# taz.de -- Mausoleum der Filmgeschichte | |
> Der schottische Künstler Douglas Gordon hat sich durch seine | |
> kinoverrückten Bildmanipulationen einen Namen gemacht. Nun versammelt das | |
> Kunstmuseum Wolfsburg eine Retrospektive auf sein Werk zu einer | |
> Komposition der Überwältigung | |
VON KATRIN BETTINA MÜLLER | |
Leer ist ihr Blick, unheimlich ihr Ansehen: Jane Russell, Alain Delon, | |
Marlon Brando, Audrey Hepburn. Insgesamt sind es 100 Stars, aus deren | |
Porträts der Künstler die Augen herausgeschnitten hat. Jetzt wirken sie wie | |
mit Blendung gestraft für all die Blicke, die sie auf sich gezogen haben. | |
Als ob all die Träume, die sie geweckt, aber nicht erfüllt, und all das | |
Begehren, das sie erzeugt, aber nicht gestillt haben, sich rächen wollte an | |
ihren ikonenähnlichen Bildern. In effigie, gut katholisch. | |
Die „100 Blind Stars“ von 2002 hängen in einem Seitenraum der Ausstellung | |
„Between Darkness and Light“, mit der Douglas Gordon im Kunstmuseum | |
Wolfsburg eine Retrospektive auf sein Werk seit 1990 zeigt. Sie sind die | |
unspektakulärste Arbeit der Ausstellung und formulieren doch etwas wie ihre | |
Essenz: eine Abrechnung mit dem Kino und der Hypertrophie des Augensinns. | |
Der schottische Künstler Douglas Gordon, seit Mitte der 90er-Jahre für | |
seine kinoverrückten und -verrückenden Bildmanipulationen berühmt, ist 1966 | |
geboren. Er ist damit nicht nur um einige Jahrzehnte jünger als fast alle | |
der Stars, über die er sich mit der Schere hergemacht hat, sondern | |
vielleicht auch zu jung für eine so groß zugeschnittene Retrospektive. Denn | |
der Effekt der Monumentalisierung und Überhöhung der Emotionalität des | |
Kinos, der in jeder seiner einzelnen Arbeiten angelegt ist, steigert sich | |
hier, im simultanen Nebeneinander von fünf bis sechs großen | |
Videoinstallationen, zu einer Komposition der Überwältigung. Und verliert | |
damit jene Momente von kritischer Analyse und Dekonstruktion, die sich in | |
den einzelnen Werken sehr wohl finden lassen. | |
Nicht erst, wenn man bei den „100 Blind Stars“ angekommen ist, fühlt man | |
sich wie in einem Mausoleum der Filmgeschichte. | |
Das liegt zum einen an der kompletten Verdunklung der großen | |
Ausstellungshalle: „Between Darkness and Light“ kennt nur das Licht der | |
Projektoren und damit kein anderes Leben als das in den Bildern. Das liegt | |
zum anderen an der Permanenz der Aufführung und der extremen Verlangsamung | |
der Bilder, wie in „24 Hour Psycho“, der auf 24 Stunden gedehnten Fassung | |
von Hitchcocks Klassiker. Oder in „10 ms-1“, einer fast 100 Jahre alten | |
Bewegungsstudie über einen verletzten Mann, der nicht wieder auf die Beine | |
kommt. Damit scheinen sich die Bilder in den Loops gegen ihr Verschwinden | |
und Vergessen zu wehren. Es ist Trauerarbeit, die in dieser Aufführungsform | |
steckt – vielleicht Trauer um den Verlust von Unschuld und naivem Sehen. | |
Dabei verblüfft es zunächst, wie gut die Videowerke ineinander greifen. Das | |
beginnt mit „B-Movie“ (1995): dem Bild einer auf dem Rücken liegenden und | |
mit den Beinen zappelnden Fliege in einem knapp briefmarkengroßen Monitor. | |
Von ihr kommt man zu „10 ms-1“ und „Play Dead: Real Time“, die beide du… | |
das Motiv der Todesnähe und der Verletzbarkeit bewegen. Das Bild des | |
beinahe nackten Mannes, der immer wieder hinfällt, zappelnd wie die Fliege, | |
beruht auf historischem Material der Medizingeschichte – Fond Footage. | |
„Play Dead: Real Time“ dagegen ist von Douglas Gordon inszeniert: Mit zwei | |
Kameras hat er einen Elefanten umkreist, der sich hinlegt und totzustellen | |
scheint, dann aber doch wieder aufsteht. Während sich im ersten Fall die | |
Beobachterposition noch erahnen lässt – der Versuch, einem in diesem | |
menschlichen Körper verborgenen Geheimnis auf die Spur zu kommen –, | |
vermischen sich die Spuren des Beobachters im zweiten Fall schon mit denen | |
des Inszenators: Man vermutet, die Szene ist gestellt, der Elefant | |
dressiert, aber man weiß es nie genau. Deutlich aber wird, dass sich im | |
einen wie im anderen Fall Voyeurismus und Mitleid die Waage halten. | |
Die Aufführung auf jeweils zwei semitransparenten Leinwänden und Spiegeln, | |
die weitere Räume mit den gleichen Bildern suggerieren; die Schatten, die | |
die Besucher gelegentlich über die Bilder gleiten lassen: All das steigert | |
eine tief melancholische Stimmung, die auf Vergänglichkeit nicht nur der | |
Körper, sondern auch der Bilder beharrt. | |
Darüber legt sich der Ton einer weiteren Arbeit, hochdramatisch, emotional, | |
nervenaufreibend. Für „Feature Film“ (von 1999) ließ Douglas Gordon die | |
Filmmusik von Hitchcocks „Vertigo“ von einem großen Orchester aufführen u… | |
filmte dabei die Gesten und den Gesichtsausdruck des Dirigenten. Der gibt | |
so etwas wie das Bild des großen Strippenziehers der Gefühle, des Meisters | |
über unsere Empfindungen. Ganz ungebrochen und voller Emphase. Spätestens | |
da sehnt man sich im Dunkeln dann doch nach einem Moment von Distanzierung | |
oder einem Ausblick aus dem Kunstraum; kurz: irgendeinem Eingeständnis, | |
dass man als Besucher nicht nur als empfindsames, sondern auch als | |
reflektierendes Individuum existiert. | |
Das Kunstmuseum Wolfsburg gehört nicht zuletzt durch frühe Ankäufe („24 | |
Hours Psycho“ und „Feature Film“) zu den Förderern von Douglas Gordon. | |
Möglicherweise hat der Wunsch, die Installationen aus eigenem Besitz in der | |
großen Einzelausstellung zur Aufführung zu bringen, einiges dazu getan, | |
nicht nur eine große Konzentration auf einige Aspekte seines Werkes, | |
sondern auch eine Reduktion darauf herzustellen. In anderen Ausstellungen, | |
wie etwa 2005 im Showroom „Deutsche Guggenheim Berlin“, öffnete Gordon den | |
Raum weiter. | |
Die Anmutung von Erinnerung und Rückblick, die jedes einzelne der | |
ausgestellten Projekte atmet, und ganz besonders die alphabetische Liste | |
der Namen all der Menschen und Freunde, an die sich Douglas Gordon | |
erinnert, scheint die Zuwendung zum Hier und Jetzt zu blockieren. Dies | |
könnte ja ein eigenes Thema sein. Und wenn man hört, wie der Künstler redet | |
und ganz bewusst mit der ständigen Verwandlung von Leben in Anekdoten und | |
Legenden spielt, besitzt er gewiss auch das Potenzial dazu. Nur macht er | |
diesmal keinen Gebrauch davon. | |
Die Ausstellung „Between Darkness and Light“ läuft bis 12. August im | |
Kunstmuseum Wolfsburg. Katalog (Hatje Cantz Verlag) 26 € | |
26 Apr 2007 | |
## AUTOREN | |
KATRIN BETTINA MÜLLER | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |