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# taz.de -- Realismus und Werte
> Es nutzt nichts, wenn man Russland vorwirft, es nutze seine Rohstoffe als
> Druckmittel, um seine Interessen durchzusetzen. Stattdessen gilt es,
> eigene Interessen zu formulieren
Die Frage nach der Zukunft von Transnistrien sei besonders bemerkenswert,
erklärte auf der Münchner Sicherheitskonferenz der ukrainische Präsident
Viktor Juschtschenko. Aus seiner Sicht ist das richtig. Das ändert nichts
daran, dass manche Teilnehmer der Tagung erhebliche Schwierigkeiten haben
dürften, die abtrünnige Region im Osten Moldawiens auf der Karte zu finden.
Die Weltlage ist seit dem Ende des Kalten Krieges unübersichtlicher
geworden, und die Interessen jedes einzelnen Landes lassen sich nicht mehr
so mühelos wie früher mit den Interessen eines Blocks oder der Blockfreien
gleichsetzen. Das hat sich herumgesprochen. Weniger bekannt scheint die
Tatsache zu sein, dass es nach wie vor legitime staatliche Interessen gibt.
Wie die Reaktion auf die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin
zeigt.
Dessen scharfer Angriff auf die Vereinigten Staaten hat zahlreiche
westliche Politiker überrascht und verstört. Das ist mindestens ebenso
überraschend und verstörend wie die Rede selbst. Denn erstaunlich ist doch
eigentlich nicht, dass Moskau den Plänen der USA für ein
Raketenabwehrsystem in Mitteleuropa ablehnend gegenübersteht – erstaunlich
ist, was für dramatische geostrategische Veränderungen von Russland in den
letzten Jahren widerstandslos akzeptiert worden sind. Moskau hätte
schließlich schon bei anderen Gelegenheiten wie etwa der
Nato-Osterweiterung allen Anlass gehabt, eigene Interessen bedroht zu
sehen.
Interessengeleitete Außenpolitik hat in der Bundesrepublik seit ihrer
Gründung einen schlechten Klang. Angesichts einer Geschichte, in der
mehrfach versucht worden ist, vermeintliche deutsche Interessen mit
verbrecherischen Mitteln zu verfolgen, ist das verständlich. Der Wunsch ist
ehrenwert, gestaltendes Element der internationalen Beziehungen möge ein
universales Wertesystem sein. Aber nicht jede verständliche und ehrenwerte
Position ist realistisch. Ein ausschließlich wertezentrierter Blick auf die
Welt definiert sich mehr durch blinde Flecken als durch scharfe
Beobachtung.
Wie eines von vielen möglichen Beispielen zeigt: Seit Jahren sieht sich mit
dem Vorwurf des Antiamerikanismus konfrontiert, wer unterstellt, der Wunsch
nach Zugriff auf die schwindenden Ölvorräte bestimme die Außenpolitik der
USA in weit stärkerem Maße als der Wunsch, Demokratie und Menschenrechte in
alle Welt zu exportieren. Umgekehrt gefallen sich Leute, die auf einen
Zusammenhang zwischen Energiepolitik und militärischen Entscheidungen
hinweisen, oft in der Rolle von Aufklärern, die ein gut gehütetes Geheimnis
aufdecken.
Beide Haltungen sind weltfremd. Ja, die USA – genau wie andere Staaten,
darunter Deutschland – verfolgen mit ihrer Außenpolitik auch
wirtschaftspolitische Ziele. Das kann man verurteilen. Man kann auch
Erdbeben verurteilen. Hilfreich ist beides nicht. Weit nützlicher ist es,
unabänderliche Gegebenheiten als solche zu erkennen und sich darauf
einzustellen.
Das gilt allerdings nicht nur im Hinblick auf die US-Politik.
Verteidigungsminister Robert Gates sagte in München, er wundere sich über
russische Versuche, Energieexporte als politisches Druckmittel einzusetzen.
Man möchte hoffen, dass diese Formulierung nur den diplomatischen
Gepflogenheiten geschuldet ist. Wenn sich der Verteidigungsminister der USA
darüber tatsächlich wunderte, dann müsste man an seiner Intelligenz
zweifeln. Das wäre angesichts seiner Bedeutung überaus beunruhigend.
Selbstverständlich nutzt Russland seinen Rohstoffreichtum als politisches
Druckmittel. Sehr viele andere Druckmittel sind der einstigen Weltmacht
schließlich nicht geblieben, will sie nicht die Selbstvernichtung
riskieren. Was man gefährlich finden kann. Es gibt nämlich zahlreiche
Beispiele in der Geschichte, die belegen, dass Machtverlust und Demütigung
häufig die Funken gewesen sind, die ein Pulverfass explodieren ließen.
Wie tief die Kränkung in Moskau sitzt, zeigte sich an der Reaktion des
russischen Präsidenten auf den Appell, sein Land solle außenpolitisch
größere Verantwortung als bisher übernehmen. Dazu müsse man Russland nicht
auffordern, so sagte er. Das Land sei schließlich mehr als 1000 Jahre alt.
Und man wisse, was eine unabhängige Außenpolitik bedeute. Wer Ohren hat, zu
hören, der höre.
Kluge Außenpolitik orientiert sich an der Erkenntnis, dass man niemanden,
auf dessen Kompromissbereitschaft man angewiesen ist, über das für ihn
zumutbare Maß hinaus bloßstellen darf. Washington verhält sich in dieser
Hinsicht derzeit nicht klug. Der US-Verteidigungsminister hat in München an
die – seinerzeit umstrittene – Stationierung der Mittelstreckenraketen in
Europa erinnert und diese als Erfolgsgeschichte gefeiert.
Erfolg wofür? Aus Sicht derjenigen, die besagte Stationierung nach wie vor
für richtig halten: für den Zerfall des sowjetischen Imperiums. Das ist
nicht gerade eine beruhigende Botschaft an die Adresse Russlands. Ebenso
wenig wie der scheinheilige Hinweis, Russland müsse keine Angst vor
Demokratien an seinen Grenzen haben. Der ja nichts anderes besagt als:
Russland ist keine Demokratie. Das ist wahr und bedauerlich. Wird sich
allerdings kaum dadurch ändern lassen, dass man Moskau bedeutet, alle
bisherige Bereitschaft zur Zusammenarbeit habe keine Rücksicht auf die
russischen Interessen bewirkt.
Der Wunsch der USA nach einem Raketenabwehrsystem in Mitteleuropa ist
verständlich, schon allein wegen des damit verbundenen Machtzuwachses.
Ebenso verständlich wie die unverhüllte russische Drohung, die Installation
eines solchen Systems werde ein neues Wettrüsten provozieren. Aber bei
allem Verständnis: Europa, also auch Deutschland wird um die Antwort auf
die Frage nicht herumkommen, was denn nun in seinem eigenen Interesse
liegt.
Der konservative US-Publizist Robert Kagan hat vor einigen Jahren
ausgesprochen, was diesseits und jenseits des Atlantik auch viele andere
wissen, aber eben nicht zu sagen wagen: „Wir sollten nicht länger so tun,
als hätten Europäer und Amerikaner die gleiche Weltsicht oder als würden
sie auch nur in der gleichen Welt leben.“ Recht hat er.
Wir Europäer leben in einer Welt, in der wir uns – mühsam genug –
allmählich daran gewöhnen, schwach zu sein. Was immer wir für wünschenswert
halten mögen: Wir können nicht auf Konfrontation, wir müssen auf
Kooperation setzen. Auf Multilateralität und nicht auf Hegemonie. Und das
bedeutet: Uns kann nicht an der Installation eines Waffensystems gelegen
sein, das die Beziehungen zu einem atomar hochgerüsteten, unmittelbaren
Nachbarn belastet.
Mit Moral hat das zunächst gar nichts zu tun. Mittelfristig mag das anders
sein. Werte lassen sich nämlich am ehesten durchsetzen, wenn man auch die
Interessen desjenigen akzeptiert, der seinerseits Werte akzeptieren soll.
Das ist einerseits tröstlich. Bedeutet aber andererseits auch eine
werteorientierte außenpolitische Verpflichtung.
BETTINA GAUS
12 Feb 2007
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BETTINA GAUS
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