitetes, ästhetisches und soziales | |
Experimentfeld deshalb aber nicht, sie sind jetzt eben eher im | |
intellektuellen als im rein ästhetischen Feld zu finden. | |
■ Bis 7. August, Kunstmuseum Wolfsburg; am 25. März, 20 Uhr: Fashionshow | |
Dream mit Walter Van Beirendonck und Studenten der Königlichen Akademie der | |
Künste Antwerpen | |
7 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
BRIGITTE WERNEBURG | |
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