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# taz.de -- Der Klang der Ferne
> THEATER Der „Atlas der abgelegenen Inseln“ ist ein Buch, das anhand von
> Karten und Anekdoten Fernweh erzeugt. Das Schauspiel Hannover hat aus dem
> Atlas ein Theaterstück gemacht, das die Fantasie beflügelt
Den Traum von einer abgelegenen Insel, wer hat ihn nicht schon einmal
geträumt. Es ist der Traum von einem anderen Leben an fernen Stränden. Und
fast immer geht er schief, weil man vor sich selbst eben nicht davon segeln
kann. Im Gegenteil: Man ist am Ende mit sich selbst gefangen, auf einem
unwirtlichen Eiland, irgendwo da draußen.
Nach dem großen Erfolg von Judith Schalanskys Buch „Atlas der abgelegenen
Inseln“ war es schwer zu glauben, dass eine Theaterinszenierung diesem von
der Fantasie des Lesers lebenden Werk noch etwas hinzufügen kann.
Schalansky stellt in ihrem Atlas Inseln vor, indem sie Karten, historische
Angaben und anekdotenhafte Bruchstücke kombiniert. Die Leser dürfen sich
dann vorstellen, wie es aussieht an den Orten, die beispielsweise Stella
Bay, Ringdove Bay oder Albatross Point heißen.
Regisseur Thom Luz ist mit seiner Inszenierung das Kunststück gelungen, dem
Buch eine weitere Ebene der sinnlichen Wahrnehmung hinzuzufügen. Sein Abend
in der Cumberlandschen Galerie am Schauspiel Hannover besteht zu einem
großen Teil aus Klängen und Geräuschen: einem Klingeln, Rauschen und
Krachen, dazwischen Wortfetzen und ein Ensemble aus geisterhaften
Gestalten, die über drei Etagen huschen. Und dem Zuschauer das Gefühl
geben, dass – wie auch im Leben – die interessanten Dinge immer dort
passieren, wo man sich nicht befindet.
Eine Hauptrolle an diesem Abend spielt der Aufführungsort. Das Treppenhaus
der Cumberlandschen Galerie ist ein Relikt aus der Zeit, als es noch einen
Kaiser gab und der Berufswunsch Entdecker noch eine reale Karriere-Option
war. Mit seinen schmiedeeisernen Geländern, prunkvollen Schnitzereien und
majestätischen Säulen sieht es aus wie ein Teil eines längst außer Dienst
gestellten Ozeandampfers.
Auf drei Etagen hat Luz jeweils drei kleine Gruppen mit Zuschauern
ausgesetzt. Die Sehnsucht nach den Inseln findet in den Zwischenräumen
statt. Schauspieler beginnen, eine Geschichte auf dem obersten Deck zu
erzählen, huschen dann in die Mitte. Dort reden sie weiter, bevor sie ins
Unterdeck verschwinden. „Ich bin gleich wieder da“, hört man oft an diesem
Abend.
Mit ihren historisierenden Kostümen stellen die Darsteller Typen dar: es
gibt einen frierenden Walfänger, eine geisterhafte Schönheit im
Matrosen-Kostüm und einen ehrgeizigen kleinen Mann, der Kraft seiner
Ausstrahlung Männer und Frauen für die Reise ins Ungewisse gewinnt.
Dazwischen wandelt über die Etagen ein klassisches Orchester im
verschlissenen Transatlantikliner-Dress. Die Musiker geben den Geschichten
Klang, lassen die letzten Seerobben singen, während von Ferne ein Nebelhorn
erklingt. Die Gestalten wirken unwirklich durch die halbseidene Beleuchtung
in den von Nebelschwaden erfüllten Räumen.
Und die Geschichten? Ohne genau Kenntnis des Insel-Atlasses bleiben sie
Fragmente und Verheißungen, kurze Einblicke in ferne Abenteuer. Und sind
genau dadurch geeignet, die Sehnsucht der Zuschauer zu beflügeln, die nicht
nur ein Stockwerk weiter oben nachsehen wollen, sondern gleich noch viel
weiter reisen. Auf die Antipoden-Inseln zum Beispiel: „48 Grad 41 Sekunden
Süd, 178 Grad 46 Sekunden Ost, unbewohnt.“ALEXANDER KOHLMANN
nächste Aufführungen: 25. 9., 2. 10., 28. 10., jeweils 20 Uhr
23 Sep 2014
## AUTOREN
ALEXANDER KOHLMANN
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