# taz.de -- Das Museum der Kinopoeten | |
> BUCH ZUM KINO Zum 50-jährigen Bestehen würdigt sich das Österreichische | |
> Filmmuseum in einem lesenswerten dreibändigen Kompendium selbst | |
Die Erkenntnis, dass museale Arbeit der Nachwelt und nicht den | |
Kunstschaffenden zur Rechenschaft verpflichtet ist, ereilte die Betreiber | |
des Österreichischen Filmmuseums im Februar 1969, als die Kuratoren einer | |
Luis-Buñuel-Retrospektive den Meister höchstpersönlich um seine | |
Unterstützung baten. Dieser willigte freundlich ein, allerdings mit einer | |
Einschränkung: Die Filme seiner mexikanischen Werkphase möge das Filmmuseum | |
bitte nicht zeigen. Die zählen jedoch zu seinen besten, deshalb | |
verzichteten die Veranstalter nicht auf die Filme, sondern auf die | |
Kooperation des Regisseurs. Diese Episode findet sich als Randnotiz in | |
einer Anthologie, die das Österreichische Filmmuseum anlässlich seines 50. | |
Geburtstags herausgegeben hat. | |
Das dreibändige Jubiläumskompendium, thematisch unterteilt in Chronik, | |
Dokumentation und Sammlungsbeschreibung, versteht sich als Einladung, an | |
der bewegten Geschichte der Institution teilzuhaben. Der erste, von Eszter | |
Kondor herausgegebene Band „Aufbrechen“, zeichnet die widrigen Verhältnisse | |
in der österreichischen Kulturpolitik nach, die 1964 zur Gründung des | |
Filmmuseums – neben dem bereits etablierten Österreichischen Filmarchiv – | |
führten. Die Quellenstudien inklusive zeigen, in welchem Maße sich die | |
Gründer Peter Konlechner und Peter Kubelka ihrem Gegenstand verpflichtet | |
fühlten. Für sie war das Kino kein hermetischer Erfahrungsraum. Es befand | |
sich stets im Spannungsfeld von „unabgeschlossener Vergangenheit“ und | |
„offener Zukunft“, wie es der aktuelle Leiter, Alexander Horwath, im | |
zweiten Band, „Das sichtbare Kino“, formuliert. | |
Mehr als 37 Jahre leiteten Konlechner und Kubelka, Letzterer eine prägende | |
Figur des strukturalistischen Experimentalfilms, das Österreichische | |
Filmmuseum. Genug Zeit, um einen Begriff von Kino zu etablieren, der das | |
Filmmuseum bis heute zu einem der lebendigsten Orte der europäischen | |
Cinephilie macht. Denn in kaum einer anderen musealen Einrichtung werden | |
die Prinzipien einer sozialen und kulturellen Praxis so umfassend gepflegt | |
wie in Wien: in Ausstellungen, Sammlungen, Gesprächen, wissenschaftlichen | |
Publikationen, Filmprogrammen und Vorführungen, die den wichtigsten und | |
sichtbarsten Aspekt der Arbeit eines Filmmuseums ausmachen. Aber eben auch | |
in einem ständigen Dialog mit dem Kino über seine Gegenständlich- und | |
Gegenwärtigkeit. | |
„Das Unsichtbare Kino“ lautet der Titel einer Arbeit, die das Werk des | |
Filmemachers und Kinopoeten Peter Kubelka subsumiert: ein Kinosaal, der auf | |
das reine Sehen hin konzipiert ist. Ein schwarzes Loch, das den Betrachter | |
ungeschützt der filmischen Realität aussetzt. 1970 wurde „Das Unsichtbare | |
Kino“ erstmals in Jonas Mekas’ Anthology Film Archives in New York | |
realisiert, seit 1989 befindet es sich – technisch auf dem neuesten Stand – | |
auch im Österreichischen Filmmuseum. „Es steht außer Zweifel, dass sich die | |
Menschheit das Verlöschen des in Film realisierten Teils ihres | |
Gedächtnisses nicht gestatten kann“, schrieb Kubelka in einer | |
Presseerklärung aus dem Jahr 1996, die im Band „Das sichtbare Kino“ | |
abgedruckt ist. | |
Der Begriff Museum war immer ein wenig missverständlich, denn er impliziert | |
die Unwiederbringlichkeit seines Gegenstandes, die Arretierung eines | |
Zustandes im Prozess der Historisierung. Im Österreichischen Filmmuseum | |
wird das Kino dagegen als etwas Lebendiges verstanden – ob man sich nun mit | |
dem russischen Stummfilm oder einem Regisseur wie Richard Linklater | |
beschäftigt. Zugleich ist dem Filmmuseum immer ein historischer Blick auf | |
die Gegenwart zu eigen. Kubelka gehörte zu den ersten Museumsleitern, der | |
sich um die Konservierung der Filmwerke sorgte, als diese für viele | |
Zeitgenossen noch den Wert disponibler Massenerzeugnisse besaßen. | |
Mit seiner Jubiläumsanthologie ist es dem Österreichischen Filmmuseum | |
gelungen, fünfzig Jahre Kinoleidenschaft höchst anschaulich auf 800 Seiten | |
zu bannen. Sie ersetzen nicht den Besuch einer Filmvorführung. Aber sie | |
gewähren einen, wie Horwath es nennt, „prismatischen“ Blick auf die Arbeit | |
eines Filmmuseums: die Selbstverpflichtung, die technische und kulturelle | |
Geschichte des Mediums in allen Facetten der Nachwelt zu überliefern. Der | |
Bildband mit dem Titel „Kollektion“ ist ein schöner Versuch, dem Mythos des | |
Bewegtbildes mithilfe eines älteren Mediums, dem Buchdruck, auf die Spur zu | |
kommen. Er enthält Fotografien von fünfzig Objekten aus der Wiener | |
Sammlung: handkolorierte Stereobilder aus der Frühzeit des Kinos, | |
Lobbykarten, Zeichnungen von Chuck Jones, eine Schrittkopiermaschine aus | |
den dreißiger Jahren, die Lederjacke von Kurt Kren. Doch das | |
Ausstellungsgut eines Filmmuseums, betont Horwath, seien nicht seine | |
Objekte, sondern die persönlichen Erfahrungen, die es durch sein Wirken in | |
die Welt setzt. In diesem Sinne hat die Zukunft des Kinos, zumindest im | |
Selbstverständnis des Österreichischen Filmmuseums, gerade erst begonnen. | |
ANDREAS BUSCHE | |
■ Eszter Kondor, Alexander Horwath (Hrsg.): „Fünfzig Jahre Filmmuseum | |
1964–2014“. Synema, Wien 2014, drei Bände, 768 Seiten m. zahlr. Abb., 44 | |
Euro | |
5 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
ANDREAS BUSCHE | |
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